6563878-1949_26_11.jpg
Digital In Arbeit

Rasse und Menschheit

Werbung
Werbung
Werbung

Grundfragen der Biologie stehen seit hundert Jahren im Vordergrund, zuerst des weltanschaulichen, dann auch des politischen Interesses. So konnte es nicht wundernehmen, daß das Auftreten des bekannten Anthropologen Professor DDr. Friedirch Falkenburger (Professor an der Universität Mainz, Mitglied des „Institut Franęais d’Anthropologie“) in Wien lebhaften Widerhall in der wissenschaftlich interessierten Welt fand. Professor Falkenburger sprach zunächst über das Thema „Die Rasse in Naturgeschichte undPolitik“. Ausgehend von der von Goethe vertretenen Anschauung, daß nur eine umfassende Ganzheitsforschung zur richtigen Erkenntnis der Menschheit führen kann, versuchte der Vortragende, die biologische Bedeutung des Rassebegriffes zu erklären. Grundlage dafür ist der ältere Artbegriff. Unter Art versteht man eine Gruppe von Lebewesen, die sich durch erscheinungsbildliche Gleichartigkeit, durch Unveränderlichkeit und die gleiche Fortpflanaungsfäihlg- keit der Individuen der Art untereinander auszeichnen. Während die beiden erste- ren nach unseren Erfahrungen keineswegs fest Umrissen und stabil sind, bildet die letzte Eigentümlichkeit das wirkliche Kriterium der Art. Die Menschheit als solche bildet in der Tat eine Art, innerhalb welcher allerdings mannigfaltige erscheinungsbildliche Unterschiede Vorkommen. — Auf den Begriff „Rasse“ übergehend, wies der Vortragende auf die Tatsache hin, daß Luther in seiner Übersetzung des Alten Testaments die berühmte Prophezeiung an das Weib dergestalt übersetzt, daß die Nachkommen ihres „Samens“ von jenen des „Samens“ der Schlange bekämpft werden. In der einige Jahre jüngeren französischen Übersetzung tritt an Stelle des Wortes Samen der Begriff „race“. Ich möchte jedoch darauf hin- weisen, daß in den Werken des italienischen Dichters Franco Sacchetti (1335—1400) nachweislich zum ersten Male überhaupt das Wort „razza“ aufscheint; im Anfang des 16. Jahrhunderts finden wir es dann im Französischen und um die Mitte des gleichen Jahrhunderts bereits auch im Englischen. In der deutschen Sprache wendet Kant 1775 zum erstenmal das Wort „Rasse“ im biologischen Sinne an. Blumenbach spricht noch von „Varietäten“ und Herder lehnt den Begriff Rasse für das Menschengeschlecht überhaupt ab.

In der Biologie selbst wird das Wort Rasse vorwiegend für die durch künstliche Züchtung erzeugten Verschiedenheiten der Haustiere und Kulturpflanzen verwendet, dagegen nennt man alle in der freien Entwicklung sich bildenden Formen der Tier- und Pflanzenwelt Varietäten oder Spielarten und Unterarten. — Der erste bekannte Versuch einer Rassengliederung der Menschheit und zugleich der erste Beleg für den Gebrauch des Wortes „race“ im biologischen Sinne blieb einem Anonymus im Jahre 1684 Vorbehalten.

Die Menschheit zerfällt in erscheinungs- bildilichi verschiedene Formenkreise, die sich durch Selbstdomestikation im Ablauf der Menschheitsgeschichte entwickelt haben. Unrichtig ist es daher, geistig-schöpferische Fähig-keilten nur an das äußere Enebeinu ngsbi 1 d binden zu wollen und aus unverstandenen sprachlichen Begriffen in Verbindung mit einer künstlich geschaffenen geschichtlichen Legende irgendeiner Mensdienfprm die überragende Stellung einer Herrenrasse einräumen zu wollen. Jeder derartige Versuch stellt eine Vergewaltigung wissenschaftlicher Erkenntnisse dar, die, zu politischen Zwecken verwendet, zum Unheil des Menschengeschlechtes werden muß.

