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Vom sozialistischen Gottesreich

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„Die Furche“ hat am 20. September 1947 unter dem gleichen Titel aus der Feder des Universitätsprofessors Dr. A. M. K n o II eine wissenschaftliche Stellungnahme zu Doktor A. Zechmeisters Schrift „K i r c h e u nd Sozialismus“ gebracht. Sie gew ährt hiemit aus Gründen der Gerechtigkeit dem Verfasser dieser Schrift Raum zur Erwiderung, ohnt damit den theologischen Darlegungen zuzustimmen.

Vorausgeschickt sei, daß die Auseinandersetzung August M. Knolls mit meiner Schrift „Kirche und Sozialismus“ nur einen, wenn auch nicht unwesentlichen Punkt meiner Darlegungen trifft. Ich hätte freilich mehr gewünscht, daß die dort geforderte nachmittelalterliche „christliche“ Politik entweder kritische Beurteilung oder Zustimmung gefunden hätte.

Knoll identifiziert von vornherein erstens Kirche mit Klerus. (Klar ist dies ausgesprochen in seinem Aufsatz „Rechtfertigung des weltlichen Standes“, „Wort und Wahrheit“, Heft 5, 1947). Demgegenüber muß festgehalten werden, daß sowohl Laien wie Klerus, Kirchenvolk wie geistliche Autorität d i e Kirche sind. Da die Analyse der kirchlichen Kundgebungen von der spätmittelalterlichen Zinsfrage bis zu den sozialen Enzykliken eine lediglich moral-theologisdie Stellungnahme der Kirche (= des geistlichen Standes) zu den jeweiligen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Systemen zu ergeben scheint, folgert Knoll daraus, daß auch die Kirche als Ganzes von der abwartenden seelsorglichen Haltung der kirchlichen Autorität bestimmt werden und sich indifferent erklären müsse. Aber tatsächlich hat die amtliche Kirche — ob man es zugeben will oder nicht—. nicht nur moraltheologische, sondern immer wieder auch politische Urteile gefällt. Warum? Weil sie wenigstens bis jetzt noch das Kirchenvolk mitvertrat, als Ganzheitsorgan sprach, nicht nur das Priester-, sondern auch das Königsamt beanspruchte, somit ebenso «den politischen Laienchristen, der aus seinem Glauben heraus die Welt schöpferisch zu gestalten hat, einschloß, und ihn so allerdings dann auch auf bestimmte kirchenpolitische Entscheidungen festlegte. In der Erkenntnis und.in der Forderung des sogenannten „Methoden-d u a 1 i s m u s“ (der soziologischen Lehre von den beiden Ständen mit verschiedenen Aufgaben in der Kirche) stimme ich mit Knoll überein, aber ich meine ebenso ernsthaft, daß die reinliche Scheidung der beiden verschieden gearteten „kirchlichen“ Funktionen von Klerus und Laien nur deshalb innerkirchliches Postulat werden muß, damit die Kirche, die mehr ist als der geistliche Stand mit seinen pastoralen Rerservaten, aus der tiefsten Sphäre ihrer göttlichen Liebesberufung in der Zukunft den Nöten der Gesellschaft sich ganz zu erschließen vermag. Die von Knoll vermißten neuen institutionellen Organe der Kirche (des Kirchenvolkes) werden sich dann von selbst bilden. Ich habe eine Entwiddungsrichtung in meiner Schrift in etwa mit dem Begriff der „Weltanschauungsgemeinsaft“ angedeutet.

Knoll übersieht zweitens die theologische Problematik von Kirche und Reich Gottes, die in einem Spannungs-verhädtnis zueinander stehen. In der Kirche ist heute bereits Reidi Gottes enthalten, zugleich aber ist dieses ein konkreter Zustand der Erde, der sozusagen zeitlich nach der Kirche kommt, ein letzter Zustand der gläubigen Menschheit, auf den die Propheten hinwiesen und den die Apokalypse dem Tausendjährigen Reich gleichsetzte. Er bedeutet die Herrschaft Gottes audi in der Politik. Reich Gottes wäre gekommen, wenn die Juden durch Christus das Heil angenommen hätten. Der Christ glaubt seither an eine Wandlung der Welt durch die Kirche hindurch zum endgeschichtlichen Reiche Gottes hin. Daß die Kirche bereits auf das Reich Gottes ails auf ihre eschatologische Phase hingeordnet ist, bedingt ja gerade — sieht man von ihrer zeitlosen Kultgestalt ab — ihren Doppelcharakter als eine sittliche und als eine politische Institution, in deren Dienst die gesamte Christenheit nicht nur sozialkritisch, sondern auch sozialschöpferisch zu treten hat. Knoll kennt keine Dynamik in der Kirche, ebenso wie er mit seiner Gleichsetzung von Kirche und Klerus nur eine transzendente Autorität vor sidi sieht, die sich zu allen Sozialformen gleichgültig verhält, und entwertet so notwendigerweise das gläubige Insgesamt der Kirche, das in der Einheit beider Stände beruht und in letzten Grundformen christlicher Politik sich auf das Reich Gottes als auf die endzeitliche Gestalt der Menschheit hin zu entwickeln hat. In diesem Sinne ist die individuelle Entscheidung des einzelnen eine kirchliche und die Kirche delegiert jedes ihrer Glieder, im besonderen aber den Laien zum politischen Handeln (Ernst Michel, „Von der kirchlidien Sendung der Laien“, Berlin 1934). Das aber ist der berechtigte Kern jedes katholischen Integralismus: daß der Christ, wohl Laie und Priester in verschiedener Weise, dem geschichtlichen Anruf gehorsam, in dieser Delegation für ein konkretes politisches Konzept eintritt, statt sich bei abstrakten moraltheologischen Normen zu beruhigen oder sich daraus ebenso zeitenthoben wie selbstgerecht ein eigenes „kirchlidies“ Sozialsystem zu bauen, ohne damit wieder, was erkannt zu haben Verdienst des „Methodendualismus“ bleibt, auf die ständige Kritik und Relativierung aller historischen Sozialformen vom Zielbild des künftigen Reiches Gottes her zu verzichten. Von der Kirche als geistlichem Stande jedoch wird vorerst nur die Bereitschaft verlangt, die politische Gewissensentscheidung jedes Christen, sofern sie die Glaubens- und Sittenlehre der Kirche einbezieht, anzuerkennen. Dann aber, daß auch die kirchliche Autorität, gerade weil sie das Königsamt des wiederkehrenden Christus in etwa vorausnimmt, das politische Reich-Gottes-Ziel jenes Gläubigen erkenne und es allmählich in der Kirche zu einem allgemeinen mache.

Dies aber setzt bereits den jetzt noch Ärgernis erregenden Glauben an ein s o z i a-listisches Reich Gottes voraus. Ich gebe unumwunden zu, daß dies ein Glaube ist, ein mensdilicher und ein christlicher. Es gibt in der bisherigen Geschichte kein vollkommeneres innerweltliches Menschenbild als es das sozialistische ist, soferne man darunter die Idee eines Menschen versteht, dem die Gemeinschaft mehr bedeutet als das eigene selbstsüchtige Ich. Daran ändern weder der Atheismus der neuzeitlichen proletarischen Arbeiterbewegung etwas noch auch die Grausamkeiten sozialer Revolutionen. Weil das sozialistische Gemeinschaftsideal das in der Gesellschaft projizierte profane Abbild der Kirche und des Reiches Gottes darstellt, ist es die Sehnsucht der Einsamen wie der Massen, und eine sozialistische Welt als eine menschenwürdige, vernünftige und geplante Gemeinschaftsordnung ist hinwieder der Anstrengung -und der Opfer der Besten wert. Ihre Vision ist die bisnun reifste Frucht eines abendländischen Humanismus (Hendrik de Man, „Die sozialistische Idee“, Jena 1933). Es ist nicht einzusehen, warum die Kirche dtirch ihre Erziehung, da es den katholischen Menschen in abstracto nicht gibt, sondern nur den Christen, der im breiten Ablauf der Geschichte Feudalherr, Bürger und zuletzt Arbeiter ist, nicht auch den diristlichen Sozialisten hervorbringen könnte. Manche sehen freilich im Sozialismus gegenwärtig nur Verstaatlichung, marxistischen Kollektivismus, Vermassung und die Freiheit auslöschenden Totalismus. Aber darum geht es hier nicht. Undenkbar ist es, daß jenes humane, zuletzt aber religiöse Verlangen nach Sozialismus als neuer Gemeinschaftsform nicht auch einmal in der Geschichte gestillt werden sollte.

