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REVUE IM AUSLAND

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In der Aprilnummer der „E t u d e s" behandelt Pierre D o u r n e s „D i e humanistische Orientierung der neuen französischen Soziologe e". Die Soziologie, in Frankreich lange vernachlässigt, beziehungsweise nur durch die positivistische Dürkheim-Sdiule vertreten, erlebe heute eine Erneuerung durch das subjektive, psycho logische Element, das von verschiedenen Seiten unter deutlich erkennbarem Einfluß der Strömungen in der zeitgenössischen französischen Philosophie, in die Soziologie eingeführt wurde, von Monnerot, Beauvoir, Friedmann und vor allem von G u r v i t c h, der die französische Wissenschaft mit den Methoden und Ergebnissen der amerikanischen Soziologie bekanntmache und der zugleich mit seiner Forderung nach einer „Soziologie des Geistes“ seine Wissenschaft wieder näher an ihre Mutter, die Philosophie, heranzurücken suche. Auch die Religion, für die sich die Dürkheim-Schule nur in ihren rudimentären oder entarteten Formen interessiert hätte, werde jetzt von der Soziologie in den Kreis ihrer Forschungen gezogen, so von L e B r a s, der bei seinen Untersuchungen von der christlichen Religion unserer zeitgenössischen Gesellschaftsgruppen ausgehe. Für die innere wie für die außereuropäische Mission seien diese soziologischen Untersuchungen zudem von eminenter praktischer Bedeutung, wie überhaupt neben der reinen Erkenntnis heute auch die praktische Auswertung im sozialen Handeln stärker in den Vordergrund trete.

„Erscheint es nicht als ein tröstliches Zeichen, daß in einer Zeit, in der wie nie zuvor die Sache des Menschen bedroht ist, Gelehrte, die aus allen Himmelsrichtungen des Denkens kommen, sich treffen und in ihrer For- sdrungsmethode wie in ihren Ergebnissen alle auf ihre Weise einen gemeinsamen Willen zeigen, die Fundamente eines neuen Humanismus zu legen, der den Kenntnissen und Wirkungsmöglichkeiten unserer _ Zeit entspricht?"

Die englische Zeitschrift „T h e Mont h" bringt in ihrer Märznummer einen großen Artikel von F. C. C o p 1 e s t o n : „Die Flucht vor der Metaphysik In Anlehnung an die Gedankengänge, welche sein Freund Peter Wust in seinem posthum erschienenen Buch „Der Mensch und die Philosophie“ (Münster 1946) entwickelt hat, stellt der englische Philosoph die Frage, warum die Philosophie und besonders die Metaphysik so „arm“ seien, das'-heißt nicht wie die anderen Wissenschaften über einen gesicherten Schatz fester, allgemein anerkannter Grundlagen verfügten. Im Gegenteil, auf die Epochen, welche große metaphysische Systme entwickelt hätten, wären wie zwangsläufig immer Zeiten der Auflösung durch Kritizismus und Skeptizismus gefolgt. Einer der Gründe Hege, so meint Copleston, wohl in dem Doppelcharakter jeder Philosophie, die immer sowohl Frage als Antwort sei und die daher stets zwischen den beiden Grenzfällen dogmatischer Erstarrung und skeptischer Auflösung — welche beide im Extrem das Ende alles Philosophierens bedeuten — in Wellenbewegungen hin und her gehe. Der Grund für diese Spannung aber liege wohl in dem Gegensatz zwischen der Unbegrenztheit des Gegenstandes und der Begrenztheit des menschlichen Geistes. Daraus ergäben sich die Möglichkeiten einer Bescheidung vor der Unerkennbarkeit des Absoluten, einer Leugnung seiner Existenz oder des Versuches, dennoch mit rationalen Mitteln hinter den Schleier des Geheimnisses zu dringen — ein Versuch, der nach seinem Scheitern dann doch immer wieder eine der beiden anderen Haltungen nach sich ziehe. Da zudem die zentrale Frage der Existenz des Absoluten nicht nur ein wissenschaftliches „Problem“ im Sinne der Terminologie Gabriel Marcels, sondern eine das ganze Sein des Fragenden bestimmende Entscheidung darstelle, spiele das Subjekt des Philosophen hier eine noch viel wichtigere Rolle als in allen anderen Wissenschaften.

