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Sinn und Ort des Glaubens

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Ausgehend von der Befragung des Sprachgebrauchs, unternimmt es Pieper, mit ständigen, erquickend lehrreichen Seitenblicken auf die Geschichte des Denkens von der Antike bis zur Neuzeit, den Begriff des Glaubens (ihn vom Wissen, Meinen, Zweifeln abgrenzend) zunächst in seiner „umfassendsten, aber dennoch strikten“ Bedeutung darzulegen. Darnach heißt Glauben: einen nicht vor Augen liegenden, nicht selbsteigen nachgeprüften, aber in sich verstehbaren Sachverhalt vorbehalt-iind bedingungslos als wirklich und wahr akzeptieren auf das Zeugnis von jemand anders hin. Ein weiteres Wetenselement des Glaubens: das Wollen, das auf der Einsicht beruht, daß es gut sei, den Sachverhalt zu glauben, ein Wollen, das aus der vertrauenden, Gemeinschaft suchenden Liebe des Glaubenden zum Bürgen des geglaubten Sachverhalts kommt. Durch sie gewinnt der Glauben Anteil an der Erkenntnis dessen, der weiß — eine Chance, die der Mensch seinem Wesen und seiner Würde gemäß wahrzunehmen hat, wo das (an sich) höher stehende Selbersehen (Wissen) ihm verwehrt ist.

Weil der Glaube solcherart in Freiheit geschieht, ist er dem Geheimnis verwandt. Das zeigt sich im bereits von Thomas scharf gesehenen (explosiven!) „Beieinander von Gewißheit und Ungewißheit“. Es ist dies die Situation des Glaubenden, in welcher die Festigkeit endgültiger Zustimmung (assensio) immer mit einer „Denk-Unruhe“ (cogitare) einhergeht, die aus dem Nicht-selbst-gesehen-Haben stammt. Hier gründet die Möglichkeit des Zweifels. Dennoch bleibt der Glaube fest kraft des Willens, und weil er auf die in der Aussage des Zeugen sich zwar verbergende, aber auch zeigende Realität aasgerichtet ist, deren er teilhaftig wird im Maße seiner liebenden Identifizierung mit dem Zeugen.

Ubersteigen Wahrheit und Einsicht des Zeugen (mit ihm primär hat der Glaubende es ja zu tun) alles menschliche Maß, dann übertrifft die Glaubensgewißheit die Gewißheit von Wissen und Einsicht um ein Unendliches. Dies ist der Fall, wenn Gott redet — und da bedarf es eines Sprunges für den Glauben. Hier sind Inhalt der Bezeugung und Person des Zeugen identisch, Gott selbst macht Sein Sein, die „res divina non visa“, dem Menschen offenbar, und der Mensch glaubt dem sieh selbst offenbarenden Gott. Die Aktstruktui dieses religiösen Glaubens wird umschrieben durch den klassischen Text Augustins: Deo credere, Deum credere, in Deum cre-dere.

Niemals verläßt Pieper den Boden des Philosophierenden. Er fragt weiter nach „Sinn und Ort von .Glaube' inmitten der gesamten Erstreckung menschlicher Realität“, aber es geschieht jetzt naturgemäß zunehmend „kontrapunktisch“ zur Theologie.

Das Unterscheidende und Schwierige am Offenbarungsglauben liegt darin, daß ein auf keine Weise nachprüfbarer Sachverhalt und ein niemals unmittelbar begegnender Zeuge den Anspruch auf unbedingte Zustimmung erheben. Hier bedarf es tiner bestimmten Vorstellung vom metaphysischen Wesen des Menschen als eines krea-türlichen, „von Natur im Kraftfeld einer schlechthin übermenschlichen Realität Lebenden“, das kraft dieser seiner Kreatür-lichkeit von Natur aus offen und erreichbar ist für eine mögliche, ja erwartbare Rede Gottes. Daher ist der Glaube an die Offenbarung nicht nur zumutbar, sondern „nicht zu glauben wäre, Wenn Gott auf eine dem Menschen vernehmliche Weise gesprochen hat, geradezu wider die menschliche Natur“ (S. 79). Zur Realisierung solchen Offenbarungsglaubens jedoch bedarf es der Energie, Empfindlichkeit und Wachheit des Herzens (sowie der willigen Inkaufnahme einer weniger vollkommenen Vergewisserung, um des Wirklichkeitskontaktes mit der ganzen Wirklichkeit nicht verlustig zu gehen).

In einem perspektivenreichen Exkurs befaßt sich Pieper mit dem „gesprengten Gefüge“ der „bis in den Grund reichenden Unstimmigkeit“ der Glaubenskonzeption Karl Jaspers'. In diesem Philosophen erblickt er den Stellvertreter eines „ganzen Typus des zeitgenössischen, im Streitgespräch mit der christlichen Tradition begriffenen Denkens“. Gehorsam der Empfehlung der großen abendländischen Tradition, die Vokabel „Unglaube“ äußerst vorsichtig zu gebrauchen, ist Pieper bei allem Respekt vor Jaspers' Werk dennoch nicht so „ratlos“, hier nicht zwei Merkmale wahrzunehmen: ein Zögern, die überlieferten Glaubensinhalte preiszugeben, und ein Unvermögen, diese Inhalte anzunehmen in der Weise des Glaubens an die Offenbarung, durch welche sie uns überhaupt zugänglich geworden und verbürgt sind (S. 90). Auch hier scheint zu gelten, daß weniger der dezidierte Unglaube als jene von Gabriel Marcel beschriebene „Unaufmerksamkeit“ der durchschnittliche Widerpart des Glaubens ist. Natürlich hat der „Wissende“ es besonders schwer, zu glauben (Thomas stellt ihn an die Seite des Märtyrers!), namentlich der unserer Tage.

Aber allen Wandel der Weltbilder überdauert die Tatsache, daß das Wissen Gottes selbst, das „Licht“ der Offenbarung, allen Menschen zugedacht ist, und daß die Menschen es fortschreitend von dem „inspirierten“ ersten Empfänger empfangen und so, in welcher Abstufung auch immer, wahrhaft verbunden werden nicht nur mit diesem, sondern mit dem offenbarenden Gott selbst. Das ist das Wesen der f i d e s i m p 1 i c i t a, auf Grund deren die großen

Lehrer der Kirche „die Einheit der wahrhaft Glaubenden sehr weiträumig sehen“. Es ist also nicht bloß gut für den Menschen, der Rede Gottes zu glauben und damit die wesentliche Chance seiner Existenz, sich mit dem Wissen Gottes zu verbinden, wahrzunehmen, vielmehr wird ihm im vertrauenden Hören auf diese Rede außer dem Wissen des göttlichen Bürgen dessen Leben selbst „mit-geteilt“.

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