Für diesen Glauben, den nun neben dem Atheisten ebenso ein Christ haben kann, bedeutet es heute bereits eine Genugtuung, daß etwa Universitätsprofessor Dr. Dillers-berger in seinem Vortrag „Das Geschichtsbild der Apokalypse“ bei den diesjährigen Salzburger Hochschulwochen das Tausendjährige Reich als die christliche Erfüllung einer politischen Sehnsucht der Menschheit interpretierte, im Gegensatz zu H. S. Braun O. Cap., der den Anliegen der „Modernen Messianismen“ in der Kirche keinen Platz einräumen möchte. Der Moraltheologe Theodor Steinbüchel hat über den „Sozi a-lismus als sittliche Idee“ (Düsseldorf 1921) ein Buch geschrieben. Aber Jahrzehnte vorher waren bereits die beiden Blumhardt und Leonhard Ragaz in der

Schweiz nicht nur die Verkünder einer neuen Reich-Gottes-Hoffnung, sondern auch eines religiösen Sozialismus. In Österreich bestand ein „Bund der religiösen Sozialisten“, und wenn heute in dem Verhältnis von Kirche und Parteien hierzulande eine grundlegende Änderung eingetreten ist, so ist dies in erster Linie seiner wagenden Vorgängerschaft, und erst dann dem „Methodendualismus“ zu danken. Es ist christlicher Glaube, daß die urkirchliche Gemeinde und ihre Fortsetzungen in den Ordensgemeinschaften mit der Idee des Gemeinbesitzes die Verfassung des künftigen Reiches Gottes vorwegnahmen, deren Ubersetzung ins Profan-politische und Weltlich-Institutionelle eine sozialistisch gestaltete Erde hervorbringen muß.

Wissen wir tatsächlich nichts über die Geschichte der Endzeit? Wir könnten weder Soziologie noch Politik treiben, wenn wir nicht, was weder Freiheit noch Wissenschaft aufhebt, ein annähernd konkretes gesellschaftliches und politisches Zukunftsbild hätten, wenn wir nicht nur aus dem Wissen des Tatsächlichen, sondern auch aus dem der

Ziele handelten, wenn wir nicht immer teologisch dächten, was christlich argumentiert heißt: eschatologisch.

Die Geschichtstheologie der Apokalypse enthält nicht nur das Kapitel vom „Tier“ (Kap. 13), sondern auch von der Herrschaft Christi mit den auferstandenen Gerechten auf Erden in einem Tausendjährigen Reich (Kap. 20). Und neben Johannes lese man die alttestamentlichen Propheten! In der prophetischen Perspektive der Geheimen Offenbarung stehen sich endzeitliche Katastrophe und endzeitlicher Sieg Christi noch in diesen Äon gegenüber, vielmehr sie sind ineinander verschlungen, h;ide bedingen einander. Dem Christen obliegt es, zu handeln.

Also ist Sozialismus bereits Reich Gottes? Gewiß. Mag eine sozialistische Welt, was fraglich ist, noch einmal eine andere ablösen, für den, der christlicher Sozialist sein will und um seine Anerkennung in der Kirche ringt, ist sie die letzte und endgültige; er will in der Leidenschaft gläubiger Politik leben und will die heutige Welt zu ändern suchen.

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