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Theologie des Schweigens

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Di* Gott elf rage de heutigen Menschen. Von Hanf Ute von Balthasar, Verlag Herold, Wien-München. 223 Seiten. Preis 52 S

Im Gegensatz zu zahlreichen ähnlichen Schriften bleibt dieses Buch nicht in der Zeitdiagnose stecken, noch begnügt es sich mit einer abschreckenden Beschreibung der heutigen Qualen, Nöte und Gefahren, denen die Menschheit durch den unglaublichen technischen Fortschritt ausgesetzt ist, sondern es öffnet vor allem den Weg. auf dem man, diese Gefahren auffangen bzw. die technischen Ergebnisse positiv veiwerten kann, denn „Klagen“ hat Hier keinen Sinn, noch weniger die „Desertion“ oder die Flucht aus der Welt, denn dem heutigen Menschen wird auch jetzt noch der göttliche Auftrag erteilt, die Erde zu beherrschen. In einer überzeugenden historisch-philosophischen Ueberschau zeigt der Verfasser, daß die bisherige „kosmologische“ Periode von einer „anthropologischen“ abgelöst wird, denn gerade die erstaunlichen und angsterregenden Erfindungen haben die entscheidende Bedeutung des Menschen und seiner persönlichen Verantwortung hervorgehoben und dazu das Bewußtsein verstärkt, daß nicht der einzelne allein die Last zu tragen vermag, sondern nur in der Gemeinschaft, weil es sich in fast allen neuzeitlichen Belangen und vor allem auf technischem Gebiet um eine „soziale Verantwortung“ handelt, „von Einzelnen getragen, die sich aber als Glieder verstehen“. Im allgemeinen ist es richtig, daß die Religiosität proportional mit dem technischen Fortschritt abgenommen hat, anderseits aber zwingt das zunehmende Verantwortungsbewußtsein den Menschen dazu, nach einer außerweltlichen Norm Ausschau zu halten. Da der Mensch auf dem Wege ist, sich die ganze Natur zu unterwerfen, fühlt er sich nicht mehr, so wie früher, als Teil des Ganzen oder als einen Mikrokosmos, sondern als einen geistigen Lenker, der sich, trotz der großen Erfolge, seiner Unzulänglichkeit immer mehr bewußt wird und daher in einem überweltliehen Gott den notwendigen Halt sucht, in einein Gott also, der nicht ah Naturkraft, sondern als Geist gedacht und deshalb auch nur als Person angesprochen werden kann. In dieser technisch-geistigen Situation rindet -eine natürliche Religion im kosmologischen Sinne weniger. Anklang als das, Suchen nach einem ver-bgrgncn transzendenten Gott, dessen Wesen, Walten und Wollen nicht aus der Natur, sondern eher aus einer persönlichen Offenbarung erkannt werden kann.- ''

Somit erwachsen der Theologie und der kirchlichen Verkündigung neue Möglichkeiten und Aufgaben, und gerade hier verdienen diese Erläuterungen die volle Aufmerksamkeit. Selbstverständlich baut der

Verfasser keine neue Theologie auf, sondern er entwickelt einige allgemeine Richtlinien, denen das heutige religiöse und theologische Denken Rechnung tragen soll. Aus der Fülle der Gedanken sei auf folgende Gnmdmotive hingewiesen: der neuzeitliche, von Kant beeinflußte Subjektivismus, der mit Des-cartes' „cogito, ergo sum“ anhub, muß von einer objektiven, außermenschlichen Schau abgelöst werden, indem der Mensch nicht als letzte Wahrheitsnonn proklamiert, sondern in die objektive Welt der göttlichen Wirklichkeit und Wahrheit aufgenommen und gedacht wird (Cogitor = ich werde gedacht). Der noch immer von so vielen wohlmeinenden Protestanten bekämpfte und unverstandene Absolut-heits- und Ausschließlichkeitsanspruch der katholischen Kirche, der in der gedanklichen Intoleranz seinen schärfsten Ausdruck findet, darf in seiner dogmatischen Prägung — entgegen allen neuzeitlichen humanistischen, interkonfessionellen und neutralistischen Bestrebungen — niemals abgeschwächt weiden, weil weder die Wahrheit noch auch Christus selbst eine solche Verwässerung zuläßt oder toleriert. Und schließlich: trotz aller Hochschätzung der natürlichen Werte, muß gerade jene Wahrheit das christliche Denken und Beten durchleuchten, daß die Welt „nicht Gott ist“ bzw. daß „Gott nicht in das Weltbild hineinpaßt“. Diese Transzendenz, die einer unnahbaren Einsamkeit gleichkommt, führt auch die Kirche und ihre Kinder — inmitten einer zu beherrschenden Welt — in eine geistige Einsamkeit, gleichzeitig aber muß dieses Anders-Sein auch die Theologie durchdringen, mit anderen Worten: die Theologie hat sich seit der Gegenreformation immer mehr an das Sichtbare geklammert und das „le-Grüßere“ weniger beachtet. Wenn die jüngste theologische Periode auf Grund des Axiomas „gratia upponit naturam“ die Natur vielleicht auf Kosten der Gnade etwas überbetont hat, so muß der Ana-lcgielehre jetzt mehr Beachtung geschenkt werden, weil alle unabänderlichen dogmatischen Definitionen und jedes theologische Bemühen in eine Theologie des Schweigens einmünden, wo der menschliche Geist letzten Endes vor dem Mysterium schweigt und ihm keine andere Haltung übrigbleibt als die des Gebetes und der Anbetung. „Heute muß dieser Abstand neu und sehr viel prägnanter hervorgehoben werden“, denn die „letzte Gewißheit ist die, daß nicht ich selber das Licht bin“. Auch „Bibelbewegung kann nur sinnvoll sein, wenn im Wort das Ueberwort gesucht und geahnt wird, jenes Wort, das. durch alle Einzelworte sich ausdrückt, nicht sich, sondern den in ihm schweigenden Vater“. Was der Verfasser hier lehrt, ist also keine neue Theologie, nicht einmal eine neue Methode, sondern eine Haltung, zu der uns jede Theologie führen müßte und die gerade unserer heutigen Situation entspricht.

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