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Urmensch und Urreligion

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In dem vor kurzem in 2., überarbeiteter und erweiterter Auflage (Verlag Otto Walter AG, Ölten) erschienenen, von Friedrich Dessauer herausgegebenen Sammelband „W issen und Bekennt-n i s“ hat W. Koppers in einer wissenschaftlich bedeutsamen Darbietung zu dem Thema „U rmensch und Urreligion“ einen Überblick über den Stand der heutigen Forschung in der Frage nach dem Urmenschen und seiner Religion vermittelt.

Die Frage, ob der Mensch seinem Körper nach aus dem Tierreich stammt, ist keine religiös-dogmatische Angelegenheit. Die Kirche hat zur Entwicklungs- (Abstammungs-) Lehre, soweit sie sich auf den Leib des Menschen bezieht, niemals Stellung genommen. Abgelehnt und verurteilt aber wurde von ihr die Ausdehnung der Entwicklungslehre auf die Seele des Menschen. Die Kirche steht auf dem Standpunkt, daß eine Herleitung des menschlichen Geistes aus dem Tierreich nicht in Betracht kommen kann, sondern hier nur ein besonderer Schöpfungsakt Gottes die befriedigende Erklärung zu bieten vermag. Die gegenteilige Auffassung käme einer Leugnung der geistigen Seele des Menschen gleich, wäre atheistische, materialistische (monistische) Anschauung. Hier also steht Glaube gegen Glauben, der Glaube des Theisten gegen den des Atheisten (Pan-theisten). Die Frage nach der körperlichen Abstammung des Menschen ist eine Angelegenheit profanwissenschaftlicher Forschung, ist heute noch nicht entschieden und bleibt der wissenschaftlichen Forschung der Zukunft zur Entscheidung offen. Wer die tierische Abstammung des Menschen nach seiner körperlichen Seite bereits als eine wissenschaftlich gesicherte Tatsache hinstellt, behauptet mehr, als er beweisen kann. Es sprechen gewisse Momente für diese Auffassung, es sprechen auch solche dagegen. Die Situation ist da gegenwärtig so, daß hinsichtlich des Geltungsbereiches der Deszendenztheorie überhaupt wie bezüglich ihrer Anwendung auf das Werden des Menschenleibes im besonderen von einer „Krisenstimmung“ gesprochen werden kann.

Um hier Klarheit und rechte Haltung zu gewinnen und zu bewahren, muß unterschieden werden: einmal zwischen wissenschaftlich gesichertem Forschungsergebnis und wissenschaftlicher Arbeitshypothese, weiter zwischen der Annahme einer Entwicklung unseres Körpers aus nicht wesenhaft menschlicher, tierhafter Lebensstufe und dem, was nach älterer Anschauung einfachhin „Affenabstammung“ genannt wird. Die Annahme einer Entwicklung unseres Körpers aus nicht wesenhaft menschlicher, tierhafter Lebensstufe ist als biologische Arbeitshypothese zu werten, die erkenntnismäßig weder wahr noch falsch ist, sondern lediglich eine Möglichkeit bietet, deren wissenschaftliche Bedeutung nicht überschätzt werden darf. Die älteren Anschauungen einer „Affenabstammung“, das heißt einer Abstammung des Menschen von anthropomorphen (menschenähnlichen) Affen dagegen bietet wissenschaftlich derart große Schwierigkeiten, daß sie nicht mehr berechtigt sind (Professor J. Kälin). So glaubte vor etwa zwei Jahrzehnten der angesehene nordamerikanische Fachmann H. F. Osborn für Hominide (Menschen) und Anthropomorphe (Menschenaffen) wohl einen gemeinsamen Ausgangspunkt in einer älteren Erdperiode annehmen zu müssen, bekämpfte aber energisch die Lehre von der Affenabstammung. Die Affenmenschtheorie sollte — so erklärte er —, weil gänzlich falsch und irreführend, aus unseren Überlegungen und unserer Literatur verbannt werden, und zwar nicht aus gefühlsmäßigen, sondern aus wissenschaftlichen Gründen.

