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Vier Thesen über die Sprache

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Wenn von Sprachkunst die Rede ist, kann man unmöglich an Theodor H a e c k e r achtlos vorübergehen. Dieser Mann, der zuerst als Übersetzer hervorgetreten ist — wozu ihn eine tiefe Liebe zur Sprache drängte —, der späterhin ein gefürchteter Satiriker, ein hervorragender Essayist und der katholische Schriftsteller der letzten Zeit im deutschen Sprachraum wurde, verfügte über eine atemberaubende Sprachgewalt. Er war und ist, nicht zuletzt auf Grund seiner meisterhaften Stilbeherrschung, ein wahrhafter Verführer zum Denken, dessen geistiger Einfluß ständig weiter zunimmt Vielleicht ist der Satiriker Haecker, der den Tagesgötzen unerschrok- ken die Maske vom Gesicht riß, am meisten bekannt. Daneben darf aber nicht die Fülle seiner sonstigen schriftstellerischen Arbeit in den Hintergrund treten. Denn gerade sein gedankenschwerer Essayband „Christentum und Kultur“ oder das Werk „Vergil, Vater des Abendlandes“ offenbaren in eindrucksvollster Weise den Genius seiner Sprache, die in immer neue Tiefen hineinleuchtet. Es darf nicht wundernehmen, daß ein Schriftsteller von so hohem Rang seinen eigenen Worten nachlauscht und sein Werkzeug, die Sprache, auch kritisch betrachtet. So tritt er uns in der Karl Muth gewidmeten Festschrift „Wiederbegegnung von Kirche und Kultur in Deutschland“ als Sprachphilosoph entgegen. Der darin enthaltene Beitrag „Der katholische Schriftsteller und die Sprache" zeigt uns die Gleichartigkeit der grundsätzlichen Forderungen an die Sprache, die den Deutschen Theodor Haecker mit dem dänischen Philosophen Sören Kierkegaard und mit dem großen französischen Kulturkritiker Ernst Hello verbindet Es soll damit nicht gesagt sein, daß die Stilarten der drei Genannten, deren Reihe sich übrigens noch fortsetzen ließe, eine Gleichförmigkeit aufweisen würden. Der Stil ist der Ausdruck einer Persönlichkeit, er ist deren Schöpfung und kann daher nur subjektiv sein, was jede Uniformierung ausschließt. Der Stil mag in den verschiedensten Farben leuchten, er mag in bunten Kleidern gehen, trotzdem wird er immer Schönheit ausstrahlen, wenn er nur gut und wesentlich ist.

In Gegenüberstellungen und Vergleichen ‘soll nun dieses Wesentliche des Stils, somit der Sprache, herausgehoben werden.

Das Element des Stils ist das menschliche Wort. Die erste Forderung an dieses ist: es muß wahr sein. Ranghöchste Aufgabe der Sprache ist es also, Wahrheit zu sein und zu geben. Die erste der vier Thesen über die Sprache, dargestellt in dem bereits erwähnten Essay Haeckers, hat diese Forderung zum Inhalt. In ständigen Wiederholungen, die nachdrücklichst diese primäre Erkenntnis dartun sollen, sagt Theodor Haecker: „Das aber ist das Größte und am meisten heilig zu Haltende (an der Sprache), daß sie Zugang hat zur … Wahrheit.“ Es entspricht ganz dem Wesen Theodor Haeckers, daß er der Wahrheit einen Triumphbogen baut, er, der von sich selbst sagte, daß er „nach Wahrheit dürstete auf jeder Straße, in jedem Winkel, wo immer er war, und niemals einen Irrtum verweilen hieß deshalb, weil er so schön war (oder gar bloß bequem war) — und liebte doch und liebt noch die Schönheit, die Wahrheit aber mehr".

