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Sprung über den Schatten?

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Die Sozialismen aller Riten sind jeweils als Protest gegen bestimmte Umwelterscheinungen entstanden, so daß sie auch dem Wandel der Umweltbedingungen indirekt unterworfen sind. Aus diesem Grund kann man nicht von dem Sozialismus sprechen, sondern muß jeweils prüfen, um welche Art des Sozialismus, beziehungsweise um welche Phase seiner Entwicklung es sich handelt. Das gilt auch, wenn man von einem neuen Verhältnis von Kirche und Sozialismus in Oesterreich spricht.

Gesprächspartner der Kirche in Oesterreich ist also derzeit nicht ein Sozialismus im unverbindlichen Sinn, sondern der Sozialismus in der institutionellen Darstellungsform der SPOe, so wie ie ich jetzt zeigt, als ein Komplex verschiedener Sozialismusarten einschließlich der Absplitterungen eines sterbenden großbürgerlichen Freisinns.

Nun war der Sozialismus, insbesondere in der präzisen Darstellung des Marxismus, nie eine ausschließlich sozialreformatorische und das ökonomische Geschehen interpretierende Lehr- meinung, sondern, wenn auch nach den gegebenen Verhältnissen verschieden betont, auch eine Weltanschauung. Zumindest wollte der Marxismus einmal und zuerst als Weltanschauung verstanden werden. Die marxistische Weltanschauung ging nun (und geht) vor allem vom Atheismus oder, wie man jetzt, einengend, sagt, von einem politischen Atheismus aus. Freilich gibt es beachtliche theoretische Versuche, das Weltanschauliche vom Marxismus abzulösen und ihn auf eine nationalökonomische Theorie zu reduzieren. Für Oesterreich sind diese Versuche, die jetzt insbesondere mit dem Namen des Berliner Theologen Marcel Reding verbunden sind, noch von einem geringen Belang, weil es in unserem Land an einer innermarxistischen Diskussion zum Gegenstand fehlt.

Wenn aber ein Gespräch mit dem Sozialismus begonnen werden und einen Sinn haben soll, dann setzt dies voraus, daß die nun eben im Austrosozialismus dieser Tage unleugbar noch vorhandenen marxistischen Denkelemente von den Führern der SPOe neu erklärt oder aber als Privatmeinung deklariert werden.

Eine zweite Voraussetzung dafür, daß überhaupt ein Kontakt für beide Teile von Nutzen sein kann, ist die, daß die Kirche aus dem sozialistischen Klassenkampfmodell entfernt wird. Dagegen müßte man wohl den Sozialisten das Recht zubilligen, ein „Christentum“ abzulehnen, das in der Tat und unverblümt die Verdeckung asozialer Interessentenmeinungen darstellen würde.

Seit den Präsidentenwahlen dieses Jahres ist jedenfalls das Bemühen auf sozialistischer Seite unverkennbar, zu einem neuen Verhältnis zur Kirche in Oesterreich zu kommen.

Es scheint nun der Mühe wert, zu untersuchen, ob es dem Sozialismus sachlich möglich ist, mit der katholischen Kirche in ein neues Verhältnis zu kommen, oluie aß ein solches Bestreben im Widerjpruch zur Eigenart des

Sozialismus steht und sich daher im Endresultat als unernst und als unnütze Plauderei erweist.

Dazu ist zu sagen:

1. Das marxistisch-sozialistische Denken ging davon aus, daß das Bemühen um eine Neuordnung der Gesellschaft unvermeidbar mit dem Atheismus verbunden sein müsse. Heute meint man, wie eingangs erwähnt, auch in Kreisen des Marxismus, daß der Marxismus und der Atheismus des Karl Marx wohl je für sich bestehen könnten. Gott ist dem Marxisten heute nicht durchweg der von der Gegenklasse konstruierte Tyrann, der den Menschen in Seinen Willen zwingen und ihn von der Selbstbefreiung abhälten soll. Erlöser und Erlöste (Arbeiter und Arbeiterklasse) werden nicht mehr gleichgesetzt. Das Resultat der Erfahrung mit dem (sozialistischen wie jedem anderen) Menschen, das noch Marx völlig fehlen mußte, hat zu einer Desillusionierung des marxistischen Glaubens an die im Menschen aufgespeicherte Anlage zur Selbsterlösung geführt.

