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Von Gestern für Heute?

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Lehrervereine von gestern für heute?

Eine provokante Fragestellung? Vielleicht.

Kaum ein Beruf ist heute noch so sehr „Stand“ wie der Lehrberuf. Stand, das heißt hier Standort im Leben, im persönlich eigenen wie im Kulturleben und da insbesondere im Gesellschaftszusammenhang. So liegt es (von Kultur aus) nahe, in gewisser historischer Tradition oder zumindest in historischer Anlehnung Standesgemeinschaften von Lehrern zu bilden und zu pflegen. In Österreich bestehen vor allem zwei solche Lehrergemeinschaften, die christlichen Lehrervereinigungen und die sozialistischen Lehrervereine, mit dem Unterschied, daß die sozialistischen Lehrerverbände unmittelbar parteipolitisch engagiert sind, die christlichen Verbände, als Standesorganisationen auf religiös-weltanschaulicher Grundlage, jedoch relativ getrennt von der Sektion Lehrer im ÖAAB wie auch von der Fraktion Christlicher Gewerkschafter existieren.

Sozialistische und christliche Lehrervereine treten oft ziemlich scharf . als Gegner auf. Warum? Mit dem Gegensatz von „Fortschrittlichkeit“ und „Konservativismus“ erscheinen die Differenzen nur sehr ungenau und eher irreführend bezeichnet. So gibt es zum Beispiel nichts Konservativeres als den fast schon zur Geste erstarrten Anspruch auf die Revolution in Permanenz oder den allgemeinen Ruf zur „Disziplin“ des Organisationsapparats, wogegen sich kaum Fortschrittlicheres finden lassen wird als der universale Aufbruch zur Erneuerung in der katholischen Kirche.

Zweifaches Engagement

Genaugenommen könnte organisatorisch gar kein Hindernis bestehen, daß einer Mitglied beider Lehrervereine würde, als Katholik Mitglied des christlichen und seiner parteipolitischen Orientierung nach Mitglied des sozialistischen Lehrervereines. Es bliebe dann lediglich eine Frage des persönlichen Gewissens, wie weit ein Lehrer ein derartiges zweifaches Engagement tatsächlich zu erfüllen vermöchte. In der Praxis würde man ihn allerdings, sofern er entdeckt würde, da oder dort oder sogar beiderseits mit Schimpf und Schande davonjagen. Rein gefühlsmäßig wird auch niemand etwas gegen diese scharfe Reaktion einzuwenden haben. Das muß zu denken geben.

Liegt es an den grundlegenden weltanschaulichen Gegensätzen? Wieso gibt es solche überhaupt und worin bestehen sie? Die Mitglieder der christlichen Lehrervereine bekennen sich selbstverständlich ausnahmslos zum christlichen Lebensanspruch, in der tätigen Verwirklichung so, wie jeder einzelne es seinem charakterlichen Niveau nach fertigbringt. Von den parteisozialistisch organisierten Lehrern bekennt sich der überwiegende Teil ebenfalls zu einer christlichen Konfession. Demnach müßten auf beiden Seiten christlich geformte Gemeinschaften entstehen, wo von vornherein gar nicht zu entscheiden ist, welche sich in der praktischen Bewährung des Christentums als tüchtiger erweisen wird. Denn daß die guten Christen allein in der einen Gemeinschaft und in der anderen nur schlechte sich vereinigt fänden, ist schon nach der logischen Wahrscheinlichkeit nicht anzunehmen. So können auf der einen Seite die christlichen Lehrervereine niemals eine Art Patentrecht auf das Christentum erwerben.

Auf der anderen Seite bliebe bei den sozialistischen Verbänden sonach lediglich die Möglichkeit, daß aktive achristliche oder gar antichristliche Minderheiten dort überstarke Wirkungen ausübten, welch oft gehörte Vermutung einmal ernstlich zu überprüfen wäre.

