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Universitat im Jubilaum

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Es ist selbstverständlich, daß ein Jubiläum, wie es die Wiener Universität feiert, Anlaß zur Besinnung sein muß: vor allem darüber, wie unsere Alma mater ihre zeitlose Aufgabe in unserer Zeit erfüllen kann und wie vorzusorgen sei, daß sie in die zu erwartenden stürmischen Entwicklungen des wissenschaftlichen Weltbildes gerüstet eintreten kann.

Die Aufgabe einer Universität wurde zumeist mit dem Doppelwort „Lehre und Forschung“ umschrieben. Bis in relativ neue Zeit herein wurde diese nicht so sehr additioneil als vielmehr integral gemeinte Dualität kaum ernsthaft bestritten, wobei der Grundgedanke klar war: Nur einem, der selbst aktiv forschend in jenem Grenzland steht, wo sich Bekanntes mit Unbekanntem trifft, der also nicht nur das Wissen seiner Zeit in seinem Fach beherrscht, sondern aktiv darüber hinausschreitet und es mehrt, nur dem könne auch die Eignung zuerkannt werden, die akademische Jugend zu lehren. Ich glaube, daß dies eine sehr wichtige Einstellung ist, da daraus bereits unmittelbar hervorzugehen scheint, daß eben „Lehre“ nicht nur im Sinne der Vermittlung eines bestimmten Wissensgutes zu verstehen sei (was ja schließlich auch jeder „Wissende“ aber nicht „Forschende“ besorgen könnte), sondern im Sinne der mit der Lehre integral verbundenen Erziehung zum wissenschaftlich denkenden Akademiker, das heißt zu einem Menschen, der die Problematik allen Wissens und ihre oft genug gegebene Relativität erkennt und der in seinem Lernen und Werden bereits auch zum Suchen nach Mehrung des Wissens herangeführt werden sollte. Daraus die Konsequenz ziehend, könnte man also über die moderne (noch zu diskutierende) Problematik kurz schon vorausnehmend aussagen, daß es mit dem überkommenen Universitätsgedanken wohl vereinbar sei, wenn Forschungseinrichtungen ohne direkte Lehre im Universitätsrahmen bestünden, nicht aber wenn (von reinen Instruktionsfächern abgesehen) Lehre ohne Forschungsbasis vermittelt würde.

Zu dieser Lehraufgabe der Universität kam, in früheren Zeiten viel mehr betont als heute, noch die allgemeine Erziehungsaufgabe hinzu: Der junge Mensch solle, möglichst in persönlichem Kontakt mit den akademischen Lehrern, nicht nur mit dem Fachwissen und der Fachproblematik vertraut gemacht werden, sondern zum Civis akademicus im Vollsinne heranwachsen: Das Streben nach Wahrheit, nach Wissen, der Mut zum Urteil, die Liebe zum Sittlichen, zum Edlen, zum Schönen solle auch sein Wesen, seine Entwicklung bestimmen und zum Wesenskern seiner Persönlichkeit werden.

Zur Forschungsaufgabe selbst wäre grundsätzlich wohl manches zu sagen, was aber den Rahmen dieser Arbeit überschreiten würde. Sie wird sich naturgemäß auf den engeren Kreis der Graduierten und Lehrer und ihrer Mitarbeiter konzentrieren und von da aus, wie angedeutet, auf die Studenten ausstrahlen. Ihre Problematik soll hier nicht behandelt werden.

So wurde im wesentlichen die Universitätsaufgabe bisher verstanden, und so hat man sie durch Jahrhunderte hindurch auch durchzuführen versucht: Erst die neueste Zeit hat jene Problematik gebracht, die nicht nur die Durchführung, sondern sogar die Definition der Aufgabe und damit die Zielsetzung umstritten werden ließ. Diese neue Situation scheint vor allem gegeben durch zweierlei Prozesse: einerseits durch die enorme, ja sich überstürzende Entwicklung vor allem der naturwissenschaftlich betonten Fächer (einschließlich Medizin), mit Entstehung immer zahlreicherer SubSpezialisierungen; dadurch wird es notwendig, daß ganz eng umschriebene Methoden, Fachuntergebiete usw. im beschränkten, aber irgendwie doch m selbständigen Rahmen eigener Insti- j tute (und ähnlicher Einrichtungen) gepflegt und wissenschaftlich weiterentwickelt wurden.