Dazu kommt, daß der Marxsche Atheismus eine bedenkliche Aehnlichkeit mit dem Atheismus der großbürgerlichen Aufklärung oder mit dem unverbindlichen Atheismus der Liberalen alter Prägung hat und daher kaum vor einer Narkotisierung durch eine neue „Gottgläubigkeit“ sicher ist. Noch mehr: Der marxistische Atheismus ist ein falsches Bewußtsein, wenn nicht eine Entartung des ursprünglichen sozialistischen Denkens, das doch vom Dekalog ausging, von dem es uneingestanden alle großen Argumente und sein herrliches Pathos bezog.

Die falsche Gleichung von Atheismus und Sozialreform hat zu jener unvergessenen und ungeheuerlichen Abfallbewegung auch in unserem Land geführt, die noch vor einigen Jahrzehnten eine Reparatur des gestörten Verhältnisses von Kirche und Sozialismus (wenn nicht Arbeiterschaft) kaum ahnen ließ. Neben dem großen Abfall der Bourgeoisie vor 1914 und dem Ausmarsch der Kleinbürger nach 193 8 aus der Kirche war der Abfall um 1927 ein dritter Substanzabbau, den die Kirche in Oesterreich seit der Jahrhundertwende erleiden mußte. Zehntausende verließen allein in diesem Jahr, ohne das Argument der „hohen Kirchensteuer“ zu haben, die Kirche; die Hälfte davon waren junge Menschen.

2. Auch in Oesterreich ist der Sozialismus nicht allein das, was seine Institutionen sind, sondern das, was seine Führer angesichts der Tatsachen denken. Das Denken der alten Sozialisten war im Prinzip elendsbefangen. Der Sozialismus dieser Zeit aber steht in seinem Denken unter der Einsicht in allgemein steigende Wohlfahrt. Das, was wir soziale Frage nennen, ist sicher als Ganzes unlösbar, hat aber jetzt einen anderen Inhalt als etwa um die Jahrhundertwende. Die Spannungen sind da, aber sie haben nunmehr eine andere Natur. Dazu kommt, daß die Kirche auch optisch nicht mehr im Lager dessen steht, w wohl in alku großer Vereinfachung „Gegenk sse“ genannt wurde. So ist sie jetzt weitlrn frei von Befangenheiten und von Bindungen, die von ihr,

die eine Last von zwei Jahrtausenden an Tradition zu tragen hat und aus Konvention mit den jeweils Führenden in Kontakt sein mußte, nur allmählich, in Anpassung an die geänderten Bedingungen, aufgegeben werden konnten. Da nun die Klasse der Arbeitnehmer und ihr Widerpart andere geworden sind und zudem die Kirche ostentativ jenseits der Klassenauseinandersetzungen steht, beginnt sich das allmählich im Denken der führenden österreichischen Sozialisten widerzuspiegeln.

3. Die Kirche hat ihr Antlitz der Welt zugekehrt, der Welt als einem Ganzen, allen Rassen und Klassen. Sie hat erfahren, daß vielfach auch in jenen Kräften, die nach der Französischen Revolution (dem großen christlichen Trauma) aufgebrochen sind, durchau„ das redliche Bemühen vorhanden sein kann, über eine bessere materielle Welt Gottes Gebot zu erfüllen. So wird von der Kirche her neuerlich dokumentiert, daß sie sich mit keiner geschichtlichen Ordnung gleichsetzen kann (A. M Knoll) und d?ß man ihr nicht zumuten darf, sich in einer Art „Witwenverbrennung“ mit den Mäch ten, die nun einmal zum Untergang verurteilt sind, auch selbst aufzugeben.

Aber erst der Rückzug aus der unmittelbaren Parteipolitik.hat die Kirche wieder in die Gesellschaft zurückgeführt und sie instand gesetzt, aus der trügerischen Sicherung josephinistischer Staats- und Parteiabhängigkeit auszubrechen, sich selbst neu zu verstehen und sich ihrer spezifischen Eigenmacht bewußt zu werden. Daher verfängt die Gleichsetzung Kirche-OeVP nicht mehr.