Der Urheber der Existentialphilosophie, Sören Kierkegaard, hat den Begriff von der Wahrheit, wie ihn Haecker, der von Kierkegaard ausgegangen ist, verstanden haben will, eindeutig formuliert: „…es gi! eine Wahrheit zu finden, die Wahrheit ist für mich, die Idee zu finden, für die ich leben und ste.ben will.“ Nicht also eine sogenannte ot. ktive Wahrheit, die außerhalb und unabhängig von uns besteht, sondern eine, die mit uns verbunden ist, die unsetwas angeht, die uns erschüttern kann, die es wert ist, daß man für sie zu sterben vermag. Sie ist eine subjektive Wahrheit,. sie ist die Innerlichkeit. Für diese nun streiten Kierkegaard und Haecker mit der größten Gabe, die ihre Gnade ist: mit der Sprache. Deren untrügliches Kennzeichen muß daher die Wahrheit sein. Denn mit der Lüge läßt sich die Wahrheit nicht erkämpfen, so wenig sie sich damit bekriegen läßt. Der Kampf um der Wahrheit willen erfordert deshalb die Reinheit und Wahrheit auch der Sprache. Von vielen freilich wird dieser Kampf als unangenehm und unbequem empfunden, weil die Wahrheit selbst oft hart erscheint und ungern aufgenommen wird. Daraus erklärt sich auch der polemische Grundton, der Kierkegaard sowohl, als auch Haecker und Hello eigen ist. Es ist ihnen nicht möglich, mit sanften, beschwichtigenden Rosatönen die Menschheit wachzu rütteln. Ein Gottsucher und ein um Gott Wissender müssen anklagen, auf die bloßen Wunden hinweisen, beweisen und ein — wenn auch menschliches Urteil — sprechen.

Ernst Hello, der seine Beredsamkeit in den Dienst der Kulturkritik gegen den Liberalismus des 19. Jahrhunderts stellte, zeigt ebenfalls am Beginn seiner Betrachtungen über den Stil die unabdingbare Notwendigkeit des Wahrheitsgehaltes der Sprache auf: „Die Wahrheit, die das Gesetz des Denkens und das Gescr des Lebens ist, sie ist auch das Gesetz des Wortes, und sie ist stets dieselbe Wahrheit.“ Er meint, der alle zertrennende Irrtum hätte dem Denken, dem Leben und dem Worte je eine andere Richtung gegeben. „Wir müssen", fährt er fort, „das einfachste und u nbemerkteste aller Dinge bemerken: die Einheit des Gesetzes.

Also muß der Mensch:

Leben in der Wahrheit; Denken, wie er lebt; Und sprechen, wie er denkt.

Das ist das Gesetz des Stils“.

Die zweite von Theodor Haecker aufgestellte These befaßt sich mit der Schönheit der Sprache. Der feinsinnige Interpret, der in die Seele eines jeden Wortes hineinhorchte und von dem Wohlklang vieler förmlich benommen war, läßt sich von der sinnlichen Schönheit und klingenden Vollkommenheit der Sprache in den Gedanken führen, ohne dies als Demütigung seines Geistes zu empfinden. Der Umgang mit dem Wort ist ihm ein, Schönheitskult. „Die Sprache mit dem klangvollen Wort ist der lauterste Übergang zum Geiste, ist die höchste Sprosse der Leiter der Kunst, auf der die Engel herab- und hinauf-, herauf- und hinabsteigen.“ Theodor Haecker ist aber nicht nur Interpret, der sich von der Schönheit leiten läßt, sondern eben deswegen auch Sprachschöpfer. So schuf er beispielsweise das Wort „Unwort" analog der „Untat", eine Form des Paradoxes, die wie ein prachtvoller Blitz wirkt. Er genießt die Sprache nicht nur, sondern gebraucht sie auch. Wenn er von Vergil sagt, daß bei ihm der Dichter den Prinzipat über den Denker hat, er Vergil also als Dichter von Grund aus betrachtet, so will er damit nicht dartun, daß für den Dichter die Denkarbeit, das Philosophieren, eine nebensächliche Angelegenheit wäre und ein Spiel mit schönen Worten genüge. Im Gegenteil, er zeigt den Dichter auch als überlegenen Philosophen, indem er beide gegenüberstellt: „Der große Philosoph von Haus aus — das meiste nämlich vermag die Geburt — lernt, wie jeder andere gewöhnliche Mensch auch, was Dichtkunst ist, nur von großen Dichtern; der große Dichter von Haus aus — und wiederum vermag das meiste die Geburt — lernt, wie jeder andere gewöhnliche Mensch auch, was Philosophie ist, nur von großen Philosophen. Dieser aber — und das ist der Unterschied — lernt, was Philosophie ist, nicht bloß vom Philosophen, sondern schlechterdings von allem Sein und Nichtsein und fragt mit seiner geheimen Absicht alles, mit seiner brennenden Sehnsucht, zu erkennen, alles aus und alle Menschen, wie es uns gezeigt hat der existentiell philosophischeste Mensch der Menschheit: Sokrates.“

In diesem Zusammenhang richtet sich der Blick abermals auf Kierkegaard, den Meister des sokratischen Stils, des Stils der „Überredung", der mit oft ekstatisch anmutender Schönheit die fundamentalsten Denkprobleme aufwirft.

Gleichzeitig ergibt sich hier die Symbiosd der Schönheit mit dem Denken, mit der Wahrheit, die nach Hello in der Einheit des Gesetzes liegt. Beide, Wahrheit wie Schönheit, können für sich bestehen, ohne einander zu berühren. Wer sich aber versucht fühlt, allein die Schönheit der Sprache anzubeten, und letztere nur durch rein ästhetische Kategorien erklären will, wird doch nie eine rein ästhetische Sprachtheorie ins Leben rufen können. „Denn noch einmal: das Vornehmste und Göttlichste an der Sprache ist, daß sie Wahrheit sein und geben kann.“ „Ihr Triumph jedoch, der nicht gedemütigt werden kann, da sie ihn in Demut feiert, ist dort, wo sie beides ist und gibt: Wahrheit und Schönheit."

Ernst Hello geht sogar noch weiter. Für ihn ist die Einheit alles. Es darf seiner Einstellung nach von Anfang an kein Nebeneinander geben; Wahrheit und Schönheit müssen sich decken, denn „die Einheit macht die Schönheit der Körper aus“. Hello fordert von der Kunst im allgemeinen, insbesondere aber von der Sprachkunst, Aufrichtigkeit. Die Schönheit soll weder eine Verkleidung noch eine Erdichtung, sondern der Glanz des Wahren sein. „Damit die Kunst schön und damit ihre Schönheit wahr sei, will ich, daß die Kunstvon nun an die Dinge so aussagt, wie si« sind.“ So lautet der Imperativ Ernst Helios. Die Sprache ist hiemit auf dem Gipfelpunkt angelangt, indem sie Ethik und Ästhetik vereint.

Am besten sichtbar werden diese Komponenten in der Lyrik, welche laut Haek- ker Quelle wie Fülle der Sprache ist. Sie darf nicht bloß subjektive Kundgabe, sondern muß auch Aussage sein. Lyrik ist das Maß der vollen Sprache, „sie gibt den Umfang an, ihre Höhe, ihre Tiefe, ihre Breite, ihre Vollkommenheiten und auch ihre Mängel.“ Deswegen ist er auch so sehr hingerissen von der Dichtkunst des Römers Vergil, weil dieser ein reines lyrisches Verhältnis zur Sprache hat. Haecker verehrte Vergil, weil er in ihm Wahrheit und Schönheit eins geworden fand. Wo dieser Zusammenklang vernehmbar ist, gibt es keinen trügerischen Schein mehr, sondern nur Echtes; in der Summe gesagt, ist dort Gott daheim.

Bleibt noch die vierte, zugleich letzte These: Besitzer und Hüter der Sprache Mnd die Völker, denen der Ruhm großer Sprachschöpfungen bleibt, und die Mütter; alle sind Muttersprachen; und in der „Gemeinschaft der Sprachen ist deren Leben“. Beide leben und sterben miteinander. Die vergehenden Völker nehmen ihre Sprache mit ins Grab. Nur die lateinische Sprache, die in diesem Sinne ebenfalls tot ist, hat eine neue Heimat, eine neue Gemeinschaft gefunden und lebt weiter. Die katholische Kirche hat die lateinische Sprache übernommen und sie, die abgestorbene Volkssprache, in eine höhere Sphäre gerückt, in der sie, zum Gebet entflammt, ihre eigentlichste Vollendung erreicht, weil sie an die Tore der Ewigkeit pocht.

Das ist die Summe eines Sprachdenkens, dessen Größe darin besteht, daß es den Weg zur Menschlichkeit und über diese zur letzten Wahrheit, zu Gott, weist.

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