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Pioniere der Völkerkunde

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Die Gesellschaft des Göttlichen Wortes (Societas Verbi Divini), hat in diesem Dreivierteljahrhundert eine gewaltige Leistung auf dem Gebiet der Mission vollbracht. Aber nicht ihre missionarische, sondern ihre wissenschaftliche Leistung auf dem Gebiet der Völker- und Sprachenkunde soll hier gewürdigt werden, die ihr weit über katholische Kreise hinaus internationale Berühmtheit eingetragen hat.

Schon seit dem Mittelälter haben Missionäre immer wieder unsere Kenntnis fremder Sprachen und Kulturen bereichert. Nie vorher jedoch hat sich eine Missionsgesellschaft so systematisch der praktischen sowohl als der theoretischen Forschung auf diesem Gebiet gewidmet wie jene des Göttlichen Wortes. Die Anregung zu dieser wissenschaftlichen Tätigkeit verdankt sie der Begeisterung, dem überragenden Wissen und Können und der beinahe übermenschlichen Arbeitskraft eines einzigen Mannes: des heute 82jährigen, aber immer noch rüstig schaffenden P. Wilhelm Schmidt.

Gegen Ende des vorigen und in den ersten Jahren dieses Jahrhunderts veröffentlichte P. Schmidt zunächst einige Arbeiten über die Sprachen Ozeaniens und des südlichen Asien, die auch heute noch als grundlegend gelten können, Im Anschluß daran wandte er sich völkerkundlichen Forschungen zu. Wie tief er die Probleme der Völkerkunde durchdachte, wie klar sie sein philosophisch geschulter Geist zu erfassen und darzustellen wußte, geht aus seiner großen, 1906 erschienenen Arbeit über „die moderne Ethnologie“ hervor. Das meiste, für das er damals eintrat, ist heute Gemeingut der Wissenschaft geworden. Von besonderer Bedeutung war sein an Ethnologen und Missionäre gerichteter Appell, ihre Aufmerksamkeit auch der Erforschung der Einzelpersönlichkeit unter den sogenannten Naturvölkern zuzuwenden. Es war seine erste Kampfansage an jene theoretisierende, aller praktischen Erfahrung widersprechende Richtung, die in den Völkern mit primitiveren Kulturen gleichförmige Massen ohne Individualität des einzelnen erblicken wollte, eine Richtung, die, fasziniert duTrh die Gruppe, ganz vergaß, daß letztere genau so wie bei uns aus Menschen verschiedener geistiger und charakterlicher Veranlagung zusammengesetzt ist und daß, was wir Kultur nennen, das Resultat des Denkens und Handelns aller dieser einzelnen Personen ist. Was Schmidt damals über die Notwendigkeit der Individualpsychologie schrieb, sollte auch heute noch von allen Ethnologen gelesen und beherzigt werden. Es sollte auch von jenen oberflächlichen Kritikern gelesen werden, die Schmidt und seiner Schule Vernachlässigung der Psychologie zum Vorwurf machen.

Im Jahr 1905 traten zwei deutsche Ethnologen, Fritz Graebner und Bernhard Ankermann, in Weiterführung von Gedanken Friedrich Ratzels und Leo Frobenius' mit einer neuen völkerkundlichen Theorie und Methodik, der Kulturkreislehre, vor die Öffentlichkeit. Hier war zum erstenmal ein Hinweis auf die Möglichkeit gegeben, durch das Studium der geographischen Verbreitung ganzer Gruppen von Kulturmerkmalen in die Vergangenheit schrifUoser Völker einzudringen und aus dem, was uns heute als Nebeneinander entgegentritt, historische Abläufe abzulesen. P. Schmidt wandte sich mit Feuereifer der neuen Lehre zu und wurde ihr. bedeutendster Vertreter. Auch diejenigen, die, wie der Verfasser dieses Artikels, der Kulturkreislehre und besonders den von Graebner und Schmidt herausgearbeiteten Kulturkreisen gegenüber kritisch eingestellt sind, werden zugeben müssen, daß hier eine heuristische Methode gefunden war, die allem Vorangegangenen gegenüber einen großen Fortschritt bedeutete. Sie werden, wenn sie nicht voreingenommen sind, auch zugeben, daß die Kulturkreisforschung die Ethnologie in vieler Hinsicht befruchtet und angeregt, daß sie neue Probleme aufgeworfen und den Weg zu neuen Lösungen gewiesen hat. Besonders hoch muß man es jedoch Schmidt anrechnen, daß er durch seinen vorbehaltlosen Anschluß an eine historisch eingestellte Richtung sehr wesentlich dazu beigetragen hat, die Völkerkunde aus der erstickenden, den Fortschritt hemmenden Umgarnung durch einen aus mißverstandenen naturhistorischen Grundsätzen erwachsenen, rein spekulativen Evolutionismus zu befreien. Wenn heute, besonders in Osterreich und Deutschland, die Völkerkunde eins historische Wissenschaft geworden ist (die den Gedanken der wirklichen, geschichtlichen Abläufen entsprechenden Evolution selbstverständlich in keiner Weise ablehnt), so ist das zum großen Teil Schmidts Verdienst.

