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REVUE IM AUSLAND

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„Der soziale Katholizismus steht, wie jede Doktrin, gegenwärtig vor der Notwendigkeit einer Gewissenserforscbung.“ Mit dieser Feststellung beginnt ein großer Aufsatz von Alain Barrere über „Re- vision und Entwicklung des sozialen Katholizismus““ im Juli-August-Heft der „Etüde s". Da das Jahr 1945 das Ende einer Periode und den Beginn einer neuen Epoche bezeichne, sei es nicht verwunderlich, daß auch der soziale Katholizismus seine Vergangenheit und ebenso die Aufgaben für die Zukunft zu überblicken trachte. Der Verfasser bezeichnet zunächst den sozialen Katholizismus mit Marcel Prelot als „eine Sozialpolitik, welche die Vermenschlichung des Sozialmilieus anstrebt“, sowie als „eine Wissenschaft und Lehre zur Tat“. Er unterscheidet ihn daher von dem, was man gemeinhin „die Soziallehre der Kirche“ nennt und was er eher „Forderungen des Christentums auf sozialem Gebiet“ nennen möchte. Diese, vor allem in den päpstlichen Rundschreiben enthaltenen Forderungen stellen an sich keine Doktrin im Sinne von Marxismus, Liberalismus oder Faschismus dar, sondern sind eine Sammlung von Prinzipien, die sich mehr oder weniger direkt aus der Glaubenslehre ergeben. Die Aufgabe des „sozialen Katholizismus“ sei es nun, eine soziale Doktrin unter Berücksichtigung dieser Prinzipien zu entwickeln, die sowohl gegenüber der kapitalistischen wie gegenüber der marxistischen Gesellschaft eine Umformung anstrebe:

„Umformung einer liberalen, kapitalistischen Gesellschaft: durch die Unterordnung der ökonomischen Freiheit unter die grundlegenden Freiheiten der Person; durch die Unterordnung des Profits unter die Befriedigung der Bedürfnisse; durch die Bestimmung des Arbeitslohnes nach der Notwendigkeit der Erhaltung der Familie; durch die wachsende Ausdehnung der sozialen Gerechtigkeit; durch die Anerkennung der natürlichen sozialen Gemeinschaften usw. Umformung einer marxistischen Gesellschaft: durch die Anerkennung des Primats der Person über die Gesellschaft, durch die Wohltat eines allen zuerkannten Privateigentums, durch die Beschränkung der Kompetenz des Staates usw." Wenn vielfach die Auffassung herrsche, daß der soziale Katholizismus die Mittelstellung eines gemäßigten Interventionismus zwischen dem „liberalen Automatismus" und der marxistischen Planwirtschaft darstelle, so sei dies auf die Tatsache zurückzuführen, daß der soziale Katholizismus zwar eine revolutionäre Doktrin, aber, entsprechend ‘ seiner Ablehnung gewaltsamer Mittel und Lösungen, bisher eine reformistische Politik vertreten habe. Der Gegensatz revolutionär-reformistisch aber habe durch die gegenwärtige Entwicklung einen Sinn verloren.

„Da eine neue Gesellschaft geboren wird, während die alte stirbs, braucht die Sozialpolitik nicht mehr zu wählen, ob sie reformistisch oder revolutionär sein will. Sie muß schöpferisch sein, das heißt sich aktiv aller Lebenskeime bemächtigen, die ihr die Gegenwart bietet, und sie entwickeln, indem sie diese enge mit der geschichtlichen Bewegung verbindet."

Ein anderer Vorwurf, der gegenüber dem sozialen Katholizismus oft erhoben werde, sei das Fehlen einer nationalökonomischen Theorie. Hier, in der Entwicklung, beziehungsweise Auswertung der nationalökonomischen Wissenschaft durch die Doktrin — die beide an sich auf grundsätzlich verschiedenen Ebenen liegen — liegt nach der Ansicht des Verfassers eine der Hauptauf-

gaben der Zukunft. Er illustrier dfe unerläßliche Notwendigkeit dieser Auswertung der ökonomischen Wissenschaft an dem Beispiel, daß eine soziale Doktrin und eine soziale Politik unbedingt über eine genaue Kenntnis der gegenwärtigen Sozialstruktur sowie über eine klare Theorie der Wirtschaftslenkung verfügen müsse.

