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Schicksal und Auftrag

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Ein wenig geistvoller, dafür aber, was In einer Buchbesprechung am wenigsten ange: bracht ist, offensichtlich gehässiger Kritiker schreibt einmal anläßlich einer Besprechung eines Rilke-Buches: „Der Wahrheitsgehalt eines Verses beruht auf seiner Evidenz hinsichtlich ästhetischer Revelanzen, nicht aber auf seinem logisch-sachlichen Mitteilungsgehalt.“ Was er damit meint, erläutert er dann unmißverständlich an dem Beispiel Goethes, daß es ihm In „Wanderers Nachtlied“ nicht „darauf angekommen wäre, mitzuteilen, daß die Vögel schlafen und der Mensch gediegene Aussicht habe, bald in die Grube zu fahren“. Stünde hinter diesen Sätzen picht ein weitverbreiteter Irrtum, und zwar nicht nur oberflächlicher Ästheten und Zivilisationsliteraten, sondern leider auch elnlgei ernst zu nehmender Fachmänner, wäre es überhaupt nicht der Rede wert, solchen Äußerungen Aufmerksamkeit zu schenken. Literaturkritikern dieser Art wird Brechts Buch, das eine philosophische Interpretath rt von Rilkes Duineser Elegien bietet, sicherlich ein Stein des Anstoßes sein. Doch Gott sei Dank greift der Autor, ein Heidelberger Philosophieprofessorj dieses Thema der Zusammengehörigkeit von Philosophie und Dichtung einmal gründlich auf.

Der Dichter im allgemeinen nähme sich nämlich selbst nicht mehr ernst, wollte er keinen .sachlichen Mitteilungsgehalt“ bringen, und im besonderen ist es Rilke, der gerade darin seinen Auftrag sieht: nicht irgendwelche „ästhetische, artistische oder theoretisch-programmatische, Gesichtspunkte“ und reine Formprobleme sind ihm wichtig, sondern „einzig der Hinblick auf das Leben selbst“, über das er sachliche Aussagen, im Sinne einer Philosophie machen will (die Florentiner Tagebuchnotizen über Kunstauffassung hat Rilke später ziemlich revidiert). Rilke betrachtet seine Dichtung nicht allein „als Kunstwerk, als ästhetisches Gebilde, als dichterische Schöpfung, sondern einzig unter dem Gesichtspunkt der Frage nach der Möglichkeit oder Unmöglichkeit des Daseins (also eines philosophischen Problems ... Um den Menschen und die Möglichkeit seines Daseins kreist unablässig der Sinn dieses Dichters der Existenz. (Man wäre wirklich neugierig, zu erfahren, wie selche Ästheten zum Beispiel den erschütternden Briefen Rilkes über die Entstehung seiner Elegien einigermaßen gerecht werden wollen, wenn es In ihnen um nichts als .ästhetische Revelanzen“ gehen soll!)

Einzelne Gedidite und ihre Bilder wachsen in jeder echten Dichtung über sich hinaus zum Symbol, das einzelne Erlebnis des Dichters zum allgemein-gültigen Wahrheitsanspruch. Dichtung ist in diesem ihrem Innersten Sinn Philosophie in Bildern, ist, wie jede Kunst, konzentrierte Seinserfahrung und -aussage. So meint Goethe in den oben erwähnten Versen sowohl sein vorerst individuelles Erlebnis des Friedens der Natur, der ihn an seine kommende Grabesruhe erinnert, wie aber dann auch die darüber hinaus allgemeingültige Erfahrung-der Vergänglichkeit, die den Menschen zur Besinnung aufruft, an Hand eben dieser konzentriert erlebten, sprachlich ebenso wunderbar konzentriert formulierten Verse, die ein Sein zur Mitteilung bringen, das weit über ästhetischer Revelanz liegt.

