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Soziale Ordnung durch Glauben und Gerechtigkeit

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Am Heiligen Abend 1942, mitten in den Stürmen des zweiten Weltkrieges, richtete Papst Pius XII. eine Botschaft an die Welt, die heute, da wir an den Neuaufbau der menschlichen Gesittung und des sozialen Daseins schreiten müssen, zeitgemäßer denn jemals vorher erscheint. Dieses erhabene Manifest über die Grundlagen der menschlichen Ordnung, zur Zeit seines Erscheinens durch die damalige Staatsmacht unserem Volke vorenthalten, ist seither der großen Öffentlichkeit kaum bekannt geworden. Diese für immer denkwürdige Kundgebung, gesprochen von der höchsten geistigen Warte der Menschheit, soll deshalb heute in ihren wichtigsten Teilen hier Platz finden. Sie ist für immer eine Weihnachtsbotschaft, eine Verbindung der Grundlagen des Friedens für alle, die eines guten Willens sind.

Einleitend wies Papst Pius XII. darauf hin, daß die Rettung und Erneuerung dem Gemeinwesen nur von einer Rückkehr weiter und einflußreicherKreise zum richtigen Begriff der sozialen Ordnung kommen könne. Hätten erst die geistig regsamen und einflußreicheren Schichten die Anziehungskraft gerechter Sozialnormen erfaßt und begriffen, so werde sich von hier aus auch in den Massen die Überzeugung an den wahren, göttlichen und geistigen Anspruch des Gemeinschaftslebens wieder Eingang verschaffen.

Als die tiefste Grundlage des menschlichen Gemeinschaftslebens bezeichnete der Heilige Vater Gott, den Schöpfer der ehelichen Urgemeinschaft, den Quellgrund der Familie und der Gemeinschaft des Volkes der Völker. Ausgangspunkt und Wesensziel des Gemeinschaftslebens aber bilde die Wahrung, Entfaltung und Vervollkommnung der menschlichen Persönlichkeit.

Wo man an Gott als der obersten Norm alles Menschlichen festhält- — fuhr Papst Pius XII. fort —, findet die Gleichheit wie die Verschiedenheit der Menschen den gebührenden Platz in der unbedingt gültigen Ordnung des Seins und der Werte und damit auch der Sittenordnung. Wo aber diese Grundfeste erschüttert wird, eröffnet sich zwischen den einzelnen Kulturgebieten eine gefährliche Zusammenhanglosigkeit, zeigt sich ein unsicheres Schwanken der Grenzlinien und Wertmaßstäbe, so daß rein äußere Gesichtspunkte und oft blinde Triebe darüber sich zu befinden beginnen, welcher Richtung die herrschende Zeitströmung den Vorrang zuerkennt.

Der heillosen Wirtschaftslehre der vergangenen Jahrzehnte, die das gesamte Kulturleben dem Erwerbstrieb unterordnete, folgt jetzt eine nicht minder heillose Weltanschauung, die alles und jedes vom politischenGesichtspunkt aus- sieht und jeden sittlichen und religiösen Gedanken ausschließt: ein neuer Irrgang und Irrweg von noch nicht übersehbaren F lgen für das menschliche Gemeinschaftsleben, das dem Verlust seiner edelsten Werte niemals so nahe ist als dann, wenn es wähnt, den ewigen Quellpunkt seiner Würde, Gott, verneinen oder vergessen zu können.

Vom Gemeinschaftsleben und seinen gottgewollten Zielen untrennbar ist eine Rechtsordnung, die ihm, äußerer Halt, als Schirm und Schutz dient. Aufgabe solcher Rechtsordnung ist nicht herrschen, sondern dienen, die innere Lebenskraft der Gemeinschaft in der reichen Vielfalt ihrer Zwecke zu entwickeln und zu steigern, alle Eigenkräfte der Vervollkommnung in friedlichem Wettstreit wachsen zu lassen und mit geeigneten und lauteren Mitteln all dem zu wehren, was ihrer vollen Entfaltung abträglich ist. Dieser Rechtsordnung ist zur Sicherung ihres Bestandes, des Gleichgewichtes und der inneren Einheit der Gemeinschaft auch die Gewalt in die Hand gegeben gegen diejenigen, die nur auf diesem Wege in der hehren Zucht des Gemeinschaftslebens gehalten werden können. Aber gerade in der gerechten Ausübung dieser Vollmacht wird sich eine dieses Namens würdige Autorität ihrer schweren Verantwortung immerdar bewußt bleiben gegenüber dem ewigen Richter, vor dessen Richterstuhl jedes Fehlurteil, erst recht jedes Verkehren der gottgewollten Normen seine unentrinnbare Verwerfung erhält.

Die Persönlichkeitswürde des Menschen erheischt das persönliche Nutzungsrecht an den Gütern der Erde als normale und naturgemäße Lebensgrundlage. Dem entspricht die grundsätzliche Forderung des Privateigentums, soweit möglich, für alle. Die positivrechtlichen Bestimmungen zur Regelung des Privateigentums mögen wechseln und eine mehr oder weniger gebundene Nutzung gestatten. Wollen sie jedoch ihre Friedensaufgabe im Dienste der Gemeinschaft erfüllen, so haben sie zu v e r h i n-dern, daß derarbeitendeMensch, der gegenwärtige oder zukünftige Familienvater, einer wirtschaftlichen Abhängigkeit und Unfreiheit verfällt, die mit seinen Persön1ichkeitsrechten unvereinbar ist. Ob diese Unfreiheit von der Übermacht des Privatkap i-t a 1 s oder von der Staatsmacht ausgeht, ist für die Wirkung selbst ohne Belang.

