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Religion und Sozialismus

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In der Diskussion - über die Stellung des Christentums und der Katholischen Kirche zum Sozialismus wird immer wieder hervorgekehrt, daß die Kirche die Pflicht habe, wie Professor Dr. Gundlach ausführte, „zur Wahrung der Gottesordnung in Staat und Kirche Stellung zu nehmen“.

Der Sozialismus müßte aus religiösen Gründen abgelehnt werden, da es ihm um ein irdisches Ziel und eine innerweltliche Begründung geht. Er sieht in der Religion eine Erscheinung, die völlig subjektiven Charakter hat. Die zweite Möglichkeit, nämlich eine aus der menschlichen Vernunft sich ergebende Begründung im Sinne einer naturrechtlichen Ordnung, wird vom Großteil der Anhänger des demokratischen Sozialismus ebenfalls abgewiesen, weil sie angeblich einer wissenschaftlichen Ueberprüfung nicht standhält'.

Nun bleibt sich sowohl das sozialistische wie das naturrechtliche Ordnungsbild nur in seinem Grundgehalt (den immer gültigen, aus der Natur des Menschen, seinem geistigen Wesensgrund stammenden sittlichen Forderungen) treu, paßt sich aber ansonsten dem gesellschaftlichen Wandel an. Die Katholische Kirche mußte auch ihren am Ausgang des Mittelalters eingenommenen Standpunkt revidieren, da sich beispielsweise Zinsendienst, die Preisgabe der festen Bindung an den Arbeitsort sowie die Auflockerung der patriarchalischen und der Familienbande mit dem Christentum nicht vereinbaren lassen.

Die Katholische Kirche lehnt es ab, in der Gesellschaft eine rein äußere Nutzveranstaltung zu sehen. Nach Gottes Willen und Plan ist das irdische Leben der Erwartung des überirdischen gewidmet. Wenn der Sozialismus — bedingt durch die Erfahrungen und die Notwendigkeit der Abwehr von Gefahren — von materiellen zu ethischen Maximen vorstößt, muß das doch als Konsequenz eine fortschreitende Annäherung der Anschauungen zur Folge haben. Es bleibt nur der Gegensatz, daß das Christentum sein Welt- und Menschenbild als von Gott gegeben, der sozialistische Atheist es als ethisches Prinzip, als natürliches Sittengesetz, welches die Menschheit sich selbst gegeben hat, betrachtet. Aber letztlich zählen auch auf der Waage des Jüngsten Gerichtes nur die Taten, zählt, wie der Mensch gelebt, ob er gut oder böse war.

Es sind keine taktischen Fragen, die die fortschrittlichen Sozialisten veranlassen, für eine Revision der Stellungnahme zur Religion und gegen veraltete Anschauungen und Vorurteile einzutreten. Es ist die Sorge um die Zukunft, das Verantwortungsgefühl gegenüber der Menschheit und ihren Weg. Die gleichen Gründe sollte auch die katho’ischen Theoretiker und Theologen veranlassen, das Einigende und nicht das Trennende zu suchen.

Die Zukunft stellt an die Katholische Kirche große Aufgaben, bei deren Bewältigung es nicht gleichgültig sein wird, welche Haltung die

Arbeiterschaft ihr gegenüber einnimmt. Die Katholische Kirche steht erst am Anfang ihrer Missionsaufgabe unter den Arbeitern.

Die geistige Situation der Arbeiterschaft ist heute wesentlich anders als noch vor zwei Jahrzehnten. Die Arbeiter haben sich von ihrer Klasse emanzipiert, sie sind Individualisten geworden; in ihrem Privatleben sind sie Bürger wie jeder andere, geblieben ist nur ihre wirtschaftliche Abhängigkeit als unselbständige Erwerbstätige. Die Beziehungen zur Gewerkschaft und Partei sind meist sachlicher und nicht mehr ideeller Natur. Die gefühlsmäßigen Bindungen sind mit dem steigenden Wohlstand, der dadurch errungenen Unabhängigkeit und dem erworbenen Selbstbewußtsein meist verlorengegangen.

In seelischer Hinsicht gibt es ein Vakuum. Die gegenwärtige Situation befriedigt nicht, denn eine nur sachliche Bindung ist zuwenig fest und hält wahrscheinlich Zerreißproben nicht stand. Deshalb auch das Bemühen um ethische Untermauerung des Sozialismus, um einen sittlichen Ueberbau, der jedoch nur als moralischer Imperativ gedacht ist, wobei es dem Willensentscheid jedes einzelnen überlassen bleiben soll, ob dessen Grundlagen religiöser oder metaphysischer Natur sind.

Die großen wissenschaftlichen Erkenntnisse und technischen Errungenschaften der Gegenwart, der Blick in die Urgründe der Materie und der Vorstoß in den Weltenraum haben dem Menschen die unergründliche Gewaltigkeit der Natur und seine eigene Nichtigkeit gezeigt, so daß er heute weiter denn je davon entfernt ist,; 'zu erkennen, was ’die "Weit im Tnnerstet zu-j sammenhält“.

