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Verstehen, ausgleichen, vermitteln

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Häme zwischen unverzichtbaren Kräften: „Literatur und Kritik” IV/1995 geißelt ebenso unwiderlegbar wie unwillig Joseph P. Strelkas Österreichische Literaturtheorie, weil er der aktuellen Szene nicht gerecht wird, etwa mit einem Celan-Zitat die „Konkrete Lyrik” relativiert. Tatsächlich liegen sogar zwei neuere Bücher Strelkas vor.

„Literatur und Politik” bietet auf 229 Seiten mit 332 Fußnoten zwölf Kapitel, davon sieben allgemeine Darstellungen und fünf auf Autoren bezogene. Insgesamt werden 255 Schicksale teils kurz mit Quellen, teils in langen Abhandlungen unter Beschreibung der oft katastrophalen Wechselbeziehungen zwischen Politik und Literatur vorgeführt.

„Zwischen Wirklichkeit und Traum” arbeitet auf 332 Seiten mit 675 Fußnoten in 23 Abschnitten das Besondere des Österreichischen heraus: Fünf allgemeinen Titeln folgen 18 Einzeluntersuchungen. Der verdienstvolle Wiener Neustädter Literaturprofessor in New York nennt hier über 420 Schriftsteller.

Der „Einfluß der geschichtlichen Verhältnisse auf die literarische Geistigkeit” wird in Strelkas Kapitel über die NS-Herrschaft im Spiegel österreichischer Lyrik statistisch erfaßt: „Drei österreichische Autoren haben sich nach dem Einmarsch der Hitlertruppen das Leben genommen, 13 wurden in diesen sieben Jahren hingerichtet oder ermordet; 20 starben in Konzentrationslagern, rund 400, darunter die weitaus größte Zahl der bedeutenden Schriftsteller, gingen ins Exil”. Ähnlich konkret und beklemmend faktenreich ist das Kapitel über Literatur und KGB, das einem einzigen KGB-Offizier und „Bomancier” 600 Kollegenmorde vorwirft.

Was hat es nun mit diesem Österreich und seiner es entscheidend mitbestimmenden Literatur auf sich? Strelka nutzt eine Theorie (der produktivmachenden Selbstrelativie-rung.) zur Faktenentwicklung -von Thomas Manns „Kulturmilde und geistiger Anmut” über Hugo von Hofmannsthals „eigentümliche Mischung von Selbstgefühl und Bescheidenheit”, Ernst Schön wieses „Selbstbefreiung von Illusionen” bis zum „schöpferischen Mißtrauen” Herbert Eisenreichs und Claudio Magris' „Erhabensten und radikalen Protesten”. Hermann Broch formuliert zu Österreich: „Jene große, von Norditalien bis Südböhmen sich erstreckende Landschafts-Ellipse, welche voll heroischer Kultur und heroischer Natur - die Alpen als Kernstück umschließend -... scheint es aus einer seinem Boden verhafteten Prä-Existenz entstanden zu sein, auf daß es daselbst auch ein ewigwährendes postexistenzielles Dasein führe”. Robert Musils Diktum über die alte Monarchie, die „ohne Anerkennung vorbildlich” war, findet seine probate Begründung in der „Flexibilität und Ambivalenz... als einer staatspolitisch approbierten Gesinnung ... die den Paradoxien des menschlichen Lebens durch entsprechende Inkonsequenz der Staatsraison Rechnung trägt”.

Diese besondere, komplexitätsbe-gleitende und -bewältigende Leistung der österreichischen Literatur erklärt sich aus der geographischen, ethnischen und kognitiven Schnittlinienposition und Gegensatzkompression dieses Mitteleuropa, aus dem Aufeinandertreffen gegensätzlicher Strebungen, Lebensgefühle in ebenso vitaler wie rational hochgespannter Menschenvielfalt:

Römische Grundgliederung in Genauigkeit und Formenstrenge, Weisheit und Skeptizismus (die „Selbstbetrachtungen” des Kaisers Marc Aurel in Wien entstanden); slawische Einströmung von Schwermut und Musik;

Hofkultur mit Bildung einer staats-und kulturtragenden „dienstaristokratischen” Schicht, die sich schon ganz früh allseitigem Verstehen, Ausgleichen, Vermitteln stellen - und dies auch zu ihrer Überzeugung werden lassen - mußte (Ambivalenz aller Eigenschaften, seelischer Relativismus mit tiefem Bedürfnis nach sprachlicher Fassung dieses universalen Verstehens);

Prägungen durch den Josephinismus - Geistesfreiheit, Sprachenreichtum, Judenbefreiung; Mündigkeit österreichischer Literatur der deutschen gegenüber (Burgtheater);

Zusammenbruch des Vielvölkerstaats, Vernichtung jahrhundertelang entwickelter Aktionstopoi.

