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OTTO WAGNER

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Am 11. April 1918 starb Offo Wagner, er wurde in der Gruff auf dem Hiefzinger Friedhof beigesefzf, die er für seine Familie errichtet hafte. — Es war wie ein Abgesang der österreichischen Moderne. Zu den Tofen lenes Schicksaljahres zählten auch Gustav Klimt, Kolo Moser und Egon Schielfe. Unser Essay zum Gedenken an den Erneuerer der österreichischen Architektur wurde mit freundlicher Genehmigung dem im Residenz- Verlag, Salzburg, erschienenen Werk „Otto Wagner" von Heinz Geretsegger und Max P e i n t n e r entnommen.

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Am 11. April 1918 starb Offo Wagner, er wurde in der Gruff auf dem Hiefzinger Friedhof beigesefzf, die er für seine Familie errichtet hafte. — Es war wie ein Abgesang der österreichischen Moderne. Zu den Tofen lenes Schicksaljahres zählten auch Gustav Klimt, Kolo Moser und Egon Schielfe. Unser Essay zum Gedenken an den Erneuerer der österreichischen Architektur wurde mit freundlicher Genehmigung dem im Residenz- Verlag, Salzburg, erschienenen Werk „Otto Wagner" von Heinz Geretsegger und Max P e i n t n e r entnommen.

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Otto Wagner schuf eine Architektur, die eine deutliche Änderung des bisherigen Empfindens, den beinahe völligen Niedergang der Romantik und das fast alles -usurpierende Hervortreten der Zweckerfüllung bei allen unseren Werken nicht nur beinhalten, sondern auch deutlich zum Ausdruck bringen sollte. Er war der Ansicht, Charakteristik und Symbolik eines Bauwerkes entstün den wie von selbst, wenn die Lüge vermieden sei, wenn die Außen- ersdieimung der Innenstruktur entspräche, usw. Da eine von selbst, ohne Mithilfe von Konventionen entstehende Symbolik aber undenkbar ist, lief das darauf hinaus, daß die Architektur das in der Bequemlichkeit wurzelnde Verlangen nach Symbolik in den Menschen unbefriedigt lassen sollte. Die Wirkung der Architektur ist uinspeziflsch, das heißt, es gibt nicht verschiedene Architekturen, die verschiedenen Gefühlen entsprechen. Es gibt keine heiteren, unbeschwerten, ernsten, schwermütigen Architekturen, es gibt keine Architekturen die zu Gott führen. Daß Bauwerke — auch heute und in Zukunft — selbst Götter sind, ist dagegen durchaus denkbar, ähnlich wie die Hostie für den gläubigen Christen Gott selbst ist, und wie im neuentstandenen Cargo-Kult der Eingeborenen auf Neu-Guiinea die Maschinen der internationalen Fluglinien die Seelen der Ahnen selbst sind, die vorübergehend aus dem Paradies zurückkehren und sich vorläufig nur auf die Pisten der Weißen locken lassen.

Wagner kämpfte unerbittlich gegen den Schwachsinn, der in dem unverrückbaren Postulate kulminierte: Kirchen und Rathäuser können nur gotisch, Parlamente und Museen nur griechisch und Wohngebäude nur in dem Stile der Renaissance usw. gebaut werden. Wenn seine Bauten das fast alles usurpierende Hervortreten der Zweckerfüllung deutlich zum Ausdruck bringen sollten, so bedeutete das Angesichts ihrer wie von selbst entstehenden Charakteristik nicht, daß er der gut funktionierenden Kirche noch die Idee „Kirche“, dem gut funktionierenden Rathaus noch die Idee „Rathaus“, hätte hinzufügen müssen. Diese Ideen existieren nicht, denn man kann sie nicht durch die Sprache beschreiben, geschweige denn durch die Architektur mit- teilen, die ihrem Wesen nach keine für die Übermittlung von Ideen oder Gefühlen geeignete Struktur enthält.

