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Vererbung und sittliche Freiheit

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Im selben Jahre, da Mendel mit seinen ersten Forschungsergebnissen, die er durch seine Pflanzenversuche gewonnen hatte, vor die Öffentlichkeit trat, erschien eine kleine Schrift von Sir Francis Galton mit dem Titel „Hereditary Talent and Character“, in der um erstenmal die Vererbung seelischer Eigenschaften behauptet wurde. Auf Grund von Statistiken stellte Galton fest, daß solche Eltern, die m ihrer Ahnenreihe viele bedeutende, über den Durchschnitt emporragende Männer und Frauen aufweisen, mehr überdurchschnittlich begabte Kinder haben als andere, die selb: an Begabung nur dem Durchschnitt entsprechen und audi unter ihren Vorfahren nur wenn hervorragende Begabungen zahlen. Galton sagt ferner, daß die Keknbahn sich von Generation zu Gene-

ration ununterbrochen fortsetzt und daß es ausgeschlossen ei, daß rein persönlich erworbene Eigenschaften in dieser Keimbahn verwurzelt werden.

Die Klarheit der Versuche, wie sie Mendel einleitete, der Vorteil, die Ergebnisse jederzeit überprüfen zu können, die Möglichkeit mathematisch genauer Formeln zusammen mit der ohnehin fast ganz dem Stofflichen zugewandten Geistesrichtung letzter Jahrzehnte brachte es mit sich, daß vielfach Erbgesetze, die sich vorerst nur auf unwesentliche körperliche Merkmale bezogeri, auf das Seelische übertragen wurden, wobei , sieh verhängnisvolle Irrtümer und Folgerungen ergeben mußten. e

Der Mensch besteht aus Leib und Seele, und zwar einer Geistseele. Damit reicht der Mensch über das Sinnfällige dieser Welt hinaus und hinein in die Welt des Amateriellen, des Geistes. Probleme, die Seelisches in ihren Kreis einbeziehen, können daher nie von der Naturwissenschaft allein gelöst werden, besser gesagt, einer befriedigenden Lösung nähergebracht werden. Denn genau so wenig wie wir das, was „Leben“ ist, befriedigend definieren können, ebensowenig werden wir die Geschehnisse, die vom Geist getragen und geleitet werden, jemals restlos ergründen. Die Erforschung ditsdr Zusammenhänge kann also nie Privileg der Naturwissenschaft allein sein, sondern diese wird der Ergänzung und Hilfe durch die Philosophie und die Theologie bedürfen, um sich näher und möglichst nahe an diese Wunder heranzutasten.

Geistseele und Leib bilden eine substantielle Einheit, die Geistseelc ist Träger des vegetativen, sensitiven, vitalen und schließlich des geistigen Lebens, sie ist wahrhaft Wesensform des Körpers. Sie ist ausgezeichnet durch allgemeine Wesenserkenntnis und durch das Vermögen des freien Willensentscheides.

Da die Seele geistig ist, können die Seelen der Eltern keinen Stoff hergeben, folglich kann die Seele weder als Ganzes noch als Teil von den Eltern auf die Kinder übertragen werden, sie ist immer ein reiner •

Schöpfungsakt Gottes, den dieser bei jeder Vereinjguisg von Ei-1 und Samenzelle zur befruchtenden Eizelle aufs neue setzt.

Leib und Seele bilden eine Einheit, die erst bei der Trennung der beiden im Augenblick des Todes zu bestehen aufhört. Dies bedeutet qualitative Abhängigkeit der Seele vom Körper. Abhängigkeit vom Zustand des Nervensystems, vom Stoffwechsel, von der Tätigkeit der hormonalen Drüsen, Abhängigkeit auch von Gesundheit und Krankheit der einzelnen Glieder dieses Körpers, kurzum von der Reaktionsbreitt, die eben diesem Menschen durch den ererbten und erworbenen Zustand seines Organismus begrenzt wird.

Es sei — gleichsam als Randbemerkung — darauf hingewiesen, daß nie Krankheiten als solche, semdern immer nur- die Anlagen dazu vererbt werden und daß es der vielfach verschlungenen und vom ersten Augenblick der Entwicklung an einwirkenden Einflüsse der Umwelt bedarf, um die Anlage als Krankheit in Erscheinung treten zu lassen.