Um 1908 wandte sich Schmidt einem neuen Problem zu, dem der ältesten Religionen. Er sollte ihn Zeit seines Lebens beschäftigen, und hat in seinem gewaltigen Werk über den Ursprung der Gottesidee“, das bereits neun Bände umfaßt, monumentalen Ausdruck gefunden. Im Einzelfall mag man darüber diskutieren, ob wirklich, wie Schmidt meint, echter Monotheismus vorliegt. Im ganzen gesehen kann kein Zweifel darüber bestehen, daß tatsächlich gerade bei _ den altertümlichsten Jäger- und Sammlerstämmen, zwar naiv?, aber verhältnismäßig reine Gottesvorstellungen zu finden sind. Es war eine erlösende Tat, hier mit der Vorstellung von der Entstehung der Religion bloß aus Zauberglauben, Fetischismus und Animismus aufgeräumt zu haben, Erscheinungen, die bei etwas höher kultivierten Völkern viel stärker in den Vordergrund treten als bei den primitivsten. Inzwischen hatte P. Schmidt im Jahr 1906 mit der Gründung der internationalen Zeitschrift „Anthropos“ eine Tat vollbracht, die für die gesamte Völker-und Sprachenkunde von allergrößter Bedeutung werden sollte. Sie war vor allem dazu bestimmt, den Missionären Gelegenheit zur Veröffentlichung ihrer Beobachtungen und Studien zu bieten. Was „Anthropos“ in dieser Hinsicht sowohl quantitativ wie qualitativ geleistet hat, dürfte wphl. die kühnsten Erwartungen seines Gründers übertroffen haben. Aber schon vom ersten Band an brachte die Zeitschrift auch Beiträge weltlicher Gelehrter aus allen Ländern, und viele der grundlegendsten Arbeiten der letzten Jahrzehnte sind im „Anthropos“ erschienen. Sein internationaler Charakter kommt schon rein äußerlich dadurch zum Ausdruck, daß er Beiträge in deutscher, französischer, englischer, italienischer, spanischer und holländischer Sprache enthält. Von der ersten Minute seines Erscheinens an war er die führende Zeitschrift auf dem Gebiet der Völkerkunde. 1931 erfolgte dann die Gründung des Anthroposinstituts mit dem Sitz in St. Gabriel, Mödling, heute in der Schweiz. Ein neues Zweiginstitut in Bombay, das unter der Leitung von P. Stephan Fuchs und P. Matthias Hermanns steht, nimmt gerade in diesen Tagen seine Tätigkeit auf und soll der völkerkundlichen Erforschung Indiens dienen. In diesem Zusammenhang sei auch der von der Gesellschaft in Peking unterhaltenen Universität gedacht, die bis vor kurzem unter der Leitung P. Rudolf Rahmannr stand und eine eigene den kulturgeschichtlichen Problemen Chinas gewidmete Zeitschrift von hohem wissenschaftlichem Rang, die „Monumenta Serie a“, herausgab.

Es ist erstaunlich, wie viele hervorragende Mitarbeiter P. Schmidt sich unter seinen Mitbrüdern heranziehen konnte, Hier seien WilhelmKo pper s, P aul Schebesta, Martin Gusinde, Michael Schulien, Ceo r g Höltker, Johannes Hennjurer, Friedrich Bornemann und der verstorbene P. Damian Kreic.h-g a u er genannt. Dazu kommen noch die zahlreichen wissenschaftlich tätigen Missionäre der Gesellschaft wie zum Beispiel die Patres Paul Arndt und W. van Bekkum auf der Insel Flores (Indonesien) und P. Leonhard Jungblut in Indien.