Allerdings arbeitet die Dichtung, wie überhaupt die Kunst, nicht mit logischen Begrifflichkeiten, sondern mit Bildern und Symbolen, bringt darin aber Wahrheit, Philosophie und Weltanschauung zuu, Ausdruck, sonst wäre sie nichts weiter als Wortgeklingel, rhythmisches Spiel, vage und verschwommene Gefühlsduselei, die niemand, auch der Dichter selbst nicht, ernst zu nehmen braucht. Brecht zitiert mit Recht Pascals „tiefsinnige Wendungen vom ordre du coeur, der logique und raison de caeur“. Dichtung ist „Herzwerk“ und nicht bloßes Gefühl, „Grunderfahrung des Herzens, Sinntiefe der Seele“, gerade daher gewinnt sie ihre Größe und Tiefe, Verpflichtung und Verantwortung. Die Philosophie hingegen arbeitet wohl in erster Linie mit dem Verstand, doch auch sie will über die Ordnung der Begriffe hinaus Sein und Wirklichkeit treffen, „die philosophischen Schöpfer sind etwas anderes als die bloß verstandeshellen Zergliederer teilhafter Funktionen, Sichten und Bereiche, etwas anderes als die bloß rechnenden Logiker des Seienden. Es ist daher kein Zufall, daß auch die philosophische Sprache wie die dichterische im wörtlichen Sinne Schöpfung ist, wenn auch freilich die Gemeinsamkeit zwischen Philosophie und Dichtung tiefer liegt als lediglich in der Gemeinsamkeit der schöpferischen Sprache ... Nicht umsonst i=t einer der ents heidenden Begriffe der Philosophie der des Logos, des Wortes. Philosophien haben in der Weise, wie ihnen der Logos, der Seins-Sinn, Wort wird, die gleiche Ursprungsnähe zum wortlosen Sein selbst. Das wesentliche Denken, das mehr ist als das nur rechnende, exakte Denken, sucht das Wort, in dem die Wahrheit des Seins zur Sprache kommt... Dichter und Denker gleichen sich in der Sorgsamkeit des Wortesi denn das Nennen des Dichters ist gleicher Herkunft.“ Philosophie und Dichtung (und wir fügen hinzu: und Theologie, die ja um das Wort kreist, das in idealer Vereinigung sowohl Urdenker wie Urkünstler ist, von dem alles andere, Gedanke und Kunst, nur Abglanz ist) gehören zusammen. Ein Dichter, der nicht Philosoph ist, ist ein lebensfremder, leerer und unnützer Versemacher, ein Philosoph, der nichts vom Künstler in sich hat, Ist ein abstrakter, ebenso lebensfremder Systemekonstniierer, beide versagen an der Wirklich-, keit und am Leben. (Nichtsdestoweniger darf man Philosophie und Dichtung vermischen. Beide haben ihr Berechtigung, ihre getrennten Bereiche und Methoden.)

Gerade von dieser Haltung aus gelingt dem Philosophen Brecht der Einstieg in das Werk des Dichters Rilke wie selten einem, so daß sein Buch der Interpretationen neben denen Holthusens zum besten gerechnet werden kann, was — abgesehen von den biographischen und literarhistorischen Studien, die notwendige Vorarbeit zum eigentlichen Verständnis bilden — über Rilke veröffentlicht wurde. Brecht trifft ohne Zweifel Wesen und Anliegen Rilkes, und es ist interessant, ihn hier mit Holthusen, der ja Dichter ist, im letzten übereinstimmen zu sehen, (Um jedes Mißverständnis zu vermeiden, soll noch erwähnt sein, daß eine Auseinandersetzung mit Rilke selbst — inwieweit Rilke .Recht hat und damit auch Brecht, soweit er seine Anschauungen mit denen Rilkes identifiziert, was nicht ganz klar ist — in dieser Besprechung nicht zur Diskussion steht und daher auch nicht angebracht ist. Einzig die Frage, ob Brecht in seiner Interpretation Rilke gerecht geworden ist oder nicht, wurde zu würdigen versucht.)

Wenn man Rilke in seinem Werk und seiner Bedeutung wirklich ernst nimmt und verehrt“, dann muß um seiner selbst willen, um sein Werk nicht zu banalisieren, diese denkerisch philosophische Bewältigung versucht werden, „nur dies ist die Haltung, in der man ... solchen Gestaltungen existenzieller Grunderfahrungen des Daseins gegenüber-treten kann. Alles andere ist, von dem Anspruch dieser Grunderiahrungen aus gesehen, unzulänglich, wenn -auch nützlich und schön, furo Beispiel die ästhetische Würdigung. Das bloße Sichbezaubernlassen aber von der Süße der Klänge und dem Duft der Worte, also die Haltung, in der gerade Rilke so oft gelesen wird, ist, mindestens vor seinem Spätwerk, das schlimmste Unrecht, ganz abgesehen davon, daß sich diese Weise der Aufnahme von vornherein den Zugang ins Innere der Dichtungen verbaut, ja sich eigentlich schon um den Ernst, einen solchen Zugang zu suchen, bringt.“ Solche „ästhetische Revelanzen“ werden von Brecht sehr richtig als „Gerede und „Geschwätz“ bezeichnet, die dazu noch von ihren eigenen formalen Gesichtspunkten der dichterischen Sprachkunst her gesehen einen Widerspruch in sich haben und Unrecht sind, indem sie die Sprache statt zu einem „Gespräch“ (Dichtung und Philosophie!) zum „Geschwätz“ mißbrauchen: „Viel hat erfahren der Mensch, seit ein Gespräch wir sind und hören können voneinander“ (Hölderlin); das andere sagt Kierkegaard: „Werde Geschwätz und sieh, alle Probleme verschwinden“,zitiert Brecht.„Sprache ist der Werkstoff der Dichtung: aber Dichtung ist mehr als Sprache. Sie ist, wo sie nicht nur Schmuck und Unterhaltung, Ausdruck eines erhitzten Augenblicks oder einer begeisterten Stunde ist, Ursprache; das heißt: sie ist Offenbarmachen des Seienden selbst und auf höchster Stufe Stiftung des Seins: Was bleibt aber, stiften die Dichter. Philosophisches Verstehen von Dichtung müßte demnach sein: die Antwort des Daseins auf das Urwort des Dichters, in dem das Bleibende, das Sein selbst, das Wesen der Dinge offenbar, ja gestiftet wird. Philosophisches Verstehen von Dichtung wäre, wenn es rein gelänge, wie das Gespräch des Daseins mit dem Wesen der Dinge auf dem Grunde des Seins.“

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