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Rätseldiditung

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Das Staunen, sagt Aristoteles, ist und war von Anfang, was die Menschen zum Philosophieren führte,- sie fühlten einen Drang zur Lösung der Rätsel. Sobald der Mensch denkt, nachdenkt, aus dem Schweifenden der im Gemüt aufwogenden Gefühle den gefaßten Gedanken, also auch das besinnliche, Sinn gebende Wort hebt, wird er auch „raten“, sich um Zusammenhang, Sinn zu bemühen haben. Aber das Rätsel selbst ist bereits Kunst, nicht nur bewußtes, die Gedanklichkeit selbst in Besinnung ergreifendes Denken, sondern eine zielende, sich bindende Arbeit des freien Geistes. Das Rätsel ist Dichtung. Eine uralte, ihrem Wesen nach allen Völkern gemeinsame Dichtung. Wie das Märchen und, auf einer späteren, nüchterneren Stufe der Besinnlichkeit, die Fabel. Während sich aber das Märchen, das Gebilde der über die Natur als Wirklichkeit hinaus ins unbegrenzte Vorstellbare schreitenden Anschaulichkeit, an die Einbildungskraft wendet, die Fabel, die nicht nur bildet, sondern das Gebildete auch sogleich als Bedeutendes deutet, an die Urteilskraft und das Vermögen des Schließens, ist das Rätsel, eine Aufgabe, die nach Lösung, Entkernung, nicht Entfaltung begehrt, ein Gegenstand des geistreichen Witzes, der Fähigkeit, nicht so sehr zu schauen und zu erblicken, sich das Dargebotene zu verdeutlichen, sondern etwas, was sich entzieht, im Gedankensprung zu ergreifen, eine scheinbar unterbrochene, in Wahrheit nur verhüllte Verbindung herzustellen.

Das Rätsel, wie es sozusagen den Geist, sich duckend, belauert, aber sich ihm preiszugeben kaum erwarten kann, setzt, als Dichtung, und wär's die volkstümlichste, selbst Geist voraus. Es ist nicht jedermanns Sache, Rätsel zu erdenken, das heißt in Denkform, die als Sprachgestalt auftritt, der Besinnung Sinn aufzugeben. Das reine Rätsel, eine Aufgabe der Sprachbesinnung, die nicht nur wie jede in sich zusammenhängende Mitteilung an das Verständnis sich richtet, vielmehr das Mitzuteilende nicht eigentlich aussagt, sondern hinter der Aussage erst, und zwar als einem Ganzen, dem Feinhörigen vernehmlich macht, das Sinnrätsel — im Gegenstück zur Scharade —, das also nicht in Stücken, einem Nacheinander, das zu Erratende aufträgt, sondern es gleichsam mit jeder Bewegung seiner Glieder und dennoch nicht in Vereinzelung ausdrückt, ist oder sollte sein ein Gedicht, das heißt, vom Rätsel als seinem „Inhalt“ abgesehen, eine in sich vollendete, ihr Maß erreichende Schöpfung in Worten.