4. Dazu kommt, daß auch der „dritte" Partner, das sogenannte „Bürgertum", immer mehr glaubt, von sich aus auf die Hilfe der Kirche, die von ihr unseligerweise als „bürgerliche Vorfeldorganisation“ betrachtet wurde, verzichten zu können. Das Zweiparteiensystem hat jene Menschen, die sich aus verschiedenen Gründen „bürgerlich“ nennen und damit sagen wollen, sie seien nichtsozialistisch, in einer Partei zusammengefaßti Nicht nur in Oesterreich. Dadurch aber ist bei uns der parteipolitische Katholizismus vom Grund her liquidiert worden, wenn auch der politische Katholizismus bestehen bleibt. Das „Bürgerliche“ und das Christliche bilden keine naturnotwendige Einheit, wenn auch die Kontakte heute noch stärker sind als jene zwischen Kirche und österreichischem Sozialismus. Auch in den bürgerlichen politischen Gruppen sind noch weltanschauliche Elemente vorhanden; ihre Bedeutung ist aber nicht mehr die erstrangige, wie etwa in der Partei Luegers. Mehr und mehr machen die Menschen ihre politische Entscheidung davon abhängig, welche Einkommens- und Konsumchancen ihnen die politischen Gruppen bieten. Das bedeutet aber eine Kommerzialisierung des politischen Denkens. Jedenfalls darf die Kirche der OeVP, die noch dazu in den letzten Jahren bewußt eine Sammlung aller Katholiken, Liberalen und Nationalen anstrebt, nicht mehr die gleiche, Kirchentreue zumuten, die sie mit Recht bei der alten Christlichsozialen Partei noch voraussetzen konnte; wenn auch derzeit die christliche „Substanz“ in der OeVP noch ungleich größer ist als bei den anderen Parteien.

Das aber hat zur Folge, daß die Kirche, von den Parteien selbst als volljährig erklärt, in Sachen des Politischen das Gesetz des Handelns weitgehend zurückerhalten hat. Daher bedarf sie nicht mehr in politischen Dingen durchweg der Dienste ehrlicher Makler.

5. Man sagt, daß für die SPOe bei ihrem Versuch, mit der Kirche einen besseren Kontakt zu bekommen, vor allem Fragen der Taktik maßgebend, wenn nicht ausschlaggebend gewesen seien. Ich glaube, daß man die Beiderseitigen Bemühungen nicht von allem Anfang an durch eine solche Annahme belasten dürfte; anderseits sollte man von einer Partei auch nicht soviel Selbstüberwindung verlangen, sich um die Mehrung ihres Besitzstandes überhaupt nicht zu kümmern.

Worum soll es nun, wenn von der Herstellung eines neuen Verhältnisses von Kirche und Sozialismus in Oesterreich gesprochen wird, überhaupt gehen?

Negativ geht es um eine Neutralisierung des Sozialismus in Sachen der Kirche, genauer darum, daß der Sozialismus den Atheismus und den Deismus ebenso zur Privatsache erklärt, wie er dies seinerzeit mit der christlichen Religion getan hat. — Anderseits soll auch die Kirche gegenüber dem Sozialismus, so weit es sich mit ihrem Lehrauftrag verträgt, neutralisiert werden; beispielsweise: jene Zurückhaltung bei Wahlen rortführen, wie sie bei uns in Oesterreich, nicht allgemein in Deutschland, in letzter Zeit schon Brauch war. Mehr der Kirche zuzumuten, steht wohl außerhalb einer Diskussion.

Positiv : Man erwartet auf katholischer Seite, daß die SPOe das bestehende K o n k o r- d a t im Prinzip als wirksam anerkennen oder zumindest einem neuen Konkordat zustimmen wird, in dem den Wünschen des Heiligen Stuhles wie der österreichischen Diözesanordi- narien weitgehend Rechnung getragen wird. Vorsorglich sollte man aber auf Seite der SPOe nicht davon ausgehen, daß allein damit das Verhältnis zur Kirche von Grund aus geregelt werden kann; wirkt doch dieses Verhältnis, so wie es sich nach 1945 herausgebildet hat, nicht nur zwischen Institutionen und Kanzleien, sondern auf den einzelnen Stufen und in den Gruppen der Gesellschaft, ja zwischen einzelnen Menschen.

Eine andere Frage ist die, ob man erwarten kann, daß die in der SPOe in nicht geringer Zahl beheimateten gläubigen Katholiken innerhalb der Parteihierarchie gleiche Ausgangspositionen erhalten wie die marxistisch-atheistischen Kräfte und die „Freiheitlichen“. In der Regierung sitzen zwar „ohnehin“ zwei katholische Sozialisten; dem gegenseitigen Verständnis wäre aber hoch mehr gedient, wenn in der SPOe den Katholiken die gleichen Chancen wie bei der OeVP eingeräumt wären. Ein solches Verlangen zu stellen, ist freilich nicht Sache der Kirche.

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