„Zusammen fassend möchte ich daher sagen, daß teils infolge der verschiedenartigen Veranlagung der Philosophen, teils infolge der Entwicklung der verschiedenen Wissenschaften, teils infolge des wechselnden Verlaufs der Geschichte in ihren verschiedene Aspekten metaphysisdie Systeme kaum anders als relativ unbeständig sein können; aber die grundlegende Ursache für diese Unbeständigkeit liegt, wie gesagt, in der Natur des Subjekts uftd in der Natur des Objekts. Diese Überlegungen eines Historikers der Philosophie verfolgen nicht das Ziel, stillschweigend' den Skeptizismus zu fördern oder zu behaupten, daß jedes System falsch sei: sie sollen vielmehr gewisse Seiten eines Problems erhellen, das sich unweigerlich erhebt, wenn man die Möglichkeit einer metaphysischen Wissenschaft annimmt; und die nicht einfach durch den simplistischen Kurzschluß gelöst werden können, daß man alle, die einen von dem eigenen verschiedenen philosophischen Standpunkt vertreten, als Narren oder Schurken bezeichnet.“

Das geistige Leben Italiens wird auch heute noch weitgehend bestimmt durch die Auseinandersetzung der jüngeren Generation mit dem wahrhaft zyklopischen Lebenswerk Benedetto Croce.s. Wenn der greise Philosoph, Historiker und Politiker auch allenthalben größte persönliche Verehrung genießt, so sind in dieser Auseinandersetzung doch auch kritische Stimmen zu vernehmen. In der literarischen Wochenschrift „La Fiera L e 11 e ra r i a“ (Nr. 11 vom'

19. März) vertritt etwa Diego Fabbri die Auffassung, daß die Ideenwelt Croces für die italienische Intelligenz in den vergangenen Jahrzehnten ein Reich der Unwirklichkeit und des Rückzuges vor der Verantwortung des Tages dargestelt habe.

„Was hat mehr als die ästhetische Predigt Croces jene isolationistische Haltung der Kunst gegenüber der Schwere gewisser Tatsachen des Lebens gefördert? Das Ausweichen in das Reich des reinen, taufrischen Lyrismus ist, zumindest bei uns, ein typisch crocra- nischer Ausweg gewesen; und zweifellos hat Croce, so gesehen, dazu beigetragen, die Persönlichkeit des Künstlers' aufzulösen und sie indirekt geneigter gemacht, die Sklaverei anzunehmen. Überhaupt, so sei im Vorbeigehen bemerkt, sind die philosophischen Gründe, um derentwillen Croce gegen den Faschismus Stellung nahm, ebenso, gültig, wie diejenigen, die es Gentile erlaubten, dessen kodifizierender Theoretiker zu werden. Die entgegengesetzte Haltung der beiden Männer war das Ergebnis einer verschiedenen persönlichen Haltung, nicht die notwendige Folge der Anhänglichkeit an zwei verschiedene Systeme. Denn der Faschismus konnte ideölogisch im Neuhegelianismus Croces dieselbe historische Rechtfertigung finden, die er im Aktualismus Gentiles fand: die beiden Systeme — in Gefolgschaft desselben Hegel — erlaubten es in gleicher Weise.“

Croce selbst legt, nachdem er durch zweiundvierzig Jahre mit seiner Zeitschrift „L a C r i t i c a‘‘ das italienische Geistesleben beeinflußt und begleitet hat, jetzt in den fast ausschließlich von ihm selbst geschriebenen „Q uaderni della Critic a“ der

Öffentlichkeit die Früchte seiner Arbeitskraft vor. In Nr. 10 vom März 1948 nimmt er unter anderem Stellung zu verschiedenen in Italien abgehaltenen „Kongressen des historischen Materiali s- m u s“, die sich auch mit seiner Lehre beschäftigten.

„Man hat über Philosophie, Logik und Dialektik gesprochen und es wurden wunderbare Dir"e behauptet, wahre Entdeckungen, .die mit hellem Licht Abenteuer meines Geistes und meiner Seele erleuchten, die mir selbst nicht bewußt waren, und daß der Klassenkampf in mir und hinter mir gespielt hat, indem er mich wie eine Marionette an Fäden Zog. Unter anderem wurde behauptet, daß mein absoluter Historismus und Spiritualismus das von der süditalienischen Bourgeoisie errichtete Verteidigungs system sei, daß sie mir dieses Mandat übertragen oder sich meiner, ohne daß ich es bemerkt hätte, bedient habe, um ihre ökonomischen Interessen zu schützen. Man bedenke: dazu habe ich Iso in meinem Gehirn die Logik der Unterscheidungen und jene der Gegensätze destilliert. Natürlich kann ich derartige tiefe Gedinken hier nicht behandeln: aber wenn ich an die versammelten

Zuhörer dieser Offenbarungen denke und an die Arbeiter, denen sie aufgetischt werden sollen, so scheint es mir, daß sie, beleidigt von der Art, wie sie in diesem Fall behandelt werden, die Geste jenes Mannes wiederholen müßten oder sollten, von dem Carducci in einer seiner Schriften berichtet: wenn man ihm zu großen Unsinn erzählte, ohrfeigte er sich selbst und antwortete, um den Grund gefragt: ,Weil ich ein schön dummes Gesicht haben muß, wenn man mir so etwas zu erzählen wagt!“

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