In äußerster Zurückgeworfenheit entstanden mit dem Instrumentarium bewährter geistiger Weltdeutung die einmaligen Literaturwerke etwa Robert Musils oder Joseph Roths. Einen Naturalismus nördlicher und westlicher Prägung hat es in Österreich nie gegeben. Otto Stoessl hat in seiner Abweisung des Naturalismus geschrieben: „Die Wahrheit ist... stets nur auf dem Wege und niemals da und niemals dauernd in der festen Hand des Menschen Ein Höhepunkt der Wortfindung für solches Daseinsleid sind Werfeis „irdische Heimwehlosigkeit, da das gesamte materielle All als Exil empfunden wird”!

Beeindruckend auch religiöse Elemente bei Autoren, deren diesbezügliche Intensität weniger geläufig ist: Joseph Roths Überzeugung aus einem Brief an Stefan Zweig vom 22. März 1932: „Hier geht es gegen die europäische Zivilisation, gegen die Humanität, deren Vorkämpfer Sie... sind. (Und gegen Gott.)”! Daß „der Katholizismus allein das III. Reich heroisch bekämpft” hat, beurteilt Roth also fast wortgleich wie Horkheimer, Mann, Einstein. „Der Haß gegen jedwede pietas” wird hinterfragt. Döblins und Werfeis Exilgelübde, Lothars und Roths „Wunder”-Zuwendung sind erschütternd. Broch urteilt: „Weil der nicht auf ethischer Basis gewachsene ästhetische Wert sein Gegenteil ist, nämlich der Kitsch.”

Mit Strelka taucht man in den Re-flexionsozean einer Generation (wieder) ein, die konstruktive Anstrengung großen (fiktiven?) Ordnungsbildern zuwendet und deren Konsistenz allem Uneingewerteten verschließt. Zwar nennt er Wieners „äußerste Einsamkeit”, zitiert Magris' „Rebellion gegen Tradition mit Bernhard”, beklagt die „nach Kampf lechzenden Naturen”(Ottokar Stauf von der March) mit ihrer „aktivistischen politischen Rhetorik”, erwähnt Celans Ablehnung der „Konkreten Poesie als banausischen Sprachmißbrauch” und fragt am Ende des Eschenbachkapitels („die allerstillste Liebe ist die Liebe zum Guten”), „ob die Vorzüge des Neuen die Preisgabe des Alten wert sind”. Strelka begründet seine Abstinenz vor unserer Gegenwart mit Musils bekannter Genie-Lümmel-Verwechslungs-Mahnung als sein „wissenschaftlich bescheidenes Verstummen” vor der aktuellen Entwicklung.

Dem ehrerbietig ermüdet Loyalen bleiben Literatenfehden eine Belastung, da ihm leid tut, daß für Genauigkeit höchstmotivierte Geister auf Vorläufiges so lieblos (und damit unzutreffend) antworten, als ob nicht auch sie jener allgemeinen mitmenschlichen Ordnung unterlägen, die Wahrheitsalleinbesitz ausschließt. Vor Tragischem stehen alle. Geht es in solcher Spannung nicht um unterschiedliche vorbewußte Ansätze: jenem des Weiterringens um Stilisierung großer Zusammenhangsbögen für Erklärungen von Sinn und Zweck mit melioristischen Ambitionen (Illusionen?) oder jenem der Hell- und Scharfsicht auf Letzt-Durchblicke in absurd unmenschlich banales Hiersein mit heroischer (satirisch/zynischer?) Attitüde? Wobei letzter viel Evidenz für sich hat. Hinter beiden Positionen stehen unsägliche persönliche Schmerzen, Mühen, Meisterschaften. Keine Wahl - spes contra spem - macht ganz sicher, dies vielleicht aber friedlicher.

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