Das, was wir mit deny Namen „Geisteskrankheiten“ bezeichnen, sind nie Erkrankungen des Geistes, da der Geist als unstofflich nie Träger von Krankheitsanlagen sein kann, sondern Erkrankungen, die als Träger das komplizierte Nervensystem des Menschen

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mit seiner PSfle von Reaktionsablaufen

haben. Ein ganz weites, aber auch unendlich schwieriges Gebiet harrt da noch der Erforschung. Es wäre eine schöne Arbeit, zu zeigen, was in dieser Hinsicht sich in den letzten Jahrzehnten anbahnte und schon an Erkenntnis gewonnen wurde. Hier sei mir soviel erwähnt, daß die letzten Forschungen für die Zukunft ganz gewaltige Umwälzungen im psychiatrischen Denken und Handeln erwarten lassen.

Wie betont, hängt sehr viel von Umwelt und Erziehung, vom Zeitgeist und Kultur-kreis, von der freien Selbstgestaltung des betreffenden Mensdien ab, wie die vorhandenen Möglichkeiten ausgewertet und gelenkt werden. Von den Eltern gehen auf die Kinder bloß körperliche Vorbedingungen über. Erziehung kann und soll immer nur Riditung weisen, wobei sie den erbmäßig ge-* gebehen Anlagebereich in Rechnung setzen muß; andererseits -aber kann sie auch' im Rahmen dieses Freiheitsbereiches nur dann Erfolg haben, wenn der zu Erziehende „will“. An diesem freien Wollen des Menschen liegt es, die ihm gesetzten Möglichkeiten zu seinem Heile oder zu seinem Verderben zu gebrauchen. Jeder Mensch ist etwas Einmaliges, jeder hat mit seinem Eintritt in die Welt die Aufgabe mitbekommen, aus dem ihm gegebenen „Material“ das Bestmögliche herauszuholen. Tut er dies, dann hat er seine persönliche Vollendung erreicht, eine Vollkommenheit, die für jeden von uns ihre persönlidie Prägung haben wird, denn jeder Mensch ist nur ein kleines Teilabbild des an Möglichkeiten reichen Gottes.

Der Mensch hat aber auch die Freiheit, die ihm gegebenen Anlagen zu mißbrauchen. Darin besteht ja seine Freiheit, daß er wählen kann wischen Gut und Böse, zwischen Himmel und Hölle. Eine solche Freiheit ist ethisch notwendig und onto-logisch möglich. N, Haremann sagt dazu: „Das erste besagt, daß die Tatsachenkomplexe

des sittlichen Lebens nur unter ihrerVorou* setzung bestehen können; das letztere, daß die ganze Reihe allgemeiner und elementarer Grundfragen, wie sie im Erkenntnis- und

Seinsproblem zusammengefaßt sind, in ihrem weitesten Umfang nichts enthalten, was dieser vom ethisdien Problem' geforderten Freiheit im Ernst widerspräche.“

Gerade die Feststellung der ontologischen Möglichkeit der sittlichen Freiheit ist das Entscheidende. —

Freilich ist Freiheit nur dort gegeben, wo der Körper dem Geist gehorcht; es gibt Hemmungen, welche die Willensfreiheit entweder schwächen oder sogar ganz aufheben. Ich nenne da nur zum Beispiel Bewußtseinsstörungen, sogenannte „Geisteskrankheiten“, aber auch rein organische Krankheiten, körperliche Müdigkeit usw.

Was dem Menschen durch die Sdiuld der ersten Mensdien verlorenging —* Leidensunfähigkeit und Unberührtheit des Trieblebens —, diese verlorenen Paradiesesgaben, hat auch die Erlösung dem Mensdien nicht mehr zurückgebracht. Sie hat dem Menschen aber die Möglichkeit gegeben, auch unter den erschwerten Bedingungen der Geistseele die Herrschaft über den Körper zu ermöglichen, oft auch nodi dort, wo die Natur, auf sich allein gestellt, versagen muß.

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