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Tagebuch historischer Ereignisse

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Helmut Kohl hat der Nachwelt I—I zugesichert, daß er nie daran JL -L denken werde, Memoiren zu schreiben. Wer die Fraglichkeit mancher dieser Produkte kennt, stimmt ihm zu. Den Kanzler der deutschen Wiedervereinigung hat dieser Schwur in Schwierigkeiten gebracht, denn der historische Prozeß der Jahre 1989 und 1990, in denen er als eine der großen Figuren der Geschichte tätig war, verlangt nach Dokumentation. Nun ließ er sich von zwei Journalisten Authentisches entlocken. Fast wie in einem Tagebuch werden die Ereignisse beschrieben, die von Gorbatschows Perestrojka über die Massenflucht der DDB-Bürger über Budapest und Prag zum Zusammenbruch der Mauer und zur Wiedervereinigung führten.

Da der Hauptakteur offensichtlich jede Zeile gelesen und korrigiert hat, ist das Werk für die Zeithistoriker von großer Bedeutung. Es kommt darin auch die persönliche Betroffenheit zum Ausdruck, die Beflexion zum je-

weiligen Augenblick, persönliche Motive sowie auch die Spannungen, in denen solche Persönlichkeiten mit Politikern im eigenen Land sowie in Europa und der Welt stehen.

Interessant, wie sich Helmut Kohl an jede Kritik erinnert, jedes noch so geringe Mißtrauen verzeichnet und damit eine Empfindsamkeit dokumentiert, die in das Bild eines großen Mannes nicht so recht zu passen scheint.

Spätere Historiker wird vielleicht stören, daß das Buch so ganz auf Deutschland zentriert ist, wäre doch der Zerfall des Sowjetimperiums, aber auch die mangelnde Vorbereitung des Westens gerade aus der Sicht des deutschen Bundeskanzlers von Interesse. Man muß aber verstehen, daß er sich angesichts der Bedeutung der Wiedervereinigung und der persönlichen Bindung an dieses politische Ziel fast ausschließlich darauf beschränkt. Die Form scheint mir klug gewählt, die Darstellung entspricht der Natur und dem Wesen Helmut Kohls, das Ereignis steht im Zentrum. Die distanzierte, abwägende Betrachtung

ist Sache einer späteren Generation. Die Botschaft des Buches ist, daß ein starker Wille in der Lage ist,- gegen mannigfache andere Vorstellungen auch heute sein Ziel zu realisieren, wenn er nur daran glaubt.

Interessant sind die psychologischen Schattierungen, die Kohl in das Bild seiner Partner bringt. Sie gehen im Fernsehzeitaller unter, da es kaum mehr Briefliteratur gibt, in der Politiker unserer Zeit beschrieben werden. Unter diesem Aspekt hat das Buch über die Zeit hinausreichende Bedeutung. Man kann auch darüber meditieren, wie rasch wir wieder zur Tagesordnung übergegangen sind und nicht mehr an die Bedeutung dieser Ereignisse denken. Kohls Buch ist eine Aufforderung, mehr Bewußtsein für ihre historischen Dimensionen zu entwickeln - ein Bewußtsein, das Helmut Kohl selber ganz zweifellos hat, und zwar mit Becht.

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