Dieselbe Nummer der „Études“ enthält einen Aufsatz von Robert Rouquette über „Die ökumenischen Bewegungen“ und einem eingehenden kritischen, aber ver1 ständnisvollen Bericht von Robert Bose über Spanien und den spanischen Katholizismus vom französischen Standpunkt betrachtet: „M adrid, Frühling 194 8“. Eine Stellungnahme zu dem großen religiösen Filmwerk „Monsieur Vincent“ bietet Pierre Debognie unter dem Titel „Ein Historiker zu ,Monsieur Vincent “, in dem er dem Regisseur durchaus das Recht auf dichterische Freiheiten, ja auf Anachronismen in Einzelheiten zugesteht, aber in der Gesamtauffassung kritisiert, daß Vincents Erweckung nicht behandelt werde. Vincent sei keineswegs aus Liebe zu den Armen Priester geworden, sondern er habe, wie dies zu seiner Zeit vielfach geschah, den Priesterberuf ohne tiefe innere Berufung ergriffen. Die innere Wandlung habe sich erst 1609 bis 1610 vollzogen,

als er die falsche Anklage, eine Geldbörse gestohlen zu haben, geduldig auf sich nahm. Der Kritiker bedauert, daß der Regisseur des Films diese entscheidende Episode, welche seiner Meinung nach den erschütternden zweiten Teil des Film noch viel eindrucksvoller hätte hervortreten lassen, nicht behandelt habe.

Die zweimonatlich in München und in der Schweiz erscheinende Zeitschrift „H o c h 1 a n d“ eröffnet ihr fünftes Heft mit dem Abdruck eines äußerst seltenen und schwer erreichbaren Aufsatzes von Kardinal Newman „Uber di Befragung der Gläubigen in D.ingen der christlichen Lehre" (Übertragen und erläutert von dem Newman-Bio- graphen Otto Karrer). Auf eine kurze Untersuchung von Arthur Fridolin Uts

„Wiederentdeckung des christlichen Eigentumsbegriffs“ folgt ein interessanter Bericht von Richard Seewald „Pisa oder Begegnung mit dem Klassische n“, der zeigt, daß der heilige Bezirk der „Piazza delle meraviglie" (des „Platzes der Wunder“) auch heute noch, trotz der furchtbaren Kriegszerstörungen der Fresken im Campo Santo den Besucher zum Nachdenken über das Wesen und die Grundlagen der ganzen abendländischen Kunst- und Kulturentwicklung anregt. Immer wieder drängt sich dem betrachtenden Maler der Vergleich mit Olympia auf und er meint schließlich die antike wie die abendländische Kunstentwicklung im Bild der Meereswelle erfassen zu können.

„Es buchtet das Wasser zuerst sich aus, ein dunkler Hügel, ein Bauch wie schwanger zu kommenden Geburten, und steilt dann sich auf- wärt , in nun ein gläserner Grat, durchsichtig, und siehe: auf seinem Rand erblüht urplötzlich die Bluma, die Krone des Schaums, weiß, einen Augenblick — dann rauscht er herab, ein Spitzengeriestl vor dunkler Höhlung, reich, doch nicht mehr rein, gekräuselt, geschnörkelt, breitet nach donnernden Stürzen zischend sich aus, ein gestickter Teppich und — verläuft im Sande."

In diesem Bilde ließe sich auch die abendländische Kunstentwicklung aus dem dunk len Schoß der „maniera greca“ der byzantinischen Ikonenmalerei über die Pisaner und Giotto zu dem sinnlichen Reich der schier unerschöpflichen Renaissancekunst erfassen.

„Mit Masaceio hebt e an, mit Donatello und Piero della Francesca (wer nennt die erlauchten Namen alle?) setzt es sich fort, und donnert erhaben — im Stürzen in den Werken des Titanen Michelangelo. Nachher verrauscht es, ein gestickter Teppich, am Strande des Heute, besser: des Gestern. Die Meister der sinnlichen Farbe, die französischen Impressionisten, sind der letzte Abglanz von des Reiches Größe. Aber ohne Geheimnis.“

So erhebt sich unabweisbar vor diesen Wunderwerken, die den Beginn der abend-ländischen Kunst kennzeichnen, die Frage nach Ende oder Zukunft.

