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Theosophie und Anthroposophie

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Unter Hinweis auf den in der „Furche“ vom 2. November erschienenen Aufsatz „Neu-Gnostizismus unterwegs“, welcher im allgemeinen kurz das Wesen häretischer Gnosis aufzeigte, soll heute im besonderen über die beiden neugnostischen Gesellschaften für Theosophie und Anthroposophie, die heute wieder von sich reden machen, ein informierendes Wort gesagt werden, soweit dies in dem knappen Rahmen eines Zeitungsaufsatzes unternommen werden kann.

Die Theosophie ist eine Zusammenfassung von Teilstücken der verschiedenartigsten Religionen und Philosophien. In ihren Anfängen war sie spiritistischer Okkultismus, in dem auch die jüdische Kab-balah eine gewisse Rolle spielte. Erst später verband sie sich mit der Philosophie des Buddhismus und nahm noch später Irrlehren der frühchristlichen Gno-stiker in ihr Lehrsystem auf. Zu gleicher Zeit pflegte sie okkultes Hellsehertum und exakte Naturwissenschaft durch Einbau der Deszendenztheorie in ihr Lehrgebäude.

Theologisch ist Theosophie reiner Pantheismus, kosmologisch pantheistische Emanationslehre, das heißt, sie leugnet die Persönlichkeit Gottes, naturgemäß auch die individuelle Substantialität der menschlichen Seele; Gott ist für sie kein persönliches, rein geistiges und von der Welt wesentlich verschiedenes Wesen, Gott und Welt stehen sich nicht als ein Schaffendes und ein Geschaffenes gegenüber, sondern Gott bildet mit der Welt eine pantheistisch gedachte Einheit. Die Theosophie leugnet einen wesentlichen Unterschied zwischen Geist und Materie. Beide sind nach ihr nur verschiedene Offenbarungen ein und derselben Substanz, wobei nur die Grade der Dichtigkeit die Unterscheidung in „Geist“ und „Materie“ notwendig mache. Unsere Erde bestehe aus sieben „unsichtbaren Welten“. Die göttliche Welt als oberste und feinste angenommen, sind diese Welten bis zur untersten grobstofflichen folgende: die göttliche, monadische, spirituelle, intuitionelle, Mental-, Astral-und physische Welt. Von oben her ergießt sich das göttliche Leben in die Materie dieser Welten. Es steigt von der göttlichen Welt durch alle sieben Welten in die physische Welt herab, indem es sich in eine immer dichtere Materie kleidet, immer dichterstofflichere Vehikel oder Körper annimmt, um dann durch Wiederabwer-fung dieser Vehikel zur göttlichen Welt zurückzukehren Es ist dies ein Entwicklungslauf, der sich uns in seiner ersten absteigenden Hälfte als Involution und in seiner zweiten aufsteigenden Hälfte als Evolution zeigt. Nach theosophischer Lehre gibt es keinen Abschluß der Entwicklung am Ende der Zeiten, kein endgültiges Ruhen in Gott, sondern nur ewigen Kreislauf der Evolution. In der Frage: fördert oder hindert mein Tun die Evolution? gipfelt die theosophische Moral aus. Ist der Mensch noch nicht vollendet, um in das Reich der höheren Welten einzugehen nach seinem leiblichen Tode, so hat er den „Durst nach Wiederverkörperung“ oder Re-Inkarnation. Im Zusammenhang mit dem Re-Inkarnationsgesetz steht das Gesetz des Karma. Karma ist das ethische Kausalgesetz von Ursache und Wirkung. Unsere Gedanken, Worte und Werke bringen für das nächste Leibesleben eine bestimmte Wirkung hervor, die nur vom Gesichtspunkt der Kausalität aus zu beurteilen sei. Da es für Ursache und Wirkung an sich keinerlei Lob und Strafe geben kann, können auch unsere Taten weder eine Belohnung noch eine Bestrafung nach sich ziehen. Die gute Handlung sinkt so zum „karmischen Vorteil“ herab und die böse hört auf, Sünde zu sein. Sie ist nur die Verursachung von „karmischen Schmerzen“ und darum zu unterlassen.

Mit der Überwachung des Entwicklungsprozesses sind nach theosophischer Lehre übermenschliche Menschen betraut, die sogenannten „M eister der Weisheit“ (Mahatmas). Sie sind Glieder einer „okkulten Hierarchie“ und erscheinen beim Ubergang einer Kulturepoche in eine neue sichtbar auf Erden. Diese Hierarchie entsendet auch die großen Religionsstifter auf Erden. Auch Christus wäre nur eines jener übermenschlichen Wesen aus der Gruppe der „Weltlehrer“ — wie es zum Beispiel vor ihm auch Zoroaster, Hermes Thot oder Buddha waren —, das sich in der Person des Jesus von Nazareth inkar-niert habe. Eine Erlösung durch Christus gebe es nicht, da es keine Sünde gebe. Der Kreuzestod Christi wäre nur als „alegori-sche Erzählung“ zu verstehen. Diese Stellung der Theosophie zu Christus ist allein schon Beweis genug, daß es keine Berührungspunkte zwischen Theosophie und Christentum geben kann, so gerne uns dies die Theosophie auch glauber. machen möchte. Der Gleichlaut der Terminologie darf nicht irreführen; die katholisierende Sprache ist nur technischer Behelf für die Werbetätigkeit in christlichen Ländern.

Anders spricht die Theosophie im buddhistischen Indien, anders im Sekten-Amerika, anders in unseren katholischen Ländern.

Woher nahm nun dieser „okkulte Impuls“, Theosophie genannt, seinen Ursprung? Es war am 17. November 1875, als die heute über alle Weltteile verbreitete Gesellschaft „Adyar“ in einem kleinen Zimmer in New York gegründet wurde. Die Russin Helene Petrowna Blavatsky, Oberst Henri Steele Olcott, nebst anderen Amerikanern, die Madame Blavatsky und Colo-ncl Olcott um sich versammelt und für ihre Sache interessiert hatten, waren die Gründer der Gesellschaft. Das Hauptquartier der Theosophischen Gesellschaft war Adyar, ein Vorort der südindischen Stadt Madras. Die dritte Präsidentschaft übernahm die sehr tüchtige und erst vor einigen Jahren verstorbene Frau Doktor Besant, unter deren Führung sich die Gesellschaft auch auf europäischem Boden rasch entwickelte Im Jahre 1913 aber gab es einen Bruch. Dr. A. Besant hatte den damals 14jährigen Sohn des Sekretärs der Theosophischen Gesellschaft in Adyar. J. Krishnamurti, zum „Weltlehrer“ erwählt. Sie erklärte, sie und C. W. Lcad-beater, ein hervorragendes Mitglied der Gesellschaft, hätten in Hellgesichten seine früheren Leben geschaut und sie seien der festen Überzeugung, daß er der kommende Weltlehrer sei. Zum Zwecke der Vorbereitung auf sein Kommen gründete Dr. A. Besant den sogenannten „Sternorden“. Dr. Rudolf Steiner, damals Generalsekretär der Theosophischen Gesellschaft in Deutschland, erklärte diese Gründung als eine lächerliche Absurdität, trat ins Schisma und gründete nun seinerseits die Anthroposophische Gesellschaft.

Schon ihrem Namen nach ist Anthroposophie eine betonte Hinwendung von Gott weg zum Menschen. Gleich der Theosophie ist sie ein Wahrheitssuchen unter falschen Voraussetzungen über die Natur des Menschen und über seine Beziehung zum Göttlichen. Mit ihr teilt sie das pantheistische Lehrfundament, den esoterischen Hochmut und die aus dem pan-theistischen Gottesbegriff resultierende Ablehnung göttlicher wie menschlicher Autoritat, also den moralischen Autonomismus. Durch ihr „freies Geistesforschen“ und ihre „freie Geisteslehre“ wird sie die Schrittmacherin eines gefährlichen religiösen Subjektivismus.

Es wäre eine äußerst interessante Aufgabe, Wesen und Werden des anthropo-sophischen Ideenkomplexes an Hand der geistigen Entwicklungsgeschichte des Gründers der Anthroposophischen Gesellschaft, Dr. Rudolf Steiner, aufzuzeigen, da die Kraft seiner überragenden Persönlichkeit auch noch heute das latent tragende Fundament dieser Gesellschaft ist. Leider müssen wir uns aber nur mit den notwendigsten Daten begnügen.

Dr. R. Steiner, 1861 in Kroatien geboren, war der Sohn einfacher Leute. Nach hartem Studiengang finden wir ihn auf der Technik, wo er im weitesten Umfange die Naturwissenschaften studiert und 1892 promoviert. Nach einigen Jahren Privatstudiums geht er nach Berlin und beginnt zunächst in kleinem Kreis mit der Darstellung seiner „Geisteswissenschaft“. Diese ist keine Weiterführung der Theosophie, sondern ein Mitaufnehmen derjenigen Elemente, die sich in seine eigene Erkenntnisweise eingliedern ließen. Er ging zunächst daran, eine „geisteswissenschaftliche Aufklärung“ über das Wesen des Christentums zu geben. Daher steht auch die Gestalt Christi im Mittelpunkt des anthroposophischen Geistesforschens, freilich nicht der biblisch-historische Christus, sondern Christus als neue Phantasieschöpfung Dr. Steiners. Das Zentrum der Anthroposophischen Gesellschaft wurde Dornach bei Basel, wo Dr. Steiner das sogenannte Goetheanum, die „Freie Hochschule für Geisteswissenschaft“ schuf. Ein Brand verwüstete 1922 den Bau. EHe Kränkung darüber untergrub Dr. Steiners ohnehin schwächliche Gesundheit: mitten in den Wiederaufbauarbeiten starb er im März 1925 zu Dornach.

Wie in der theosophischen so sind es auch in der anthroposophischen Lehre die drei strukturbildenden Gesetze der Evolution, Inkarnation und des Karma, um welche sich die übrigen Lehrelemente gruppieren. Der Mensch ist ein drei-gliederiger Organismus aus Leib, Geist und Seele. Wenn die Leibeshülle im Tode abgestreift wird, erheben sich Seele und Geist in die „Seelenwelt“. Das Seelische hat seine Aufgabe, Leib und Geist zu verbinden, erfüllt; es löst sich daher in der „Seelenwelt“ wieder auf, der Geist aber geht in das „Geistland“ ein. Dort bleibt er, bis das Ich den Durst nach Wiederverkörperung fühlt. Nach Dr. Steiner verkörpern wir uns in 2100 Jahren zweimal: einmal als Mann, einmal als Frau.

Betrachtet man die geistige Welt Doktor Steiners, so scheint sie auf den ersten Blick eine Ablehnung des Materialismus zu sein, weshalb auch die Anthroposophie gerade auf jene eine gewisse Anziehungskraft ausübt, die eine „Vergeistigung des Materialismus“ anstreben. Versuchte doch Dr. Steiner, der materialistischen Erkenntnistheorie eine „wirklichkeitsgemäße“, das heißt eine Erkenntnistheorie, die Wahrnehmung und Denken in gleicher Weise zu Wort kommen läßt, gegenüberzustellen. Wenn aber Dr. Steiner die Naturwissenschaft des Jahrhunderts als eine materialistische ablehnte, so tat er es, weil sie die geistigen Hintergründe der Natur, wie er sie sah, nicht anerkannte. Er bekämpfte den Materialismus aus Gründen des Übersinnlichen, nicht aber des Ubernatürlichen. Wenn er „Geist“ sagte, so meinte er das Übersinnliche mit Ausschluß des Übernatürlichen, das er als „überflüssige metaphysische Hinterwelt“ ablehnte, da diese sichtbare Welt vollkommen ausreichend und durch eine „unerkennbare jenseitige Welt nicht ergänzungsbedürftig“ sei.

Als Mensch war Dr. Steiner der große Einsame. Er war einer jener tragischen Fremdlinge auf Erden, wie sie über die Bühne dieser Welt mit den großen Schritten der Eroberer schreiten und dennoch sich allein wissen mit dem, was,sie als ihre ureigenste Lebensaufgabe betrachten. Eine Lebensaufgabe, in der Dr. Steider in bezug auf den Gegenstand tragisch gerrt, der er jedoch als Person mit dem ganzen Einsatz seines großen und auch gütigen Herzens vorstand. Wie ein Nichts hatte er sein Leben für die .Sache hingeopfert in der Hoffnung, viel zu erreichen. Was aber blieb, sind die Schatten „geisteswissenschaftlicher“ Erkenntnisse, die für einige Dezennien wie eine kleine Wolke über die Sonne der christlichen Glaubensoffenbarung hinhuschen und dann nicht mehr sind.

Wie die Theosophie kennt auch die Anthroposophie eine strenge Unterscheidung zwischen Esoterikern und Exoterikern. In dieser Unterscheidung liegt die Anziehungskraft für die dem Okkulten zugeneigten Geister. Denn welcher moderne Mensch, vom Geiste religiösen Hochmuts angekränkelt oder vielleicht auch schon besessen, fühlte sich nicht zu einer Gesellschaft von Adepten, die esoterische Einweihung verspricht, hingezogen? Es schmeichelt seinem Selbstgefühl, wenn er nicht wie in der „kathc':schen Massenkirdie“ glauben muß, was äfle glauben müssen, sondern wenn ihm durch die Vermittlung des „höheren Wissens“ die Möglichkeit zu einer geistigen Sonderstellungen geboten erscheint. Die unbewußte Hauptfrage ist dann nicht: wo finde ich die Wahrheit? sondern: wie kann ich mich über die Masse erheben? Die Wahrheit ist ein Objektives und läßt daher die subjektiven Sonderinteressen des einzelnen da und dort unberücksichtigt; es ist dazu da, daß man sich ihm unterordne. Diese Unterordnung ist für autonome Geister unerträglich. Fast automatisch setzt darum überall dort, wo ihnen das Objektive, sei es durch Dogma oder Sittengesetz, gebietend entgegentritt, die ressentimentgesättigte Ablehnung ein.

Nur dem Überdruß gewisser intellektueller Kreise am groben Materialismus verdanken Theosophie und Anthroposophie Bestand und Weiterentwicklung, jener Kreise nämlich, die dem Christentum entfremdet oder nie das Glück gehabt haben, in seine Glaubens- und Lebensfülle hineingeboren worden zu sein. Und vergessen wir nicht: anders ist die Kriegsweise des Materialismus, anders die des falschen . Spiritualismus. „Human“ und „tolerant“ werden die unsichtbaren Netze ausgeworfen und nicht zusammengezogen über dem Gegner. Wenn er nur innerhalb des Netzes ist, das weitere wird sich schon finden. Niemand wird nach siner religiösen Überzeugung gefragt, niemand vor die Wahl eines Bekenntnisses gestellt. So gibt es weder Märtyrer noch Apostaten. Es gibt nur „Brüder“, und die geeinte Menschheit fällt sich in die Arme. Das ist.die höhere. Kriegführung des Geistes, des . antichristlichen . Spiritualismus der Gegenwart und, mehr noch, der Zukunft.

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