Otto Wagner forderte peinlich genaues Erfassen und vollkommenes Erfüllen des Zweckes (bis zum kleinsten Detail). Er war einer der ersten Wissenschaftler unter den Architekten. Insbesondere erkannte er die Bedeutung der Statistik, die im modernen Leben den einzig möglichen Maßstab für die Zweckerfüllung bietet. Die Statistik, etwa in den Sozialwissenschaften, zu akzeptieren, setzt voraus, daß man sich zunächst darüber klar wird, „daß die den systematischen Zusammenhang bedingenden Begriffe keine Beziehung zum emotionellen Erleben haben. Da gibt es nur ein ,So-Sein’,

aber kein Wollen, kein Werten, kein Gut und kein Schlecht, kein Ziel“. Wenn der weitere Ausbau der Zivi lisation grundsätzlich als etwas Wünschenswertes erkannt ist, dürfen die Mittel dazu selbst als Ziel herausgestellt werden:

Alles modern Geschaffene muß dem neuen Materiale und den Anforderungen der Gegenwart entsprechen, wenn es zur modernen Menschheit passen soll, es muß unser eigenes, besseres, demokratisches, selbstbewußtes, unser scharf denkendes Wesen veranschaulichen und den kolossalen technischen und wissenschaftlichen Errungenschaften sowie dem durchgehenden praktischen Zuge der Menschheit Rechnung tragen — das ist doch selbstverständlich!

Der Architekt, der seine Aufgabe als Wissenschaftler erfüllt hat, hat damit alle denkbaren Verpflichtungen den Benutzern gegenüber erfüllt. Er hat alle erreichbaren Informationen über sie gesammelt und ausgewertet; keine Überlegung kann seine Lösung, was sie betrifft, jetzt noch verbessern. Außer der Rücksichtnahme auf Komfort und Hygiene besteht die Anpassung an die Persönlichkeit der Menschen allein in der Anpassung an ihren way of life. Der Achitekt ist nicht verpflichtet und gar nicht imstande, ihnen darüber hinaus in seinen Bauten lesbare Ideen oder ©inen „Sinn“ zu hinterlassen, über die es doch keine Verständigung geben kann. Kein Mensch kann einem anderen beschreiben, wie er die Farbe Rot sieht. Diese unzusammengesetzten Empfindungen können verschiedene Menschen nicht miteinander vergleichen; ebensowenig können sie natürlich komplexere Erlebnisse vergleichen. Die Unvergleichbarkeit der Erlebnisse geht aber nicht so weit, daß man Le Corbusier Glauben schenken darf, wenn er folgendes behauptet: „Wer sich ihr aber mit Leib und Seele hingegeben hat, dem wird die Architektur zum Lohn einen Zustand des Glücks vermitteln, eine Art von Trance, die den Geburtswehen der Idee und ihrer strahlenden Geburt entspringt. Macht der Erfindung, der Schöpfung, die uns erlaubt, unser Reinstes zu geben, um ändern Freude zu bringen, um die tägliche Freude in ihre Heime zu tragen.“ Dies ist Mystifikation. Kunst ist nicht „Dienst am Menschenbruder“ (L. C.). Sie entsteht nicht in Trance oder altruistischer Ekstase.

Dazu Otto Wagner:

Ein guter, großer Gedanke ist noch, bevor der Stift in Tätigkeit tritt, zu fassen und reiflich zu erwägen. Ob sich derselbe blitzartig zeigt oder langsam klärt, ob er des Durchdenkens und des Ausfeilens im Geiste wert ist, ob er bei der ersten Fixierung als Treffer oder Niete erscheint, ob er wieder und immer utieder neu gefaßt werden muß, ist gleichviel. So viel aber ist sicher, daß ein glücklicher Grundgedanke und seine reife geistige Durchbildung heutzutage schwer ins Gewicht fallen und weit mehr zur Wertschätzung eines Werkes beitragen als die üppigsten Blüten, welche das natürliche unbewußte Können des Künstlers ersprießen läßt. Ein gewisses praktisches Element, :mit welchem die Menschheit heute durchtränkt ist, läßt sich eben nicht aus der Welt schaffen und jeder Baukünstler wird sich endlich zu dem Satze bequemen müssen: Etwas Unpraktisches kann nicht schön sein.