„Ignoramus et ignorabimus“ („Wir wissen es nicht und wir werden es nicht wissen“) erklärte 1890 der Berliner Physiologe Du Bois-Reymond. Je weiter unsere Wissenschaft vordringt, je mehr der Welträtsel sie enträtselt, desto größere neue entstehen. Voller Wunder und Rätsel ist der Kosmos.

Religion wird daher gerade in Gegenwart und Zukunft auch durchaus fortschrittlich denkenden

Menschen den „Halt im Unendlichen“ geben können, falls sie seiner angesichts der durch keine Wissenschaft zu enträtselnden Welträtsel bedürfen.

Hier ersteht also der Kirche ein weites Feld für ihr Missionswerk. Sie hat es leichter als in der Vergangenheit, denn sie hat in der freien Welt nicht mehr gegen die feindliche Ideologie einer Klasse anzukämpfen, ihr steht nicht mehr eine Sozialistische Partei als Gegner gegenüber, sie hat nur um die Seele des einzelnen zu ringen. Aber das war seit jeher die Aufgabe des Christentums.

In den bemerkenswerten Ergebnissen einer Untersuchung2, wie heute der Arbeiter zur Katholischen Kirche steht, kommt zum Ausdruck, daß sich die Arbeiterschaft keine Aende- rung ihrer Lage durch die Katholische Kirche erwartet. Das Vertrauen in die Kirche ist auf diesem Gebiet total erschüttert. Dem kirchentreuen, trotzdem längst „roten Arbeiter" ist zwar der Pfarrer eine Respektperson nach wie vor, aber in den Belangen der Aenderung seiner sozialen und gesellschaftlichen Situation hält er sich mehr zur Gewerkschaft und Partei.

Die Untersuchung kommt zur Feststellung, daß die Schuld Jahrzehnte, ja Jahrhunderte zurückliegt und es heute darum gehe, das Vertrauen zurückzugewinnen.

Es handelt sich heute aber gar nicht darum, die Kirche als Kämpferin für die Hebung der Klassenlage der Arbeiter zu gewinnen, entscheidend ist, in welchem Ausmaß es der Kirche gelingt, Vertrauen in Kreisen der Arbeiterschaft zu erreichen. Ihre Missionsaufgabe wird sie um so leichter erfüllen können, je mehr die Arbeiter die Ueberzeugung gewinnen, daß die Kirche keine Gegnerin ihrer Interessenvertretungen ist, die sich um die soziale und wirtschaftliche Verbesserung ihrer Lage bemühen.N

Zu dieser großen, sich vorwiegend auf die abendländische Welt erstreckenden Missionsaufgabe des Christentums kommt aber die zweite in den weiten Gebieten der Erde, deren Völker zum Selbstbewußtsein erwachen. Der Katholizis mus ist nur eine der großen Weltreligionen. Zwischen den Glaubensgemeinschaften wird ein Ringen um die Seelen beginnen. Die nationalen Erhebungen stützen sich vielfach auf religiöse Motive, entstammend den Religionen dieser Völker. Das kann die bisherige Missionsarbeit der Katholischen Kirche gefährden.

Die Kirche wird daher versuchen müssen, diesa nationalrevolutionäTe Hochflut auf sicheren Inseln zu überdauern. Je mehr sie imstande ist, Lehre und Wirken sichtbar in Uebereinstimmung zu bringen, desto größere Anziehungskraft kann sie dann auf die Völker ausüben, die enttäuscht aus ihrer Betäubung erwachen werden, wenn die Flut zurückgeht.

Schließlich ist noch der unter kommunistischer Herrschaft stehende große Raum einer zukünftigen Missionsarbeit offen, denn die Frage ist unbeantwortet geblieben, ob die kommunistische Ideologie dort das seelische Vakuum füllen kann. Die Stärke des Einflusses auf die Arbeiter des Westens wird dann dort sehr ins Gewicht fallen.

Das Christentum steht also heute am Beginn bedeutender Missionsaufgaben, und es könnte der

Welt unendlich viel geben. Die Diskussion über Religion und Sozialismus sollte daher mit dem Blick auf einen weiten Horizont geführt werden. Zugegeben, daß es selbst für eine große Bewegung, wie sie der Sozialismus darstellt vermessen wäre,' dem Christentum und der, Kirche ihre Verhaltensweise vorschreiben zu wollen, aber in der Diskussion steht jeder Seite das Recht zu, Für und Wider ins Treffen zu führen.

Joh. Schasching SJ.: „Sozialismus und Weltanschauung“ in „Der Große Entschluß“, Heft Jänner 1959, Seiten 165 ff.

Veröffentlicht in der Märznummer 1959 der Monatsschrift „Der nächste Schritt“, Werkblatt der Katholischen Männerbewegung.

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