Zum zweiten durch die völlige Beherrschung unseres modernen' Lebens durch die Technik, ebenfalls mit diffizilsten SubSpezialisierungen, und dadurch bedingt einen immer größer werdenden Apparat, wodurch der Bedarf an höher Gebildeten rapid gewachsen ist.

Diese Situation schafft, im Rahmen der Universitätsaufgabe gesehen, neue Voraussetzungen und Erfordernisse zum ersten, die erwähnte bisher integrale Verbindung von Lehre und Forschung wird in Frage gestellt, da einerseits das außerordentlich vermehrte Wissen in den vielen bisher errichteten (oder zu errichtenden) Spezialgebieten so subspeziali-siert ist, daß es für den Studenten kaum vermittelbar und jedenfalls zunächst nicht geeignet ist (da dieser sich ja erst die Grundlagen aneignen muß); die modernen Universitäten werden daher zunehmend von Instituten beherrscht, die nur noch der Forschung, nicht mehr der Lehre (im studentischen Sinne) dienen; derartige Einrichtungen gab es wohl gelegentlich schon früher, aber doch nur vereinzelt. Zweitens aber, umgekehrt, bedeutet der rapid wachsende Bedarf an „Akademikern“ mehr Bedarf an hochgeschulten Fachleuten, nicht sosehr an Akademikern im bisherigen Sinne, sondern an Personen, die an Kritik, Problematik, selbständige Forschung, Persönlichkeitsstruktur, wie oben angedeutet, herangeführt werden sollen. Eines der Hauptprobleme der modernen Hochschule ist also eine zunehmende Dissoziierung von Lehre und Forschung, die sich an universitätsähnlichen reinen Forschungsinstituten (Max-Planck-Insti-tut!) bereits verwirklicht zeigt, aber auch an vielen (zum Beispiel amerikanischen) Universitäten insoferne weitgehend realisiert ist, als dort einer sehr kleinen Zahl von Studenten eine große Zahl von rein forschend tätigen Personen, meist an eigenen Forschungsabteilungen tätig, gegenübersteht. Wozu noch kommt, daß zunehmend rein zweckgebundene Forschungsinstitute (zum Beispiel der Industrie) entstehen, die keinen direkten Universitätskontakt haben, aber doch indirekt durch ihre Arbeit und durch ihren Personalbedarf Universitätsbezug aufweisen.

Verselbständigung der Forschung bedeutet eine große Problematik; die zweite scheint mir darin zu erkennen zu sein, daß es (wiederum durch die enorme Zunahme nicht nur des Wissens, sondern auch der Zahl der zunehmend selbständig werdenden Forschungszweige) heute keiner Universität mehr möglich ist, auch nur annähernd alle diese Disziplinen in sich zu umfassen. Dieses Thema habe ich seit Jahren diskutiert, kann mich daher hier kurz fassen mit dem Hinweis, daß das moderne Universitätswesen einer eingehenden Planung bedarf, im Sinne einer Verteilung der Forschungsaufgaben, zunächst im innerstaatlichen Bereich, früher oder später aber zweifellos auch in großräumigeren Bereichen. Tatsächlich bestehen solche Entwicklungspläne sehr detaillierter Art schon in mehreren Staaten (Deutschland: Empfehlungen des „wissenschaftlichen Rates“). In Österreich haben wir jetzt eine ähnliche Planung über eine besondere Planungskommission der Rektorenkonferenz gestartet.

Dies sind nur einige der großen und sehr komplexen Probleme, mit denen sich die neue Universitätsplanung auseinanderzusetzen hat. Fast unnötig zu sagen, daß dazu noch die enorm bedeutsame Frage der immer schwieriger werdenden Finanzierung der modernen Hochschulen kommt: die naturwissenschaftlichen Zweige vor allem benötigen immer teurere Einrichtungen, die noch dazu meist in einigen Jahren unmodern werden; dazu kommt, daß eben wegen dieser zunehmenden apparatemäßigen Belastung auch das mittlere Personal (technische Assistenten aller Art, Schreibkräfte usw.) intensiv vermehrt werden muß. Die Kosten moderner wissenschaftlicher Institute wachsen damit Ins Uferlose.

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