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Schmelztiegel der Rassen

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Mehr als drei Jahrzehnte nachdem „Casa Grande e Sencala“ in Brasilien erschienen ist, liegt nun eine deutsche Ausgabe eines Buches vor, das man trotz einiger Mängel als ein Standardwerk der (deskriptiven) Sozioanthropologie bezeichnen kann.

Der Autor hat sich mit seinem Werk die Aufgabe gestellt, das Wesen der brasilianischen als einer hybriden Gesellschaft durch Analyse der rassischen und geistigen Determinanten ihres Aufwuchses zu erklären, um auf diese Weise zu erläutern, wie, etwa zum Unterschied von den USA, aus mehreren Rassen und Kulturen eine wenn auch noch sehr offene Kultur entstehen konnte und Rassenkonflikte zur Ausnahme gehören.

Die konstitutiven Elemente der brasilianischen Gesellschaft sind: ein Eroberervolk, das kosmopolitisch gesinnt ist und, weil polygam veranlagt, die Frauen der Ureinwohner zuerst vital und dann legitim (über die Wirtschaftsorganisation) in den eigenen Volkskörper einbezieht. Das geschieht, obwohl die Eroberer keine Abenteurer sind, wie anderswo bei der Okkupation in Südamerika, sondern überwiegend Angehörige einer Herrenrasse, die freilich bereits vielfach maurisch versippt ist. Neben den eher passiven Indianern sind es schließlich die Neger aus Westafrika, welche, versklavt, in einer werkzeuglich-händischen Erzeugungsperiode zum dominanten Produktionsfaktor einer agrarischen Monokultur werden.

Das Resultat der Vermengung von in ihrer Anlage außerordentlich differenten Rassen und Kulturen ist nach außen hin eine patriarchalisch organisierte Gesellschaft mit den Elementarschichten von Herren und von Sklaven; im Sinn unserer konventionellen Einteilungen eine Sklavenhaltergesellschaft, mit den Leitbildern eines Autoritätssadismus, gebildlich in (sklavenhaltenden) Familien organisiert.

Die Verschmelzung dreier Rassen und Kulturen wäre lediglich ein synthetischer Vorgang geblieben, hätte nicht die Kirche, anfänglich weitgehend durch den Orden der Gesellschaft Jesu repräsentiert, mittels einer einheitlichen Erziehung eine ■ „lingua geral“ geschaffen, eine uniforme Sprache, die, auf der Basis des Portugiesischen begründet, trotzdem Arteigenheiten aller im Brasilianischen verschmolzenen Rassen aufweist. Die in den Schulen erzogenen Kinder werden zu Lehrern ihrer Eltern. Die einheitliche Kultur konstituiert sich allmählich in der Abfolge der Generationen. Auf diese Weise entstand außerhalb Europas eine vom europäischen Geist her grundgelegte Kultur, die jedoch so offen war und ist, daß sie auch die Kulturen nichteuropäischer Völker (der Indianer und Neger) einzuschmelzen vermochte. Das Ganze war überdeckt von einem Katholizismus, der eher eine Summe von Konventionen und Gebräuchen war, keineswegs so streng, daß er eine soziale Kontrolle aufrichten konnte, und so lax („lyrisch“, wie der Autor sagt), daß er sich schließlich als ein Gleichgewichtsstatus zwischen dem katholischen Glauben und den Ketzereien unterschiedlicher Provenienz stabilisierte.

Im strengen Sinn, und trotz der Hinweise im etwas zu panegyrischen Vorwort, ist das Werk nicht so sehr eine Soziologie, sondern, wie es der Titel richtig sagt, ein „Bild der brasilianischen Gesellschaft“, weniger ein Gegenwartsbild (auch nicht von 1933), eher eine Bilderfolge von Entwicklungsschichten, analysiert unter den Aspekten der Anthropologie, dem Fach des Autors.

Der Stil ist sehr lebendig, derart, daß man mit Recht auch von einem literarischen Werk sprechen kann, auch Ausdruck einer offenkundigen inneren Anteilnahme des Verfassers. Gerade deswegen ist aber dag Werk keine soziologische Analyse, werden doch nach allen Seiten Zensuren ausgeteilt, statt die Tatsachen für sich sprechen zu lassen. Insbesondere ist es die katholische Kirche, welche im Buch schlecht, zeitweilig sehr schlecht, wegkommt, wenn auch die Disqualifikation der Leistungen der Kirche manchmal durch Lob unterbrochen wird, so etwa wenn die (katholische) Religion als Katalysator für die Berührung und Vermischung von Herren und Sklaven bezeichnet wird. Geradezu peinlich ist es, wenn der Verfasser seine Abneigung gegen die Kirche mit der Gleichsetzung von „schmutzig“ und „christlich“ gleichsam zu rechtfertigen sucht (S. 258), eine Gleichsetzung, die darauf hinweist, daß dem Autor wahrscheinlich wesentliche Bestimmungselemente des sozialen Verhaltens, von Sitten und Gebräuchen, einschließlich der Wohnkultur, nicht bekannt sind. Mit Wissenschaft — und die Soziologie ist nun einmal eine Wirklichkeitswissenschaft — hat jedenfalls derlei nichts zu tun. Wohl aber mit einem in wissenschaftliche Formeln verpackten „Antiklerikalismus“, der sich aber heute auch bereits gepflegterer Argumente bedient.

Wenn auch keineswegs im Sinn eines Freudschen Methodenmonismus operierend, wird vom Verfasser dem Sexuellen und dem Sexuell-abwertigen ein allzu großes Bedeutungsgewicht beigemessen. Man hat zuweilen das Gefühl, nicht eine Sozialgeschichte Brasiliens vor sich zu haben, sondern ein sexologisches Werk, dessen Schilderungen zudem bisweilen eine unnütze, weil für die Beweisführung keineswegs erforderliche Peinlichkeit aufweisen; ganz abgesehen von allzu vielen Wiederholungen.

Dagegen sind die Schilderungen der Wirtechaftsorganisation im Ablauf der Geschichte, der Festbräuche und der heidinisch-vorchristlichen Religionsreste ungemein instruktiv. Methodisch muß an dem Buch die Herstellung einer Verbindung von Anthropologie und soziologischer Methode gerühmt werden.

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