6565879-1949_45_09.jpg
Digital In Arbeit

Reinkarnation und Karma in christlicher Bewertung

Werbung
Werbung
Werbung

Alljährlich um das Fest Allerseelen melden sich auch die verschiedenen pseudoreligiösen Zirkel zum Wort, um die Fragen nach dem Jenseits nach ihrer Weise zu beantworten. Auch der Neugnostizismus (Theosophie und Anthroposophie) hält zum Thema „Der Tod und was dann?“ seine Antworten bereit und bringt sie in seiner Lehre über Reinkarnation und Karma zum Vortrag. Ob sie gültige Lösungen sind?

Unter Reinkarnation versteht man im neugnostischen Sprachgebrauch das Gesetz der Wiederverkörperung. Es steht im Zusammenhang mit der pantheistischen Lehre der Theosophie und Anthroposophie über die Involution und Evolution der „Monade“, die von der pantheistisch gedachten Allgottheit ausgeht, im Herabstieg aus ihr (Involution) über die drei Reiche der Natur (Mineral-, Pflanzen- und Tierreich) die Ebene des Menschenwesen erreicht, um in aufsteigender Entwicklung (Evolution) wieder zu ihr zurückzukehren. Dieser Weg bedingt die Notwendigkeit der Wiederverkörperung auf einer immer höheren Entwicklungs- und Bewußtseinsstufe; in bezug auf den Menschen: zum Beispiel das Wiedergeboren- werden eines Wilden in einem höher entwickelten Menschentyp.

Reinkarnation hat also mit Seelenwanderung im Sinne der Metempsychose nichts zu tun. Kein Zauber bannt eine menschliche Seele im Strafvollzug in einen Tierleib oder verwandelt sie in einen Baum und dergleichen, sondern ein Gesetz läuft ab, das Gesetz der Reinkarnation als Begleitgesetz des großen pantheistischen Evolutionsgesetzes. Nach dem Tode, so lehrt die Theosophie und in ähnlicher Weise auch die Anthroposophie, lebt die Seele eine kurze Zeit in der „Astralwelt“ und nach der Auflösung ihres Astralkörpers durchschnittlich einige Jahrhunderte in der niederen Mentalwelt oder „Devachan“. Dort genießt sie eine zeitweilige Glückseligkeit durch Erfüllung aller nicht erfüllten Erwartungen und Wünsche. Hat sich die Kraft ihres Strebens ausgewirkt, legt die Seele auch den Mentalkörper ab. Wenn die Entwicklung zum vollen Menschen noch nicht abgeschlossen ist, so fühlt die Seele (Ego) den Drang nach Wiederverkörperung, nimmt der Reihe nach wieder einen Mental-, Astral- und physischen Körper an und wird in der uns sichtbaren Welt geboren: sie hat sich „reinkarniert“.

Die Zeit zwischen Geburt und Tod (= Inkarnation) ist nur ein Teil des eigentlichen Lebens; es ist das Erdenleben der „Person“, nicht aber das der Seele oder „Individualität“, welche ohne physischen Körper in anderen Bewußtseinszuständen ungeheure Zeiträume durchlebt. In der Wiederverkörperung soll der Seele die Möglichkeit geboten werden, sich durch die Erfahrungen der einzelnen Inkarnationen das nächste Leibesleben besser zu gestalten. Nach vielen Hunderten von Leben wird sie dann jene Entwicklungshöhe erreichen, wo sie über der Notwendigkeit der Wiederverkörperung steht; sie wird reif genug geworden sein, um in die höheren Welten jenseits der Mentalwelt endlich in die göttliche Welt einzugehen.