„Sind wir am Ende der Zeiten? — Sind wir eingetreten in die Endzeit? — Wird noch einmal aus dem Meere der Zeit eine neue Welle der Künste aufwallen? (Eine niedere ohne Zweifel, denn auch die Zeit wird nur kurz sein.) Seele und Sinne sehen wir in der heutigen Kunst sich spiegeln. Dem Magischen haben die einen sich verschrieben, die Surrealisten, dem sinnlichen Klang der Farbe die anderen, die Nachimpressionisten. Ach, wir können nicht zurückkehren ,zu den Müttern1, noch sollten wir uns damit begnügen, der Väter Erbe spielend zu vertun. Der Geist ist e , den unsere Zeit verriet. Ihn rufen wir, daß er noch einmal das Finstere durchleuchte, das zügellos Schweifende bändige und noch einmal heraufführe eine Klassik, zum wenigsten ,anmutig’ in der ,Armut’.. . ’

Mit der Frage des Verhältnisses von Antike, Klassik und Christentum beschäftigt sich auch Alfred von Martin in dem folgenden Aufsatz derselben Zeitschrift „Von der Menschlichkeit des Christenmensche n“, der von der Begegnung der beiden „auserwählten’’ Völker, des biblisch-jüdischen und des antik- griechischen, von Paulus in Athen über die verschiedenen „Renaissancen" der abendländischen Geschichte, über Luther und die Reformation bis Burckhardt, Nietzsche und K1 a g e s das Verhältnis von Christentum und Humanismus skiz ziert und die Frage ihrer Vereinbarkeit untersucht.

„Flieht schon Nietzsche vor der (auch in der durchsichtigen Klarheit sokratischer Logik beheimateten) apollinischen Helligkeit echten, nämlich driasslschen’ Griechentums in das romantische Zwielicht seines Dionysismus, so zieht sich Klagcs — von Nietzsche herkommend (wenngleich nicht dem Kult des .Willens’ huldigend) — noch weiter zurück bis in das ,prälogische Dunkel ,pelasgischer’ Prähistorie: mit dem Licht der Geschichte auch die (zu unromantischen) Griechen hinter sich lassend."

Die italienische Zeitschrift „Lo spetta- töre Italiano" bringt in ihrer Juni nummer einen Überblick von J. H. W h i t - f i e 1 d über „Die italienischen Studien in England seit 193 9“. Wohl stehe seit jeher von den fremden Sprachen das Französische in England an erster Stelle im Unterricht, an zweiter Stelle das Deutsche „mit seinem Ansehen als Sprach der Wissenschaft und der Technologie", dem erst in jüngster Zeit das Spanische als Schlüssel zur Welt Süd- und Mittelamerikas Konkurrenz mache. Daher wird das Italienische an den Schulen kaum unterrichtet und spielt dementsprechend auch im Lehrplan der Universitäten nur eine untergeordnete Rolle. Dazu komme die Tatsache, daß keine zeitgenössische Gestalt in der italienischen Literatur auf da englische Publikum eine tiefe Wirkung ausgeübt habe.

„Das Zeitalter D’A n n u n z i o s und Pirand.eilos ist zu Ende, ohne genügend stark gewesen zu sein, um einen dauerhaften Eindruck zu hinterlassen. Auch hat es nicht den Anschein, als ob ein Schriftsteller wie S i 1 o n e, einer der wenigen Modernen, deren Namen in England einigermaßen bekannt sind und der hier aus nicht ausschließlich literarischen Gründen ein gewisses Interesse wachgerufen hat, ein bleibendes Ansehen erringen könnte." Diesen Tatsachen stehe aber auf der anderen Seite ein gleichbleibendes, ja teilweise sogar gesteigertes Interesse für gewisse, von den Engländern stets besonders beachtete Epochen d r italienischen Geschichte, vor allem die des Risorgimento und der Renaissance gegenüber. Letzteres wurde durch die Übersiedlung der „P h a i d o n - P r e s s" mit ihren hervorragenden Monographien über die großen Renaissancekünstlef und der Bibliothek W a r b u r g, rtiit ihrem vorwiegend Renaissancethemen behandelndem „Journs 1" nach England weitgehend gefördert. Vor allem hat der Krieg, der vielen jungen Engländern als Soldaten das Erlebnis Italien vermittelte, das Interesse an Land, Geschichte und Kultur der Apen- ninenhalbinsel in der jetzt studierenden Generation ehr stark gefördert.

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