Besonders fruchtbringend wurde die Verbindung Schmidts und seines Schülers und Mitarbeiters Koppers mit der Wiener Universität, an der sich die beiden in den Jahren 1921 beziehungsweise 1924 als Privatdozenten habilitierten. Koppers wurde 1928 zum Professor der Völkerkunde und im darauffolgenden Jahr zum Vorstand des neugegründeten Universitätsinstituts für Völkerkunde ernannt. Koppers und Schmidt ist es zu verdanken, daß die Wiener Universität sich alsbald zu einer der führenden Lehr- und Forschungsstäften der Völkerkunde entwickelte, die in den Jahren vor dem Krieg von Studenten aus allen Erdteilen aufgesucht wurde. Ethnologen, die in W i e n das Doktorat erworben haben, lehren heute an einer ganzen Reihe von Universitäten Europas, Asiens und Amerikas. Andere wirken an Museen des In- und Auslandes oder sind, als Missionäre und Forscher tätig.

Diese kurze Übersicht über die wissenschaftliche Tätigkeit der Gesellschaft des Göttlichen Wortes wäre unvollständig ohne Erwähnung der Forschungsreisen, die von ihren Mitgliedern unternommen wurden. Im Jahr 1910 hatte P. Schmidt ein Buch über die kulturgeschichtliche Stellung der Pygmäenvölker Asiens und Afrikas veröffentlicht, das zwar heute in mancher Hinsicht überholt erscheint, aber die völkerkundliche Forschung außerordentlich angeregt hat. So wurde es zum Anlaß für die wiederholten Expeditionen P. Schebestas zu den Pygmäen und anderen Primitivstämmen der Malaiischen Halbinsel, der Philippinen und Afrikas und P. Gusindes zu den Pygmäen Afrikas. Gusinde und Koppers erforschten die Indianer der Feuerlandsinseln, gerade noch zur rechten Zeit, ehe diese sehr primitiven Stämme samt ihrer Kultur endgültig verschwanden. P. Höltker unternahm eine Forschungsreise nach Neuguinea. Als schließlich im Jahr 1938 Professor Koppers durch die Nationalsozialisten von seinem Lehramt enthoben wurde, unternahm er eine Reise nach Indien und erforschte im Verein mit sprachkundigen örtlichen Missionären der Gesellschaft (Fuchs und Jungblut) den großen, bis dahin nur ganz ungenügend bekannten Stamm der Bhil. Die äußerst reichen Ergebnisse dieser Forschungsreise wurden in zwei Büchern und einer beträchtlichen Reihe von Zeitschriftenartikeln niedergelegt.

Zusammenfassend kann man wohl sagen, daß die Gesellschaft des Göttlichen Wortes aus der heutigen Völker-und Sprachenkunde nicht wegzudenken ist. Ihre Mitglieder haben sowohl durch die Sammlung neuen Materials als durch theoretische Arbeiten die Wissenschaft ungeheuer bereichert und weit über ihre eigenen Reihen hinaus befruchtend gewirkt.

Hier sei aber zum Schluß auch die Bedeutung dieser wissenschaftlichen Tätigkeit für die Mission selbst kurz gewürdigt. In der Vergangenheit haben Missionäre nicht selten aus Unverständnis, wenn auch in bester Absicht, schwere Fehler begangen. Alle bodenständigen Bräuche, vor allem aber die überlieferte Religion, wurden in Bausch und Bogen als heidnisch verdammt. Das hat nur allzuoft die kulturelle und moralische Entwurzelung der betreffenden Völker zur Folge gehabt. In seinem Vorwort zum ersten Band des „Anthropos“ hat der Generalsuperior der Kongregation vom Heiligen Geist, Bischof Alexandre Le Roy, darauf hingewiesen, wie notwendig für den Missionär ethnologisches Verständnis sei. Anstatt die einheimische Religion in ihrer Gänze abzulehnen, müsse man gerade an die in jeder Religion vorhandenen, wertvolleren und dem betreffenden Volk vertrauten Gedanken anknüpfen und sie sinnvoll deuten. Das Missionshaus St. Gabriel in Mödling hat diesen Grundsatz seit jeher gepflegt, und wir dürfen sicher sein, daß die zahlreichen Missionäre, die durch die Schule P. Schmidts und seiner Mitarbeiter gegangen sind, auch in dieser Hinsicht ausgezeichnet vorbereitet ihren Beruf antreten, daß sie in fernen Ländern nicht nur als Religions-, sondern auch als wahre Kulturbringer wirken, das Alte nicht nur zerstörend, wo Zerstörung nötig ist, sondern auch bewahrend und weiterbildend.

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