Wie der einzelne Mensch, so unterliegt auch die Erde und die ganze Planetenkette, der sie angehört, dem Gesetz der Reinkarnation. Denn der Evolutionsprozeß vollzieht sich nur auf Grund wiederholter Reinkarnationen, eben durch die Verfeinerung der physischen Körper und ihrer seelischen Fähigkeiten. Die Beherrschung der Welten ist das angestrebte Ziel, mit dem die Gott- werdung des Menschen verbunden ist. Denn das im Menschen schon vorhandene göttliche Leben — die göttliche „Monade“ in ihm — soll sich durch die Entwicklung immer mehr seiner selbst bewußt werden, das heißt, der Mensch soll ein immer tauglicheres Gefäß abgeben, das mit göttlichem Leben erfüllt werden kann, damit am Ende der fertige „Gottmensch“ im neugnostischen Sinne — besser „Menschgott“ — dasteht. Es ist im Grunde nichts anderes als der Kampf um die gottmenschliche Gestalt Jesu Christi, um seine E n t göttlichung durch die grundsätzliche V e r gottung des Menschen.

Im innigsten Zusammenhang mit der Reinkarnationslehre steht das Gesetz des Karma. Karma (= Tat) ist das ethische Kausalgesetz von Ursache und Wirkung. Unsere Gedanken, Worte und Taten, so lehrt der pantheistische Neugnostizismus,

bringen für das nächste Leibesleben eine bestimmte Wirkung hervor, die nur vom Gesichtspunkte der Kausalität aus zu beurteilen sei. Da es für Ursache und Wirkung an sich keinerlei Lohn oder Strafe geben kann, können auch unsere Taten weder eine Belohnung (Himmel) noch eine Bestrafung (Hölle, Fegefeuer) zur Folge haben.

Das Gesetz des Karma ist ein Gesetz seelenloser Mechanik, in dem Wirkung und Rückwirkung in unerbittlicher Konsequenz einander ablösen. Nur eine Kraft ist am Werk, eine Kraft, deren Wirkungen sich einfach zu Ende wirken müssen. In der physischen Welt wirkt sie als Bewegung, in der Astralwelt als Gefühle und in der Mentalwelt als Gedanken, wobei der physische Körper, der Astral- und Mentalkörper das vermittelnde Glied bilden.

Es ist klar, daß in einem mechanisch wirkenden Kausalgesetz, wie man es in Theosophie und Anthroposophie annimmt, die Begriffe „gut“ und „bös“ ihre ursprünglich rein religiöse Bedeutung einbüßen und in ihrem sittlichen Wert aufgehoben werden. Denn „gut“ ist nur, was den Evolutionsplan unterstützt, „bös“ nur, was ihn hindert'. Diese Förderung oder Hinderung des Evolutionsplans bewirkt gutes oder böses Karma. Damit steht die Karmalehre im schwersten Gegensatz zur christlichen Vergeltungslehre, die die Begriffe „gut" und „bös“ nur als ein Ja oder Nein zum vom persönlichen Gott gegebenen Gebot erkennt. Die ganze Öde des pantheistischen Gottęsbegriffes wird hier fühlbar: Liebe kann sich nicht betätigen durch Beobachtung der Gebote eines höch sten und persönlichen Gesetzgebers — sie erstarrt in der Umarmung des eigenen vergotteten Ichs. Die gute Handlung sinkt zum „karmischen Vorteil" herab und die böse hört auf, Sünde zu sein; sie ist nur die Verursachung „karmischer Schmerzen“ und nur deshalb zu unterlassen. — Beim Eintritt in' die Welt bringt der Mensch sein Karma an Gut und Böse schon mit; die „Herren des Karma“ haben eine sorgsame Auslese davon getroffen. Die „Herren des Karma" sind Geistwesen (Devas), welche die ibge- lehnte Person des Schöpfers, der das Gute belohnt und das Böse bestraft, ersetzen müssen. Hier wird die Verlegenheit des Neugnostizismus um den Ausfall dessperso- nalen Moments recht deutlich; immer wieder muß ein Persönlichkeitsersatz ausgedacht werden.