Architektur ist noch deutlicher als andere Systeme der Versuch, die Zeit selbst abzubilden. Sie ist es deshalb, weil die als geschlossenes Ganzes erfaßte Idee des Bauwerks (oder eines Teiles davon) in dem einen Augenblick ihrer Entstehung, ohne selbst Bewegung zu sein, alle die Bewegungen umfaßt, die man mit dem Körper, den Augen, den Sinnen in einem zeitlichen Nacheinander in diesem Bauwerk axisführen könnte. Wenn die Idee als klare Vorstellung (Vision) in das Bewußtsein eintritt, tut sie das sprungartig: sie ist die Summe aus einer Vielzahl solcher Bewegungen, die noch in dem ungeordneten Erlebnismaterial des Gehirns stattgefunden haben. Der Mensch, der Architektur macht, setzt dazu an, in sich die klare Vorstellung von etwas ähnlich schwer Faßbarem zu erzeugen wie einem Wasserfall. Die klare Vorstellung von einem Wasserfall ist nicht mit einer Momentaufnahme von ihm identisch. Der Forderung Wagners nach einem fertigen Grundgedanken liegt die einfache Erkenntnis zugrunde, daß eine unklare Vision nicht aufgezeichnet werden kann, daß sie ihre Gestalt nicht etwa erst durch die Art der Darstellung gewinnt. Sie versinkt und muß neu erarbeitet werden.

Da das Bauwerk nicht ein Stück Natur ist, sondern ein aus einem menschlichen Kopf hervorgegangenes System — nach Otto Wagner ein völlig Neugestaltetes, das die menschliche Schaffenskraft direkt zur Basis hat — bietet es den Augen eine Impression, die danach verlangt, geteilt und auf wechselnde Arten wieder zum Ganzen zusammengesetzt zu werden. Auch der scheinbar ruhige Blick ist voll Spannung und Bewegung, denn schon zwei im Gesichtsfeld nebeneinander, aber in verschiedener Tiefe liegende Punkte verlangen, daß sich die Aufmerksamkeit zwischen ihnen entscheidet (die Einstellung der Augenlinse und die Parallaxe der Augen wird jeweils verschieden sein müssen). Wenn der Mensch sich dem Bauwerk nähert, es durchschreitet oder darum herumgeht, läßt er es an jedem Punkt seines Weges als Bezugssystem dieser Bewegungen auf komplizierte Weise in seinem Kopf neu entstehen. Symmetrien oder Teilsymmetrien als Eigenschaf ten des Bezugssystems unterstützen diesen fortgesetzten Prozeß ebenso, wie stark hervorgehobene Elemente ihn unterstützen. Der Prozeß ist zweck- und ziellos; er ist die Anhäufung von viel mehr Arbeit, als für die Orientierung im Bereich des Bauwerks notwendig wäre; die Eindrücke aller Sinne dienen ihm schließlich als Material.

Der menschliche Geist steht Sinneseindrücken, mit denen er arbeitet und die er zueinander in Beziehung zu bringen versucht, fremder gegenüber als solchen die er einfach „erlebt“ und aus denen allein er sich häufig zusamntensetzt, ohne etwas zu vermissen. Architektur bildet den Kristallisationskern einer sich im Betrachter selbst vom Betrachter ablösenden Außenwelt. Zweifellos gewinnen die Eindrücke durch die teilweise Ablösung vom Menschen an Intensität; der Mensch selbst aber ist isoliert und wird sich seiner unabhängigen, sehr engen Existenz bewußt. „Dabei erhebt sich sein Denken, beruhigt sich, festigt sich und wird frei Er weiß: Von dem, was nicht da ist, ist es leer, was aber geblieben ist, das ist da.“ Er wird sich dessen bewußt, in einer engen Gegenwart zu leben, die die ganz reale Vergangenheit und Zukunft mit umfaßt, das heißt, jene winzigen Teile von beiden, in denen keine Reihenfolge mehr feststellbar ist. Dies ist der Grundzustand des Menschen, der entweder unmittelbar und unerschrocken betrachtet oder durch Zerstreuung und Alltag verschüttet werden muß. „Darin nämlich, daß die geistigen Wesen etwas außer sich erkennen, treten sie in gewissem Sinn aus sich selbst heraus; indem sie aber erkennen, daß sie erkennen, beginnen sie schon, zu sich zurückzukehren: denn das Erkennen ist in der Mitte zwischen dem Erkennenden und dem Erkannten. Jene Rückkehr aber erfüllt sich ganz, indem sie ihre eigene Wesenheit erkennen.“

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