Da man wissenschaftlich so gut wie allgemein davon abgegangen ist, den Menschen direkt an die heut lebenden anthropomorphen Affen (Schimpanse, Gorilla, Orang-Utang) anzuschließen, bemüht man sich, die Familie der Hominiden und die der Anthropoiden auf eine ältere, erdgeschichtlich weiter zurückliegende (tertiäre) Ausgangsform zurückzuführen. Bis heute jedoch, darin sind alle ernstzunehmenden Forscher einig, ist weder die angenommene gemeinsame Wurzel noch sind eigentliche Zwischenglieder durch konkrete Funde belegt. Vom biologischen Standpunkt aus ist eine solche Zwischenform als unmöglich anzusehen. Eine gestalthaft erwachsene Ausgangsform zwischen vormenschlicher Stammform und Menschenleib kann nie existiert haben. Ein derartiges auf den Menschen hin entwickeltes Wesen ohne menschliche Seele hätte ein unmögliches Gebilde dargestellt (J. Kälin). Mit anderen Worten heißt dies: zur Menschwerdung konnte es nicht dadurch kommen, daß einem höchstentwickelten Tierleib einfach an Stelle der Tierseele eine Menschenseele eingesetzt wurde. Der Eintritt des menschlichen Geistes in_ einen solchen Leib hätte auch ganz grundlegende Änderungen in rein körperlicher Hinsicht notwendig gemacht. Daraus ergibt sich die Erkenntnis, daß ein Zwischenglied unmöglich ist.

Die von Anhängern der „Affenabstammung“ aufgestellte Entwicklungsreihe: Menschenaffe — Affenmensch — Neandertaler — Jetztzeitmensch entspricht nicht mehr den heute bekannten Tatsachen. Die Entdeckung von Menschenformen vom Typ des Gegenwartsmenschen (Homo recens, Homo sapiens) aus der frühen und mittleren Eiszeit, demnach von gleichem und zum Teil weit höherem Alter als die neander-taliden Formen, drängt zur Annahme einer ganz anderen Entwicklungsreihe.

In der Frage der Entwicklungsgeschichte des Menschenleibes können keinesfalls die

Formen des heute lebenden Menschen Entscheidendes aussagen, eher die aus eiszeitlichen und zwischeneiszeitlichen Schichten zutage geförderten Vertreter der Altmenschreihe: Neandertaler (Homo neandertalensis oder Homo primi^enius = Urmensch), Pithecanthropus erectus (Javamensch) und Sinanthropus pekinensis (Pekingmensch). Die Altmenschreste weisen mehr oder minder stark gewisse „Primitiv“-Merkmale (Merkmale angeblich größerer Tierähnlichkeit) auf: fliehende Stirn, geringe Schädelwölbung, fehlendes Kinn, stark ausgebildetes und vorspringendes Hinterhaupt und mächtige Oberaugenwülste.

Wollte man aber diese „tierhaften“ Funde der Altmenschreihe im Sinn eines tierischen Ursprungs des Menschenleibes verstehen, so steht einer solchen Annahme die bedeutsame Tatsache gegenüber, daß wir heute Menschenformen kennen, die zumindest ebenso alt und zum Teil noch älter sind und dabei „modern“ aussehende Formen, den Homo-recens- oder Homo-sapiens-Typ (runde Schädelkapsel, steile Stirn, fehlende oder nur gering entwickele Oberaugenwüliste) aufweisen. Unter die Vertreter dieses Formenkreises ist an erster Stelle der Piltdownmensch (Eon Ehropus; Südostengland) einzureihen. Vielleicht, abgesehen vom Heidelberger Menschen, ist er nach Ansicht der internationalen Fachwelt als der älteste bis heute bekannte Menschenfund anzusehen. Ihm schließen sich als wenn auch nicht gleich bedeutsame, so doch nahestehende Zeugen der Homo-recens-Form der frühen und mittleren Eiszeit an: die Funde von Swanscombe (England), Steinheim (Württenberg), Denise (Frankreich) und vom Berge ~Karmel (Palästina). Die hohe menschheitsgeschichtliche Bedeutung dieser Homo-sapiens-Funde anerkennen und betonen hervorragende Anthropologen wie Arthur Keith und M. F. Ashley-Montagu und mit ihnen auch führende Geologen und Paläontologen wie D a ws on und Wood ward; auf sie hat

1941 auch Wilhelm Schmidt nachdrücklich hingewiesen („Völkerkunde und Urgeschichte in gemeinsamer Arbeit an der Aufhellung ältester Menschheitsgeschichte“; Mitteilungen der Naturforschenden Gesellschaft, Bern). In dem einleitend genannten Werk hat W. Koppers das bis heute darüber vorliegende Material einer sachlichen Wertung und methodischen Prüfung unterzogen und die wesentlichen Ergebnisse herausgearbeitet.