Es ist nun nicht von der Hand zu weisen, daß die Reinkarnation- und Karmalehre eine gewisse Anziehungskraft für manche Kreise der Intelligenz besitzen. Denn diese Lehre gibt viel Raum für eigene gedankliche Spekulationen, die in unserer Zeit vielfach die echte religiöse Haltung dem Göttlichen gegenüber verdrängen: über Gott in moralisch unverbindlicher W eise zuspekulierenund zu diskutieren ist leichter, als ihm durch Glaube, Sitte und Kult mit persönlichem Einsatz zu dienen. Und es ist leichter, die sittliche Anstrengung auf eine Reihe von Leben aufzuteilen, unbesorgt um die Erreichung des Zieles, denn dieses muß nach Absolvierung der Inkarnationen auf jeden Fall erreicht werden, bedingt durch das Evolutionsgesetz. Die Aufhebung der moralischen Wertunterschiede ist ein weiterer Faktor, der schwer ins Gewicht fällt. Es ist nach dieser Lehre kein Unterschied zwischen einem Heiligen und einem Verbrecher: beide durchlaufen dieselbe Bahn des unabänderlichen Reinkarnationsgesetzes; sie stehen nur im Augenblick auf verschiedenen Entwicklungs-, nicht aber moralischen Wertstufen. „Der Böse ist keine böse Seele", erklärt C. Jinarajadasa, der Präsident der Theosophischen Gesellschaft, „er ist bloß der irdische Vertreter einer unentwickelten Seele, deren Energien noch zu schwach sind, um ihren irdischen Vertreter zu meistern“. Welch gefährliche Lehre, wenn man sie kritisch beurteilt. Ein kritischer Beurteiler — auch wenn er außerhalb eines Offenbarungsglaubens steht — wird sehr bald erkennen,

daß die christliche Lehre über die „vier letzten Dinge“ (Eschatologie), das ist über Tod, Gericht, Himmel und Hölle, unendlich erhaben ist über alle hypothetischen „Rein- karnations-" und „Karmalehren".

Dieser christlichen Lehre gilt der besonders heftige Kampf des Neugnostizismus, der die Vorstellungen über die Zuständlichkeiten der Seele nach dem Tode als „unzureichende Gebilde mönchischer Phantasie“ erklärt. Der Zweck dieser Diskreditierung ist, den Begriff „Sünde“ aus der Welt zu schaffen; er ist nicht brauchbar für autonomistische Lehrsysteme, welche dem Menschen in pantheistischer Überheblichkeit die göttliche Natur zusprechen und ihn einen Entwicklungsweg vom „potentiellen Gott“ zum „effektiven Gott“ gehen läßt. So werden die Gesetze von Reinkarnation und Karma als Ausweg herangezogen, um um die Tatsache des sündigenden Menschen einigermaßen herumzukommen. Wie gerade und unanfechtbar ist diesen Windungen gegenüber die klare Lehre des Christentums:

In der christlichen Heilsordnung ist der Tod eine Folge der Erbsünde, da die Gabe der leiblichen Unsterblichkeit durch Adams Sündenfall verlorengegangen ist. Der Tod ist allgemein und einmalig. Es gibt keine Wiederverkörperung, sondern mit dem Tode ist die Zeit für Verdienst und Mißverdienst abgelaufen; eine prinzipielle Änderung seiner Gesinnung und eine wesentliche Umgestaltung seines Loses findet nachher nicht mehr statt. Sofort nach dem Tode wird der Mensch in einem besondern Gericht nach seinen Gesinnungen und Werken gerichtet. Die Seele erkennt im göttlichen Licht, ob sie der Seligkeit oder der Verdammnis wert ist. In diesem Erkenntnislicht beginnt für sie der Himmel oder die Hölle, beziehungsweise Fegefeuer. Die belegenden Schriftstellen sind so eindeutig, daß es keinen Zweifel geben kann: es gibt nur ein Leben, das Gott dem Menschen schenkt, damit sich dieser mit voller Willensfreiheit für ihn oder gegen ihn einmalig und 'unwiderruflich entscheide.

Die Reinkarnations- und Karmalehre kommt aus der Hybris des Pantheismus und führt in die Tragödie des verlorenen Spiels mit Ewigkeitswerten. Oder wäre es keine Tragödie der Irrungen“, mit einer Summe von Leben zu rechnen, indessen nur eines gegeben wird, und zwar gegeben wird zur einmaligen Bewährung in der Zeit, um eine Ewigkeit in Besitz zu nehmen?

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung