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Um die Herkunft des Menschenleibes

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Ob der Mensch seinem Körper nach aus dem Tierreidi stammt, wird einmal die wissenschaftliche Forschung zu entscheiden haben. Wer sagt, daß die in diesem Sinn verstandene tierische Abstammung des Menschen heute bereits als eine wissenschaftlich erwiesene oder auch nur wahrscheinlich gemachte Tatsache zu gelten hat, der behauptet mehr, als er beweisen kann. Daß diese These gerade im Lichte neuerer und neuester Forschungen auf ernstJhafte Schwierigkeiten stößt — auf Schwierigkeiten, die man vor zehn bis zwanzig Jahren nicht gesehen hat, beziehungsweise damals gar nicht sehen konnte —, denke ich im folgenden überzeugend dartun zu können.

So ist besonders mit den Schweizer Professoren J. Kälin, A. Portmann und anderen hier in Betracht kommenden Fachbiologen zu betonen, daß es Tatsachen gibt (biologische Sonderheiten, Typenhaftigkeit des menschlidien Körpers usw.), welche durch die entsprechenden Hypothesen einer stammesgeschichtlichen Herkunft des Menschenleibes vom Tier angesichts des heute gegebenen Forschungsstandes nicht befriedigend erklärt werden können. Im besonderen weist Kälin darauf hin, daß die Hypothese einer tierischen Herkunft des Menschenleibes auf alle Fälle einer Zusatzhypothese bedürftig sei. Dieses ergebe sich daraus, daß vom Standpunkte der heutigen biologischen Forschung aus „eine gestalthaft adulte Übergangsform zwischen präho-minider Stammform und Menschenleib... überhaupt nie existiert hat“. Ein derartiges, auf den Menschen hin entwickeltes Wesen (aber noch ohne menschliche Seele) hätte ein unmögliches Gebilde („nicht Fisch noch Fleisch“) dargestellt. Mit anderen Worten: zur Menschwerdung konnte es nicht dadurch kommen, daß einem im erwähnten Sinne höchstentwickelten Tierleib einfach an Stelle der Tierseele eine Menschenseele eingesetzt wurde. Der Eintritt des menschlichen Geistes in einen solchen Leib hätte unbedingt auch ganz grundlegende Änderungen in rein körperlicher Hinsicht notwendig gemacht Es ist klar, daß es sich im Lichte dieser Erkenntnisse eigentlich als a priori unmöglich erweist, wirkliche Missinglinks zu fin-len. Erklärt es sich so, daß virkliche Missinclinks bis heute tatsächlich auch noch nicht gefunden wurden?

Zum heutigen Stand der Forschung m anthropologischer und prähistorischer Hinsicht

In der Frage der etwaigen Herleitung des Menschenleibes aus dem Tierreiche kann uns, darin sind wohl alle einig, die heute lebende Menschheit nichts Entscheidendes sagen. Alle Menschen, die gegenwärtig die Erde bevölkern, ganz gleich ob es sich um „Naturmenschen“ oder „Kulturmenschen“ handelt, gehören, selbst rein körperlich betrachtet, zur sogenannten Homo sapiens-(oder auch Homo recens-) Gruppe. Die Formen erscheinen hier, trotz den gelegentlich vorkqmmenden, mehr oder weniger tierhaften Merkmalen im einzelnen, im allgemeinen doch so ausgesprochen menschlich, daß niemand an eine irgendwie direkte Verbindung mit dem Tiere denkt. Demgegenüber stehen aber die Formen der sogenannten Neandertal- und de- Anthropusgruppe, worunter die primitiven Menschen begriffen werden, deren Reste im Verlaufe der verflossenen Jahrzehnte die prähistorische Forschung aus eiszeitlichen und zwischeneiszeitlichen Stationen zutage gefördert hat. Die Namen Neandertalmensch (Homo primigenius, Urmensch) einerseits und Trinilmensch (Pithecanthropus erectus, Java), Pekingmensch (Sinanthropus pekinensis) andererseits sagen, beziehungsweise bringen in Erinnerung, was hier in Frage steht.

In der ganzen Erörterung um die Herleitung des menschlichen Körpers aus dem Tierreiche dreht es sich in erster Linie stets wieder um diese Funde. Dabei ist man so gut wie allgemein davon abgekommen, den Menschen direkt an heute lebende „menschenähnliche“ (anthropomorphe) Affen: Schimpanse, Gorilla, Orang-Utang, anzuschließen, sondern man bemüht sich, beide Gruppen, also die Familie der Hommiden (Mensch) und die der Anthropoiden (menschenähnliche Affen), auf eine ältere, erdgeschichtlich weiter zurückliegende (tertiäre) Ausgangsform zurückzuführen. Alle ernstzunehmenden Forscher sind jedoch einig darin, daß bis heute weder die supponierte gemeinsame Wurzel noch die eigentlichen Zwischenglieder, die von dort ausgehen und zum Menschen hinführen sollen, durdi konkrete Funde belegt sind.

Bis heute sind keine „tierhaften“ Funde der Menschheit (Neandertaler, Anthropusgruppe) älter als gewisse „m o-dern“ aussehende Menschen (Piltdown us w.)

Aber diese Altmenschreihe (unter diesem Namen werden hier Neandertal- und Anthropusgruppe zusammengefaßt) steht nun nicht allein da. Eine crux der einseitig entwicklungstheoretisdi eingestellten Paläoanthropologen bildet seit langem der Homo sapiens-artige Piltdownmcnsdi (Südengland), demgegenüber, vielleicht abgesehen vom Unterkiefer von Heidelberg, überhaupt kein Menschenfund als älter erwiesen werden kann. Ähnlich zu wertende Funde sind in neuerer Zeit in Swanscombe (England), Steinheim ('Württemberg), Karmel (Palästina), Saccopovtore (Italienl usw. gemacht worden. Da wir also neben Piltdown die ebenfalls sehr alten (vorneandertaloiden und gleichzeitig mehr Homo sapiens-artigen) Funde von Swanscombe, Steinheim usw. haben, kann der Piltdownmensch nicht mehr als so hoffnungslos alleinstehend hingestellt werden, wie das in der Vergangenheit nicht so selten geschehen ist. Auf Grund alles dessen ist der Bann gebrodien, das heißt die konstr erte Entwicklungsreihe: anthropomorphe Affen, Neandertaler, Homo sapiens, ist angesichts der heute bekannten historischen Tatsächlichkeiten eine reine Hypothese, jedenfalls solange, als nicht etwa neue Funde zu einer Änderung der Auffassung zwingen sollten.

Jeder Eingeweihte versteht, daß angesichts des oh so trümmerhaften Zusrandes der Fundmaterialien die Meinung der Autoren im Einzelfalle so oder so differiert. Wieweit man sich aber der neuen Situation bewußt geworden ist, das zeigen die lebhaften Diskussionen, die bereits durchgeführt wurden. Was dabei bis jetzt herausgekommen und mir bekanntgeworden ist, oll hier im wesentlichen, wenn natürlich udi nur ganz kurz, wiedergegeben werden.

1. Zunächst sei noch einmal daran erinnert, daß die Möglichkeit der Abstammung des Menschenleibes von einer heute lebenden Affenart so gut wie allgemein verneint wird.

2. Eigentliche Zwischenglieder zu der von vielen postulierten gemeinsamen Wurzel im Endtertiär sind bis heute, wie allgemein zugegeben wird, nicht gefunden worden.

3. Im typischen Neandertaler sehen viele (so Gieseler, W. W. Howells, C. St. Coon) eine sekundäre Vergröberung, also Spezialisation. Damit wird natürlich anerkannt und zugegeben, daß eine größere „Tierhaftig-keit“ auch eine zeitlich spätere Erscheinung sein kann. W. Gieseler meint zwar: „Diese (das heißt Europas zwischeneiszeitliche Funde des Neandertalers, also V o r-Neandertalers) müssen selbstverständlich dann in manchen Punkten eine größere Ähnlichkeit mit dem Homo sapiens zeigen.“ Wenn jemand hier boshaft sein wollte, könnte er wohl sagen: Also je näher dem supponierten Tierstadium, desto mensdien-ähnlicher!

4. Der Homo sapiens kann vom Neandertaler nicht abgeleitet werden. „Eine Abstammung des Homo sapiens aus dem Neandertaler würde voraussetzen, daß eine feinere und grazilere Form sich aus einer größeren, gröberen und plumperen entwickelt habe. Dem widersprechen die Erfahrungen der Paläontologie.“ (Gieseler.) Es ist evident, daß demnach im Neandertaler ein ausgestorbener, sekundärer Seitenzweig gesehen werden muß.

5. Die Stellungnahme zum Piltdown-menschen wie zu den anderen „Vorneandertalern und Neandertalern mit Recensmerkmalcn“ (also Übergangsformen oder Mischformen) ist naturgemäß nicht bei allen Forschern die gleiche.

a) Die Anthropologen Sir A. Keith (London) und M. F. Ashley-Montagu (Nordamerika) zeigen sich wohl geneigt, den Homo sapiens den Reigen eröffnen zu lassen. „Das in einem Schrank des Britischen Museums befindliche (Swanscombe) Skelett will zur Geltung kommen!“ (Ashley-Montagu).

b) Der verdienstvolle Erforscher des Pekingmensdien, Professor Fr. Weidenreich, anerkennt das relativ höchste Alter des Piltdownmenschen. Er meint aber, daß noch ältere primitive Vorläufer zu postulieren seien. Das liegt in der Linie der Zwischenglieder, die aber bis heute nidit gefunden wurden.

c) Professor O. Reche (leipzigl hat nicht versäumt, die Gelegenheit im Interesse seiner nordischen Rasse auszunützen: er führt diese auf den Menschen von Steinheim zurück! Er schiebt also den in solcher Hinsicht etwas unbequemen Neandertaler als jüngeren ausgestorbenen Seitenzweig beiseite (nach S. Steffens}. Auf jeden Fall gibt Reche damit zu erkennen, daß auch er, zumindest für Europa, dem Homo sapiens ein höheres Alter als dem Homo neandertalensis zubilligt.

Eine Hauptaufgabe wird nun, wie auch schon W. Schmidt, J. Kälin und andere mehrfach betont h.-.ben, darin zu sehen sein, den Ursachen der sekundären Primitivi-sierungen, wie sie also allem Anschein gemäß in den Altmenschformen gegeben sind, nachzuspüren. Gedanken und Vermutungen, die auch zu dieser Frage bereits geäußert wurden, kann aber an dieser Stelle eine weitere Aufmerksamkeit nicht mehr geschenkt werden.

Ich darf wohl annehmen, daß der freundliche Leser zustimmt, wenn ich die Annahme der tierischen Herkunft des Menschenleibes angesichts des heutigen Standes unserer Kenntnisse nicht als wissensdiaftlich gesicherte These gelten lassen kann. Die „Abnormitätenhypothese“ (sekundärer Charakter der Neandertalismen!), von der behauptet wurde, daß sie gar nicht mehr diskutiert werde, wird tatsächlich, wie wir gesehen haben, auch in der Gegenwart, und zwar von vielen führenden Forschern, recht eingehend und eifrig erörtert. Wie stark und weitreichend heute die „Krisenstimmung“ überhaupt ist, zeigt nichts besser als das von G. Heberer unter Mitwirkung mehrerer Fachgenossen herausgegebene Buch „Die Evolution der Organismen“ (Jena 1943). Zum Zeugnis dessen sei aus dem Vorwort nur der eine Satz des Herausgebers zitiert: „Die Dinge sind sdion so weit gediehen, daß die Abstammungslehre in ,geistigen Kreisen' vielfach als eine — angeblich audn durch die moderne Biologie (!) — widerlegte und überholte Hypothese betrachtet wird.“

Natürlich sind neue Funde möglidi, die dann eine Revision unserer jetzigen Auffassungen notwendig machen. Eine solche Aufgeschlossenheit und Einstellung ist ia für Forscher, denen es wirklich um die Erschließung der Wahrheit geht, ganz selbstverständlich.

Eventuelle Interessenten seien darauf aufmerksam gemacht, daß weiteres zu diesen und zu verwandten Fragen, vor allem auch zur geistig-religiösen' Seite des Urmenschen im Lichte der heutigen Forschung, zu finden ist in dem Buche „Wissen und Bekenntnis“ (Herausgeber Prof. Dr. Fr. Dessauer), das kürzlich in zweiter Auflage im Verlag von O. Walter, Ölten (Schweiz), erscheinen lcnn nr?

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