Es hat im Deutschen durch Schiller in den Rätseln von „Turandot“, der freien Übertragung eines Märchenschauspiels von Carlo Gozzi, sogleich bei seinem Auftreten oder Wiederauftreten — denn es finden sich schon in früheren Zeiten verwandte Vorgänge — eine Höhe erreicht, die schwer zu übertreffen ist. Geist spielt hier in geschmeidiger Kraft, Anmut leuchtet von Würde, die Vernunft ist sieghafte Schönheit: sie überredet nicht, sie überzeugt von sich selbst. Für die Uraufführung seiner „Turandot“ in Weimar (30. Jänner 1802) nun schrieb Schiller drei Rätsel (nur eins im Anschluß an das Original) und für die vier Wiederholungen des Stückes immer wieder neue, im ganzen vierzehn, dazu kam für die zweite Aufführung eines von Goethe. Dieser nannte in einem Brief an Schiller (2. Februar 1802) dessen Rätsel „entzückte Anschauungen des Gegenstandes“, worauf man eine neue Dichtungsgattung gründen könne. Jedenfalls tragen alle das Gepräge von Schillers hohem Stil und edler Persönlichkeit. So liegt denn auch nicht bei Goethe, sondern bei Schiller die Kopfstation des neueren deutschen Kunsträtsels; auf der Scheitelhöhe seines Ruhms hat er dieser Gattung den poetischen Ritterschlag gegeben. Wie seine Rätsel auf den Freundeskreis aneifernd wirkten, bezeugen die Namen Goethes, Humboldts, Theodor Körners. Dazu kämen noch die Namen der späteren Dichter und Philosophen und auch die vormärzliche Literatur Österreichs, an der Spitze Castelli und der tiefsinnige Enk von der Burg. (Letzterer war übrigens in Melk der Lehrer Friedrich Halms.)

Der Professor an der Wiener Universität, Franz Brentano, gab 1878 in Wien ein Rätselbuch heraus, das er „Aenigmatias“ nannte. Dieses Büchlein formschöner und sehr schwieriger Rätsel aller Arten in Versen erlangte ungeheure Verbreitung und Beliebtheit und erlebte mehrere Auflagen. Sein Hauptverdienst aber bestand darin, daß die „Rätselschüler“ Brentanos zu neuer Arbeit angeregt wurden! Die Tradition wird seither durch eine Reihe von Gelehrten, zum Teil hohen Ranges, und einigen Dichtern aufrechterhalten. Anläßlich der logischen Tendenz des Rätsels ist das nicht weiter verwunderlich.

Scharfes Denken und Unterscheiden, die Gabe des Abstrahierens, das heißt des Absehens von Unwesentlichem, der weite Horizont des Wissens, all das befähigt, wenn man Kleines und Großes nebeneinander nennen darf, zum Rätsel wie zur Wissenschaft. In Wien war es vornehmlich Univ.-Prof. Robert F. Arnold, der durch seine Rätselbücher „Irrgarten“ und „Labyrinth“ sowie durch seine stete Mitarbeit an der bis 1938 von mir geleiteten Kunsträtselrubrik in der „Amtlichen Wiener Zeitung“, der Rätselkunst zahllose neue Freunde erwarb. Heute sind es vor allem Univ.-Prof. Karl W o 1 f f und dessen Gattin Hedda sowie der Beamte der Universität, Regierungsrat S. B o n d y, und der Heiligenstädter Arzt Dr. Karl S t r a k a, deren Rätsel und Rätselbücher eine zahlreiche Hörerschaft finden. Vor mehr als 15 Jahren ist es mir gelungen, die hochbegabten Dichter und Sprachkünstler Richard S c h a u k a 1 und Ernst Glaser zu begeisterten Freunden der Rätseldichtung zu machen. In unzähligen Gesprächen haben wir versucht, eine Theorie des Kunsträtsels aufzustellen; der innere Widerspruch zwischen bildhafter Anschaulichkeit des Gedichts und gleichzeitiger Verschleierung desselben konnte überwunden werden. Schiller hat die meisten seiner Rätselgedichte rein metaphorisch dargestellt — zwar wunderschön, aber zu leicht. Goethe kritisierte das bereits in seinen Briefen. Heute wissen wir, daß die Antithese, der reine Gegensatz, sich am besten zur Dar-: Stellung der Sinnrätsel, also der verschleierten Beschreibung eines Gegenstands zum Beispiel eignet. Richard Schaukai wählte zum Thema seines ersten Rätsels, das er in Sonettform kleidete, das Wort „Schatten“. Er hat das schwierige Thema rein antithetisch, geistreich und in solcher Schöne dargestellt, wie es nur ein wahrhaft großer Sprachkünstler vermag.