Wenn die Homo-sapiens-Formen die körperliche Entwicklung des Menschen in der Tat einleiteten, dann sind die „t i e r h a f-ten“ Menschheitsformen als sekundäre Spezialisation s-erscheinungen (spezialisierte Seitenzweige) oder Extremisierungen (Vergröberungen) anzusehen. Primitivität, das heißt in unserem Fall größere Tierähnlichkeit, ist möglicherweise bedingt durch die besonders harten und einseitigen äußeren Lebensbedingungen (karnivore Lebensweise) der Eiszeitperioden. Besondere Beachtung verdient unter dieser Rücksicht: erstens, daß der Neandertaler eine sekundäre Ver-gtöberung und Differenzierung darstellt, die (jedenfalls in Europa) in der beginnenden letzten Eiszeit ihren Höhepunkt erreichte, während sie in der vorausgehenden letzten Zwischeneiszeit noch nicht so weit fortgeschritten war, der Neandertaler demnach noch eine größere Ähnlichkeit mit dem Homo sapiens aufzuweisen hatte; zweitens, daß die Neandertaler des Westens (Nean-dertal, La-Chapelle-aux-Saints, Le Moustier, La Quina, La Ferrassie), die der letzten Eiszeit angehören, die typischen Spezialisa-tionsmerkmale in höherem Grad aufweisen als die der letzten Zwischeneiszeit angehörenden Neandertaler des Ostens (Tabgha, Palästina; Rom; Krapina, Kroatien; Ehringsdorf bei Weimar), daß sonach die Spezialisation des Neandertalers zunimmt, räumlich mit seiner Entfernung von seinem wahrscheinlichen asiatischen Ursitz, zeitlich mit seiner Annäherung an den Ausgang des Eiszeitalters.

Der Mensch der Vorzeit ist, prähistorisch und ethnologisch gesehen, stets Vollmensch gewesen; im Besitz seiner Geisteskräfte ist er als solcher uns vorangegangen. „Wenn ein Ergebnis der neueren Ethnologie universell und absolut sicher feststeht, dann dieses, daß der heute lebende Primitive, ganz gleich, wie er physisch-rassisch geartet sein mag, geistig ein vollwertiges Menschenwesen darstellt“ (W. Koppers). Sowenig aber wie ethnolo-gischerseits ist einer etwa erwarteten und postulierten „Geistlosigkeit“ des Urmenschen prähistorischerseits beizukommen. Zeugnis hiefür ist das 1942 ersdiienene Buch von G. Kraft „Der Urmensch als Schöpfer. Die geistige Welt des Eiszeitmenschen“. „Seit es Werkzeuge, Feuer und Gemeinschaftsarbeit gibt, gibt es Menschen; es ist daher unmöglich, in dieser Hinsicht von ,Vor-menschen' zu sprechen.“ Auf das physische Aussehen der Verfertiger dieser Werkzeuge kommt es nicht an; worauf es ankommt, was den Menschen zum Menschen macht, ist seine Geistigkeit. Die körperliche Ausstattung bleibt dabei eine immerhin interessante und wichtige Angelegenheit, gegenüber der geistigen Seite des Menschen aber kommt ihr nur eine sekundäre Bedeutung zu. im zweiten Teil seiner Studie befaßt sich Professor Koppers unter Verwendung reicher, auf -zwei Expeditionen gesammelten Beobachtungen und Forschungen mit der Religion des Urmenschen. Die Bhil-Expedition (1938 bis 1939) ergab eine Neuorientierung auf dem Gebiete der indischen Religionsgeschichte, die nur von dem gewertet werden kann, der weiß, daß die religionsgeschichtliche Erforschung der Primitiven Indiens bis jetzt wenig oder fast gar nicht gepflegt wurde, beziehungsweise, weil im Bann des reiigions-wissenschaftlichen Evolutionismus stehend, versagt hat. Die Feststellung des Hochgott-(Bhagwän-) Glaubens, der wurzelhaft bis in die vorarischen Zeiten Indiens zurückreicht, bedeutet einen Befund, der in das Glaubensbild eingefügt werden muß, das im Verlauf der letzten Jahrzehnte bei so vielen Alt- und Urvölkern festgestellt werden konnte. Die Darstellung der Religion der Yamana-Feuerländer enthält die Ergebnisse der von W. Koppers zusammen mit M. Gusinde 1921 bis 1922 durchgeführten Forschungsreise; sie sind im Verlauf der verflossenen zwei Jahrzehnte in Büchern und Artikeln von über 4000 Seiten veröffentlicht und in ihren wesentlichen Zügen (Watauinewa-Glauben, Jugendweihe) weithin bekanntgeworden.

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