In seinem zweiten Vortrag behandelte Falkenburger das Thema „Das Problem der Menschheit“. Ausgehend von der bisher üblichen Gliederung der Menschheit in Früh-, Ur- und Altmenschenformen und dem Streben, diese dem Stammbaum der Primaten anzugliedern, wies der Vortragende auf die neuen Funde des Plesi- und Paranthropus in Südafrika hin. Diese Funde zeigen, daß sich schon frühzeitig eine eigene Entwicklungslinie ausgehildet hat. Hand und Fuß weichen vollkommen von jenen der Groß- und Menschenaffen ab. Die erstere ist im Skelett viel altertümlicher als bei den Menschenaffen, und wir können nach dem Dollo- schen’ Gesetz nicht annehmen, daß ein einmal beschriütener Entwicklungsweg wieder rückläufig gemacht werden kann. Aus der spezialisierten Form der Hanglerhand konnte sich nicht die altertümliche Form der menschlichen Greifhand rückemtwickeln und ebensowenig kann das Skelett des menschlichen Lauffußes aus dem Skelett des Fußes der Menschenaffen erklärt werden, wie dies schon seinerzeit Westenhöf er festgestellt hat. Im Zusammenhänge mit diesen interessanten Erkenntnissen wies Professor Falkenburger noch darauf hin, daß einzig und allein der Mensch aller Zeiten imstande war, wirkliche Werkzeuge, die fehlende Fähigkeiten des Körpers ersetzen können, vermöge der höher entwickelten Feinstruktur des Gehirns zu ersinnen. Dies ist wohl der Beweis dafür, daß die Menschheit einen eigenen W g der Entwicklung eingeschlagen haben muß.

Wir müssen weiter noch die Tatsache berücksichtigen, daß auf Grund verläßlicher Zeitdatierungen der bisher gefundenen Skelettun d Schädelreste unserer Vorfahren nicht die durch ihre primitivere Form tierähnlicher erscheinenden Reste die ältesten sind, vielmehr erscheint auf Grund geologisch einwandfreier Datierung folgende Entwicklungstheorie, die Professor Vallois aufgestellt hat, sich als die derzeit beste zu erweisen. In der Prämindel- und Mindeleiszeit treten die Formen der Prähominiden, des Pithecanthro- pus und Sinanthropus auf. Aus diesem Formenkreis heraus kommt es zur Ausbildung des in der Rißperiode lobenden Ngan- dongmenschen von Java. Der ebenfalls der Mindei periode angehörige Unterkiefer von Mauer bei Heidelberg führt zum Steinheimer- Schädel aus dem Ausgang der Rißperiode. Einerseits entwickelte sich aus diesem der vor allem in der Würmperiode lebende Formenkreis der Neanderthaler, welcher im Rhodesiafund noch in das Holocän heranreicht, und andererseits erfolgt eine Weiterentwicklung zu den Palästinafunden aus dei ausgehenden Riß-Würm-Periode. Gleichzeitig mit dem Pithec- und Sinanthropuskreiä sowie dem Unterkiefer von Mauer tritt in der Mindel-Riß-Periode seine Fortsetzung in Erscheinung, der im Swanscombefund au; der Mindeil-Rißperiode seine Fortsetzung findet und schließlich mit dem aus der Riß- Würm-Periode stammenden Fontethevade. fund derzeit seinen Abschluß findet. Die de; Würmperiode angehörenden Rassenformei des oberen Palädlithikums, die zu dei heutigen Menschenformen überleiten, sine wohl teils, an die Palästina- und teils an di Piltdown - Swanscombe-Fontechevade - Fund anzuschließen. Jedenfalls zeigt sien, dal schon in den ältesten Zeiten der Menschheits geschieht Menschenformen lebten, derei Skelett dem der modernen Menschheit voll kommen gleichzusetzen ist.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung