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Vom sozialistischen Gottesreich

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August Zechmeister behauptet in seiner soeben erschienenen Schrift: „Kirche und Sozialismus“ * die notwendige Einheit christlichen Glaubens und sozialistischen Hoffens. Vorherrscht die geschichtsphilo-sophische Eingebung: „Das die Geschichte transzendierende tausendjährige Reich der Apokalypse, das Reich Gottes auf Erden, wird ein sozialistisches Reich sein!“

Diese Voraussicht boten zwei Quellen: die christliche Offenbarung, die Lehre von der Erlösung, und das marxistische Geschichtsbild, die Lehre von der Entwicklung des Menschen. Folglich, schließt Zechmeister, sei der wahre und auch der letzte Mensch im Religiösen — ein Christ, im Profanen — ein Sozialist. Kirche und Sozialismus bekundeten über alle religiösen und sozialen Gedanken und Gestalten hinweg Endgültiges, Endzeitliches. „Am Ende der Geschichte“ stünden „Kirche und sozialistischer Weltstaat“. Diese Zukunftsperspektive verspräche aber noch lange nicht, meint Zechmeister, eine wirkliche Koordinierung beider Geschiditsmächte. Nicht nur jetzt, auch im Endzustand könnten sich Christen und Sozialisten feindlich gegenüberstehen, zumal Marx von antichristlichen Visionen ausging und genug Christen antisozialistischen Gedankengängen sich verpflichtet glauben.

Diese Abweichung vom erwarteten Endziel will Zechmeister nun richtigstellen durch zwei Forderungen:

Die erste erhob schon der katholische Moralist Wilhelm Hohoff (t 1923): Der Marxismus befreie sich von der materialistischen Weltanschauung! Zechmeister wiederholt und ergänzt diesen Aufruf: Kein Kausalzusammenhang bestünde zwischen Planwirtschaft und Gottlosigkeit. Im Gegenteil: Ein Kausalzusammenhang bestünde zwischen sozialistischer und christlicher Idee, Der Sozialismus sei der „mündige Sohn“ der Kirche.

Diesem Befund entspricht die zweite, wesentlich neue Forderung Zechmeisters. Sie steht im Gegensatz zu allen bekannten Autoren, welche kirchlicherseits eine Versöhnung zwischen Kirche und Sozialismus anbahnten, mit dem Wunsche: Wie die Kirche, soweit ihre Heilswahrheit nicht angegriffen wurde, zu Feudalismus und Kapitalismus sich bisher verhalten habe, ähnlich möge sich die Kirche auch zum Sozialismus verhalten, nämlich: indifferent und neutral. Zechmeister aber wünscht keine bloße Neutralität der Kirche in der Frage des Sozialismus. Er wünscht nicht nur eine pastorale Hinnahme und kuriale Anerkennung der sozialistischen Tatsache. Zechmeister wünscht etwas ganz anderes noch. Weil der Sozialismus als die Menschwerdung des Menschen“ und als „die zur profanen innerweltlichen ,Kirche* gewordenen Menschheit“ d i e Vorbedingung von Christentum und Kirche sei —, deshalb wünscht er ein offenes Bekenntnis der Kirche zum Sozialismus. Er forder „Mitarbeit der Kirche“ am Sozialismus. Er fordert nicht nur eine „psychoherme-neutische, seelenaufschließende und seelenerhellende“, sondern auch eine zustände-reformerische, eine ideologische Mitarbeit der Kirche. Er fordert, „daß die Kirche den Sozialismus in seiner Messianität, wie diese sich ideengeschichtlich von Marx herleitet, zu ermutigen hat“.

Diese Forderung, die gezogene Summe Zechmeisters, überrascht nicht; sie strahlt notwendig aius seinem irdisdien Reichgottesbild, worin der Sozialismus als Endzustand so gewiß ist wie Petri Fels.

Also sei die dringlichste und auch die letzte Aufgabe der Kirche, die „Soteriologie“ und „Eschatologie“ des Marxismus — seine Lehre von der Erlösung und Herrschaft des Proletariats und vom Endzustand der gesellschaftlichen Dinge — bisher im Gegensatz zu Christus dialektisch entwickelt und gedeutet, nunmehr im Einklang mit Christus verstehen und bauen zu helfen. An dieser Erlösung der Erlösungslehre des Marxismus hänge das Schicksal des Christen von heute und morgen. Er könne nur mehr entscheiden zwisdien „christlichem oder antichristlichem Sozialismus“. Jede andere Frontstellung sei für ihn widerchristlich und geschichtlich sinnlos.

Also erscheint die Kirche in eine doppelte Zwangslage versetzt. Vernunft und Gesdiichte diktierten ihren Weg — zum Sozialismus, weil dieses System, die sozialistische Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung, erstens das entsprechendste Sozialgehäuse des christlichen Gedankens und zweitens das letzte der Geschichte sei! Widersetze sich die Kirche dieser soziologisch-historischen Einklammerung, woran „ihre Sendung in dieser Zeit“ doch ablesbar sei, ergäbe sich eine folgenschwere Abirrung. „Denn die sozialistische Welt, die klassenlose Menschheitsgemeinschaft, hat es mit dem Reiche Gottes zu tun“, sagt Zechmeister schon im Vorwort.

Doch scheint diese Zwangslage für die Kirche nicht gegeben zu sein. So kennt die soziologisdie Vernunft keine Gesell-schafts- und Wirtschaftsordnung, woraus die Kirche entstanden wäre oder worauf sie verpflichtet werden könnte. Die Kirche verdankt keiner Gesellschafts- und Wirtschaftsmacht ihr Dasein. Sie ist in keiner Kette geboren, auch an keine Kette gebunden; sie ist geistgesiegelt und frei, um allen historisch-soziologischen Verkettungen das Reich Gottes zu verkünden, das niemals in einem geschichtlichen Augenblick gegeben, sondern immer im Kommen ist.

Folglich ist die Kirche für das gesamte Geschehen da. Alles hat Platz in der Kirche. Auch alle Sozialreformen! Sie alle sind kirchlich möglich, auch der Sozialismus, sofern die Heilswahrheit nicht Gewalt leidet. Und sie alle, das Auf und Ab der Sozialformen, sind kirchlich einschließbar, weil das gesamte Geschehen die Menschwerdung des Menschen aus inner-weltlichem Pathos meint, nicht nur das sozialistische.

Der Versuch daher, eine bestimmte Sozialform, diesfalls den Sozialismus, allein als Menschwerdung des Menschen und ausgeübtes Christentum gelten zu lassen und in dieser Ausschließlichkeit an die Kirche zu schnallen, ist ebenso falsch, wie der Versuch der Romantik, Thron und Altar als eine notwendige Einheit und den Feudalismus als sozialpolitisch inkarniertes Christentum zu begreifen.

Diese integrale Methode, soziologische Gehalte kirchlichen anzurechnen, durch-herrscht aber den Entwurf Zechmeisters. Nach der erkenntniskritischen Läuterung der christlichen Soziologie, womit Schindler gegen Vogelsang begann, ist dieser Rückfall unbegreiflich.

Allerdings hat Zechmeister einen ausgedehnten Begriff von der Kirche. Er sieht sie „nicht identisch mit den Trägern der Lehr- und Leitungsgewalt, mit dem Klerus, sondern mit allen ihren Gliedern“, das heißt „mit den Herzen ihrer Gläubigen“. Hier aber könnten1 alle, vorzüglich die Laien, die „christlichen Weltpersonen“, sich politisch frei entscheiden und müßten es auch! Das ist — im Sinne Leos XIII. — fraglos richtig. Und Zechmeister wirbt dafür, daß sich die Herzen der Gläubigen sozialistisch entscheiden. Das ist sein gutes Recht. Aber die gefällte Entscheidung dieser gläubigen Herzen wird immer nur eine individuelle, niemals eine kirchliche sein können, weil erstens der Laie zur politischen Tätigkeit kirchlich keineswegs „delegiert“ wird, wie Zechmeister mit Ernst Michel ' annimmt, und weil zweitens das fragliche Insgesamt der gläubigen Herzen kirchliche Entscheidungen in der Politik und anderswo zu treffen rechtlich nicht befugt ist und dazu auch institutionell nicht in der Lage ist. Denn diese „mit den Herzen ihrer Gläubigen“ identische Kirche ist soziologisch gerade so wenig faßbar, wie theologisch Luthers Definition der Kirche als „einer Versammlung der hertzen im glauben“ in der bekannten Schrift vom „Bapstthumb“.

Soziologisch aber faßbar ist die Amtsund Autoritätskirche, die sichtbare, empirisch gegebene Kirche. Ihr Maß ist der Bischof, nicht ein gläubiges Herz. Diese Kirche, die petrinische, setzt echte kirchliche Entscheidungen und legitimiert sie als solche, wobei diese Entscheidungen grundsätzlich keine soziologischen oder politischen sind. Sie sind moraltheologischer Art.

Sie qualifizieren soziale Tatbestände und Gedanken nicht sachlich, sondern sittlich. Sie halten sich letzten Endes über den Entscheidungen in allen kirchlich indifferenten Fragen und Anliegen, zu denen die Sozialformen, auch der Sozialismus, gehören.

Davon weiß auch Zechmeister. Er lehrt „die relative Autonomie der weltlichen Sachbereiche und die vorbehaltlose Bejahung der Eigengesetzlichkeit der staatlichen Institutionen und der Eigenständigkeit des sie erzeugenden staatlichen Ethos“. Scharf unterscheidet er zwischen der „Amtskirche“ und dem „Weltamt“ des christlichen Laien. Jeder Buchstabe seiner diesbezüglichen Ausführungen ist in der Tat ein Anzeiger profunder Wahrheiten und genialer Einsichten in die Voraussetzungen der christlichen Soziologie. Nur zieht meines Erachtens Zechmeister daraus nicht die nötigen Konsequenzen. Daran hindert ihn aber sein vorjähriges Buch: „Das Herz und das Kommende“, sein hier entwickelter Kirchenbegriff, nämlich die „Kirche des Gewissens“, als deren einsamer Interpret auf eigene Faust er sich fühlt und daher für wahrhalten muß, daß auch seine Entscheidung eine „kirchliche“ sei. Das gibt seinem Problem von „Kirche und Sozialismus“ diese eigentümliche Färbung und Lösung.

Zweitens aber gilt: Spricht schon die soziologische Vernunft dagegen, daß die Kirche nur für den Sozialismus sich entscheiden müsse, ist auch die historische Vernunft, der andere Faktor des Entwurfes, ebensowenig eine Stütze dieser von Zechmeister vermuteten Zwangslage der Kirche heute und am Ende. Wir sind doch in absoluter Unkenntnis über das Ende! Die Geschichte der Endzeit ist ein Unbegriff, ein hölzernes Eisen, aber kein wahrer Gegenstand, weder der Gesellschafts- noch der Geschichtswissenschaft. Wohl bemüht sich die „empiristische“ Soziologie und Geschichtsphilosophie seit August Comte die Endgesellschaft „vorauszusehen“ nach dem naturwissenschaftlichen Modell des Fallgesetzes. Diesem aber unterliegen Geist und Gesellschaft nicht. Daher kommt es, daß die Ergebnisse dieser Art Soziologie zumeist politische Wünsche sind, aber keine soziologischen Gesetze und Befunde!

In der Geschichts t h e o 1 o g i e der johanneischen Apokalypse wird allerdings angedeutet, daß der Endzustand der Menschheit eine totale Planwirtschaft enthalten dürfte. Die fragliche Stelle ist Offenbarung 13, 16 f., und handelt vom „Tier“, welches das Unheil fertigbrächte, daß „niemand kaufen oder verkaufen kann, der nicht das Parteizeichen des Tieres' an der rechten Hand oder auf der Stirne trägt“!

Offenbar ist das jener „Sozialismus“, den Zechmeister auf Grund der marxistischen Dialektik als einen „antichristlichen“ prophezeit. Nun steht und fällt aber der Entwurf Zechmeisters mit dem Appell an die Kirche, auf Grund der notwendigen Entwicklung der Gesellschaft zum Sozialismus sich zu ihm rechtzeitig zu bekennen und ihn zu verchristlichen. Diese Verchrist-lichung ist aber — auf die Apokalypse reflektiert — eschatologisch überhaupt nicht möglich! Nachdem aber Zechmeister in der Hauptsache eschatologisch argumentiert, ist das Versagen seines Entwurfes endgültig. Eine eschatologisch verfahrende christliche Soziologie, wie sie Zechmeister betreibt, könnte sich nämlich von der Apokalypse gehalten fühlen, eher gegen eine Planwirtschaft als dafür zu sein.

Zechmeister will Theologe sein, „wenn auch nicht geistlicher Theologe“. Diese, zwiespältige Haltung diktiert .sein Werl£ Diese Haltung ist aber auch typisch für den katholischen Integralismus seit Vogelsang, der die Kirche mit sozialen Projekten identifizierte und angesichts der Absage der Kirche an diese infolge ihrer indifferenten Haltung zu allen Projekten — die Kirche als „Verdünnerin'' wahrer Moral kritisierte. Damit ist aber auch dem „sozialen Projekt“ nicht gedient.

Wir halten uns besser an die klassische Methode der Kirche, welche sich grundsätzlich zu allen „sozialen Projekten“ gleichmütig verhält, soweit kein Widerstreit zur H e i 1 s w a h r h e i t gegeben ist — auch zum Sozialismus.

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