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Religion und Offenbarung

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Zweimal und zweifach spricht der katholische Philosoph und Theologe über Offenbarung: einmal in der' Religionsphilosophie und natürlichen Theologie über Offenbarung in einem allgemein religiösen Begriffe, und zum andernmal in der Theologie als Glaubenswissenschaft über Offenbarung im besonderen oder eigentlich göttlichen Sinne. Diese Unterscheidung zwischen natürlicher und übernatürlicher Offenbarung hat ihr gutes Recht; aber sie ist nicht ohne mannigfache und tiefgehende Schwierigkeiten. Darf die natürliche Offenbarung ohne weiteres gleichgesetzt werden mit Gottes Offenbarung in Seiner Schöpfung? Ist das, was der Philosoph von den Griechen her unter Natur versteht, dasselbe wie das, was der Christ von der Bibel her als Kreatur empfindet? Besagt Kreatur nicht Natur über sich hinaus, das heißt eine Natur, die nicht in sich geschlossen gedacht werden darf, sondern die offen bleibt für eine höhere Offenbarung? Diese greift über die Natur als solche hinaus und läßt sie einer Vollendung teilhaft werden, die nicht aus den Kräften der reinen Natur, wohl aber aus der freien und schenkenden Güte Gottes herkommt. Und ist das Verständnis • der Natur als Kreatur nicht zugleich das Bekenntnis zur herrscherlichen Freiheit des Gottes, der zu seinem Geschöpf nicht in einem naturgesetzlichen Verhältnis, zum Beispiel des „unbewegten Erstbewegers“, steht, sondern der mit seinem Geschöpf auf dem Wege freier Gnade walten kann? Und meinen ferner 1 religiöse Menschen aller Religionen unter der Offenbarung, auf die auch sie sich berufen, nicht etwas anderes als das, was der katholische Theologe unter natürlicher Offenbarung begreift? Es gibt zweifellos natürliche Theologie; denn diese ist eine Sache des philosophischen Nachdenkens. Aber gibt es natürliche Religion als lebendiges religiöses Verhalten, das noch ursprünglich religiös ist und nicht schon eine nachträgliche philosophische Reflexion darstellt? Erleben die religiösen Menschen, die sich außerhalb der christlichen Offenbarung befinden, ihr Religiöses als etwas rein Natürliches? Dagegen sprechen die Tatsachen, die von der Religionswissenschaft erarbeitet wurden, und die Phänomene, von deren schlichter Beschreibung die Religionsphilosophie anheben muß.' So ursprünglich religiöse Geister wie Pascal und Newman, die beiden größten Religionsphilosophen katholischer Prägung in der Neuzeit, haben darum mit dem Begriff einer natürlichen Religion (wohlgemerkt Religion, nicht natürlicher Theologie) nichts Rechtes anzufangen gewußt. In Wahrheit stellt die Religionsphilosophie so der katholischen Theologie im Hinblick auf deren Unterscheidung zwischen natürlicher und übernatürlicher Offenbarung eine Frage, an der sie weiterhin nicht mehr so einfach vorübergehen kann, wie sie das bisher meistens getan hat.

Diesen bedeutsamen Fragenkreis, der zur Zeit auch besonders manche namhaften französischen Theologen bewegt, behandelte G'o t tlieb-S öhng en, Professor der Fundamentaltheologie an der MünchenerUniversität, bei denSalzburger Hochschulwochen und lieferte so im Rahmen des Gesamtprogramms „Das geistige Leben der Gegenwart im Licht gläubiger Weltverantwortung“ einen Beitrag zur „Situation und Problematik, der heutigen Theologie“. Jede der fünf Vorlesungen bot ein abgerundetes Teilbild des Ganzen.

In der ersten Vorlesung erläuterte der Vortragende die religiöse Offenbarung durch den augustinischen Begriff der Erleuchtung. Zum göttlichen Licht gehört als Hintergrund die Finsternis im doppelten Sinne der heiligen und der unheiligen Nacht. Das göttliche Licht leuchtet aus dem Dunkel des heiligen. Geheimnisses; und es leuchtet in die Schatten der unheiligen Welt und des unheiligen Menschen und legt sie bloß. Wem die Himmelslichter noch religio im ursprünglichen, gegenständlichen Sinne dieses Wortes haben wie dem Sophokles im Helioslied der „Antigone“, der sieht ihr Licht als ein anderes, unweltliches Licht und in einem anderen Licht als etwa Anaxagoras, der Sonne, Mond und Sterne für glühende Steinmassen ausgab und so die philosophische Entgötterung und Versachlichung der Welt mitvollzog. Es gibt aber auch die ganz andere, religiöse Entgötterung der Welt wie in der prophetischen Frömmigkeit, eine geradezu leidenschaftliche Entmachtung und Entmythung der Welt und des Menschen von der Königsherrschaft Gottes her. Himmel und Erde sind auch hier voll der Herrlichkeit oder des Lichtglanzes Gottes, aber in einem Sinne, der von der antiken, griechischen Naturfrömmigkeit grundverschieden ist. Der Sonnengesang des Armen von Assisi ist von der Kreaturfrömmigkeit eingegeben, wie sie ihren gültigen Ausdruck im Psalter gefunden hat. Sonne, Mond und Sterne, Wind, Wasser, Feuer und Mutter Erde und endlich selbst der Tod sind unsere Brüder und Schwestern, das heißt sie gehören nicht wie die homerischen Götter und Halbgötter zum olympischen Familienkreis der Ewigen, sondern zur großen Weltsippe der Kreaturen. Philosophische und prophetische Entgötterung der Welt unterscheiden sich wie Philosoph und Prophet; dennoch wurde verständlicherweise die griechische Philosophie mit ihrer Versachlichung der Welt zur Wegbereiterin für den Siegeszug der prophetischen und christlichen Kreaturfrömmigkeit durch die antike Welt.