Gegen Vermassung und Materialismus Wer will, daß der Stern des Friedens über dem menschlichen Zusammenleben aufgehe und leuchte, der helfe zu seinem Teil mit an der Wiedereinsetzung der menschlichen Persönlichkeit in die ihr durch Gottes Schöpferwillen von Anbeginn verliehene Würde, der wehre dem maßlosen Zusammentreiben der Menschheit zu einer seelenlosen Masse, wehre ihrer wirtschaftlichen, sozialen, politischen, geistigen und sittlichen Haltlosigkeit, ihrem Untermaß an festen Grundsätzen und starken Uberzeugungen, ihrem Ubermaß an trieb- und sinnenhafter Erregbarkeit und Unbeständigkeit, der fördere mit allen erlaubten Mitteln auf allen Lebensgebieten solche Gemeinschaftsformen, in denen allseitige Eigenverantwortung der Persönlichkeit in ihren Diesseits- wie Jenseitsaufgaben ermöglicht und gewährleistet ist, der lehne jede Form des Materialismus

a b, der im Volke nichts mehr sieht als eine Masse von Einzelmenschen, die zerspalten und ohne inneren Halt der bloße Gegenstand cjer Beherrschung und Willkür sind.

Fortschritt und Maß der dringend notwendigen Sozialreformen ist abhängig von der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Nationen. Nur bei weitblickendem und weitherzigem Kräfteaustausch zwischen den Starken und Schwachen wird die allgemeine soziale Befriedung so durchgeführt werden können, daß nirgendwo Brand- und Ansteckungsherde übrig bleiben, von denen morgen neues Unheil seinen Ausgang nehmen könnte.

Schließlich kam Papst Pius XII. auf die Notwendigkeit einer

zu sprechen: Das gegenwärtige Rechtsbewußtsein ist vielfach heillos zerrüttet durch die Verkündigung und Betätigung eines hemmungslosen Positivismus und Utili-tarismus des Rechtes im Dienste bestimmter Gruppen und Bewegungen, deren Aufstellungen der Rechtsfindung und Rechtssprechung die Wege weisen und vorschreiben.

Die Heilung dieses Zustandes ist dadurch zu erreichen, daß das Bewußtsein einer auf Gottes höchster Herrschaft beruhenden, jedweder menschlichenWillkür entzogenen Rechtsordnung wieder erweckt wird, einer Rechtsordnung, die ihre schützende und rächende Hand auch über die unverlierbaren Menschenrechte breitet und sie dem Zugriff jeder menschlichen Macht entzieht. Das setzt voraus:

Gerichte und Richter, die ihre Weisungen von einem klar umschriebenen und gefaßten Recht beziehen;

eindeutige Rechtssatzungen, die nicht durch mißbräuchliche Berufungen auf ein angebliches Volksempfinden und durch bloße Nützlichkeitserwägungen um ihren Sinn gebracht werden können;

Anerkennung des Grundsatzes, daß auch der Staat und die von ihm abhängigen Behörden und Gliederungen verpflichtet sind zur Wiedergutmachung und zum Widerruf von Maßnahmen, durch welche die Freiheit, das Eigentum, die Ehre, die Aufstiegsmöglichkeit und die Gesundheit der Einzelmenschen geschädigt wurden.

Ein großer Teil der Menschheit, und wir stehen nicht an zu sagen, auch nicht wenige von denen, die sich Christen nennen, tragen ihren Teil der Gesamtverantwortung für die Fehlentwicklung, für die Schäden und für den Mangel an sittlichem Hochstand der heutigen Gesellschaft.

Die Überwindung des Verhängnisses

Wollen die Völker, mit dieser Frage schloß der Papst die Botschaft, der verhängnisreichen Entwicklung tatenlos zusehen? Müssen nicht vielmehr gerade über den Trümmern einer Gemeinschaftsordnung, die ihre Unfähigkeit zur Schaffung des Volkswohles so erschütternd unter Beweis gestellt hat, alle Hochherzigen und Gutgesinnten sich zusammenfinden in dem Gelöbnis, nicht zu rasten, bis in allen Völkern und Ländern die Zahl derer Legion geworden ist, die bereit sind, der Persönlichkeit und der in Gott geadelten Gemeinschaft zu dienen?

Dieses Gelöbnis schuldet die Menschheit den zahllosen Toten, Mie im sBoden der Schlachtfelder ruhen; das Opfer ihres Lebens bei Erfüllung ihrer Pflicht ist dargebracht für eine bessere Gemeinschaftsordnung.

Dieses Gelöbnis schuldet die Menschheit der unabsehbaren Trauerschar von Müttern, Witwen und Waisen, denen das Licht, der Trost und die Stütze • ihres Lebens geraubt wurde.

Dieses Gelöbnis schuldet die Menschheit den unzähligen Verjagten, die der Sturmwind des Krieges aus ihrem Heimatboden entwurzelt in fremde Länder verweht hat.

Dieses Gelöbnis schuldet die Menschheit den Hunderttausenden, die persönlich schuldlos, bisweilen nur um ihrer Nationalität oder Abstammung willen, dem Tode geweiht oder einer fortschreitenden Verelendung preisgegeben sind.

Dieses Gelöbnis schuldet die Menschheit den Strömen von Leid und Qual, die aus den Ruinen des Riesenkampfes hervorbredien und den Himmel beschwören, das Herabkommen des Geistes erflehend, daß er die Welt vom Überhandnehmen der Gewalt und des Schreckens erlöse.

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