Richard Schaukai:

Sonett als Rätsel

Ich bin in Raum und Zeit an Stoff gebannt, Jedoch mitnichten eines Körpers Teil. Als unbeschwerte Fläche wachs ich steil Und falle lautlos von erstiegner Wand.

Ich habe weder Wurzel, noch Bestand, Schrumpfend und schwindend bleib icti dennoch heil, Und wann ich weggeworfen werde, well' Ich wandelbar am nie verlass'nen Rand.

Dunkel, dank ich erscheinend mich dem Licht, Des Geistes bar, schein ich der Dinge Geist, Im Nu gleich ihm dabei von Anbeginn

Und immer wieder, was ich dauernd bin! Unwesenheit, die sich vom Wesen speist, Un-sinn, der schweigend zu den Sinnen spricht.

Wenn ich wenige Sätze vorher Schiller und seine „Turandof'-Rätsel beschworen habe, so geschah es nicht nur in dankbarer Huldigung vor dem erlauchten Genius, der uns wie keiner unserer großen Dichter den Adel des beschwingten Geistes verkörpert: es ist ein Bekenntnis zu diesem Geist, der die tiefste Befugnis zum Rätsel bleibt. Aber auch die anderen Rätselarten lassen sich absolut künstlerisch darstellen. So zum Beispiel das Scharadoid. Hier wird nicht wie bei der Scharade nach grammatikalischen Silben, sondern nach Wortteilen zerlegt, also beispielsweise Eidotter nicht in Ei und Dotter, sondern in Eid und Otter! Da wird also vorerst Eins oder das Erste (Eid) beschrieben, sodann Zwei oder das Zweite (Otter) und hernach das Ganze (Eidotter). Nun drängt sich aber dem Rätseldichter sofort die Frage auf: Stören im Gedicht, denn das soll das Scharadoid oder die Scharade ja sein, nicht die rätseltechnischen Begriffe „Eins“, „Zwei“, „das Ganze“?! Goethe hat in seinem Scharadensonett „Herzlieb“ diese technischen Begriffe geschickt vermieden und es rein künstlerisch dargestellt. Aber er hat es sich leicht gemacht, denn „Herz“ und „lieb“ sind zwei einander sehr nahestehende Wörter, die spielend in Verbindung gebracht werden können. Außerdem ergibt hier das „Ganze“, also „Herzlieb“, den Namen einer Goethe nahestehenden Dame, nämlich Minna Herzlieb. Daraus kann man folgende Theorie ableiten: Sind die Wörter oder Wortteile leicht in einen Zusammenhang zu bringen, so wird der Rätseldichter selbstverständlich die Begriffe „Eins“ oder „Zwei“ usw. völlig vermeiden. Ist dies aber nicht oder nur auf Kosten der poetischen Darstellung möglich, so verwendet man eben die hilfstechnischen Begriffe.

Im Märchen, nicht nur von der chinesischen Königstochter, sondern wie schon in dem griechischen von der Sphinx, die uns zum Inbegriff des Rätsels geworden ist, so in vielen anderen von schönen und stolzen Prinzessinnen, steht auf dem Mißerfolg im Erraten unweigerlich der Tod. Ein merkwürdiger, ein erschütternder Gegensatz: Lösung zugleich Erlösung, Versagen: Untergang. Wir sind bescheidener geworden: wir setzen nichts aufs Spiel, wenn wir ans Raten gehen. Aber von jenem furchtbaren Entweder-Oder bewahrt, wenn nicht der Leser, der als Löser berufen wird, doch im Innersten jeder, der als Dichter es mit dem Rätsel aufnimmt, einen fernen Schauer: das Erraten ist zugleich ein Urteil oder, wie Richard Schaukai sagt: „Niemals vielleicht so wie am Rätsel wird auch dem sonst gegen die Magie der Dichtung Gleichgültigen die Ahnung aufsteigen, daß Sprache als Kunst ein Wagnis ist, das nur der Meister besteht.“

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