Freilich, so führte die zweite Vorlesung aus, ist an Augustins Erleuchtungslehre zu beanstanden, daß er die göttliche Erleuchtung für den ganzen Bereich der geistigen Erkenntnis geltend macht, wodurch die Erleuchtung in ihrer religiösen Sonderbedeutung abgeschwächt wird. Thomas von Aquin räumt dagegen der göttlichen Erleuchtung eine religiöse, oder nach seiner Ausdrucksweise übernatürliche Sonderstellung ein, indem er sauber zwischen übernatürlicher und natürlicher Erkenntnis, zwischen Glaubenswissen und Vernunftwissen unterscheidet. Hinter diese Unterscheidung können wir nicht mehr zurück; aber es gilt, die beiden Ordnungen in ihrer lebendigen Beziehungsfülle zu verstehen und eine Synthese von Augustin und Thomas zu erarbeiten, wie Thomas sich selber um eine Synthese von Augustin und Aristoteles bemüht hat. Die neuzeitliche Religionswissenschaft und Religionsphilosophie stellt den katholischen Theologen und Philosophen im Hinblick auf jene alte Unterscheidung vor neue Fragen.

In der dritten, Vorlesung wurde die -religiöse Offenbarung von ihrem Gegenstande her bestimmt. Der Offenbarung ist das Mysterium oder Geheimnis zugeordnet. Wo das Geheimnis aufhört, da auch die Religion. Dabei ist es wichtig, den phänomenologischen Unterschied zwischen religiösem Mysterium und wissenschaftlichem Problem vor Augen zu haben, damit das Gottesmysterium nicht mit dem Gottesproblem einfach verwechselt werde. Das Geheimnis ist aller echten Religion liebstes Kind — ein Wort Goethes abzuwandeln. Die Erhellung des Geheimnisses löst dieses nicht auf, sondern macht es erst recht groß. Soweit aber ein Problem gelöst werden kann, wird es als Problem aufgelöst.

Die vierte Vorlesung wurde zur Schlüsselvorlesung. Ihr bedeutendes Anliegen war, die lebensvolle Integration oder Verklärung der Natur durch das Ubernatürliche in ihrer heilsgeschichtlichen Bewegung zu entfalten. Der Christ sieht die Schöpfung und ihren Gottes-glanz auf dem Antlitze Christi erstrahlen und hört die Kreatur nach der Freiheit der Kinder Gottes seufzen, wie Paulus sagt. Und einst werden wir einen neuen Himmel und eine neue Erde mit den Augen Gottes, nämlich im Lichte unserer seligen Gottschau, sehen; die unsterblichen Meisterwerke des Menschengeistes werden am Ende der Geschichte nicht einfach verlöschen, sondern im Licht, das Gott selbst ist, neu aufleuchten. Sogar für die trümmerhafte Möglichkeit

einer Gotteserkenntnis im zerbrochenen Gottesspiegel der Kreatur, also bei den Heiden, gibt es noch einen Rest von Integratioja, freilich diese Integration nicht mehr als wirksame Kraft, sondern als Sehnsucht nach einem verlorenen Paradies und nach glückseligem Leben in einer paradiesischen Gottschau. Im Zusammenhang mit der Integration wurde die Spiegelung nach ihrem religiösen Begriff und ihr religiöses Doppelwesen verdeutlicht, die Spiegelung des Ubernatürlichen im Natürlichen und die mystische Spiegelung des Natürlichen im Ubernatürlichen.

Die fünfte und letzte Vorlesung wies die große Bedeutung des Gefühls im Gotthaben auf. Die alte Affektenlehre ist eine beachtliche psychologische Leistung, reicht aber nicht aus. Doch auch die Dreiteilung der seelischen Grundvermögen in Erkennen, Wollen und Fühlen befriedigt in der Form, die ihr Tetens und Kant gegeben haben, ebensowenig .wie die alte Zweiteilung in Erkennen und Streben. Was dagegen Pascal sentiment oder Gefühl nennt, ist das augustinische cor oder Herz als ursprüngliche Einheit von intellectus und amor. Solches Gefühl zeigt sich in der Dreiheit von Gefuhlsgrund, Gefühlsgehalt und Gefühlsgestalt: aus dem noch dunklen Gefühlsgrund durch die Erhellung und Ausrichtung des Gefühlsgehaltes im Erkennen und Wollen zur gelichteten und ausgerichteten Gefühlsgestalt! Wie der Wappensprueh des Kardinals Newman.so schön lautete: Cor ad cor loquitur. Das Herz redet mittels seines Verstandes und seiner Liebe wieder zum Herzen und auf das Herz hin.

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