Beide Vereinigungen haben jedenfalls „ihr Problem“, stark vergröbernd ausgedrückt, der sozialistische Lehrerverein darin, was bei ihm „Hauptsache“ ist und was als „Privatsache“ zurückgedrängt bleibt, die christliche Lehrerschaft in dem, wie weit der offizielle religiöse Anspruch, die zentrale christliche Zielsetzung, im wesentlichen die Lebenswirklichkeit der Gemeinschaft wie auch jedes einzelnen Mitgliedes wirklich vorbildlich zu durchdringen vermag, oder ob sie durch kleinbürgerliche Konservativismen u. dgl. überlagert werden.

Gemeinsamkeiten

Trotz aller primären und sekundären Gegensätze besitzen beide Gemeinschaften oder Gemeinschaftsgruppen im Grunde ein gemeinsames Glaubensfundament, von dem sich annehmen läßt, daß es viel besser zu entfalten wäre. Der Gemeinsamkeiten gibt es aber noch mehr. Da ist vor allem auf das Bekenntnis für unser ungeteiltes und unteilbares Österreich hinzuweisen,

• ferner auf den gemeinsamen Berufsstand, verbunden mit derselben Berufsverantwortung in dieser realen Welt. Weiter sind zu nennen:

• die Arbeitsgemeinschaft in der alltäglichen Berufsarbeit und auch mannigfache sonstige Interessenparallelen, so daß die Berufskollegen auch auf verschiedenen anderen Gebieten einander begegnen.

Wäre das alles nicht so, gäbe es kaum eine gedeihliche Zusammenarbeit an der täglichen Arbeitsstätte, um die es ja letztlich immer gehen muß. Häufig herrscht dort das denkbar beste Einvernehmen, gleichgültig welcher „Fakultät“ der einzelne angehört; es wird nicht nach ihr gefragt. Doch, sieh da! Nicht selten merkt man es dennoch allzu deutlich, wo einer „hingehört“, positiv oder negativ. Das schafft wohlfeile Möglichkeiten, ihn zu klassifizieren, sich mit ihm auf der Ebene der Vorurteile, das heißt, ohne nähere Berücksichtigung seiner individuellen Person, auseinanderzusetzen. Es erspart das Zuhören. Allzu behende wird einer dann als charakterlos deklariert, wenn er dem Durchschnittstyp oder dem Propagandaklischee, das über die betreffende Gemeinschaft kolportiert wird, nicht entspricht. Mitunter findet sich auch die Situation, daß zwischen guten Kollegen plötzlich ein Abstand entsteht, daß sie merklich auseinanderrücken, weil einer vom anderen erfahren hat, „was der andere ist“. Die Grenze des Mißtrauens oder eines unterschweligen Unbehagens ist gezogen. Weiß er denn nun wirklich um so viel besser, „was der andere ist“?

Was sich in den Gemeinschaften ganz unwidersprochen verfestigt, ist nicht immer das Beste. Was die gegnerische Gemeinschaft davon wahrnimmt und womit sie sich, da sie es sich meistens leicht macht, auseinandersetzt, ist garantiert nicht das Beste. Zu leicht kommt es so zu Abkapselungen, zu einer Institutionalisierung der Gegnerschaft. Engstirnigkeit und Unduldsamkeit werden dann mit charakterlicher Festigkeit verwechselt. Diejenigen, die trotzdem nach der Entfaltung der Gemeinsamkeiten suchen, bei aller Betonung der Eigenart, ohne die es gar nicht ginge, sind natürlich nicht sonderlich geschätzt. Sie müssen oft den Vorwurf riskieren, sie wollten die „Disziplin“ aufweichen, einen Relativismus fördern. Wie aber das? Im Christentum wie in der Demokratie kann nur die eigenverantwortliche Selbstdisziplin gelten. Der Kampf gegen jede Erstarrung und gegen jede Verhärtung in Vorurteilen ist Lebenskampf schlechthin. Am Beispiel: Weder ein permanenter Revolutionstrieb noch ein Konservativismus als Gesamt-döktriri ist für sich lebensfähig. Wer solchermaßen einseitig würde, müßte sich dessen klar sein, daß er zur Hälfte von seinem Gegner lebt.

Läuft das in der tieferen Absicht nun doch auf ein Lob der Unent-schiedenheit, der Charakterlosigkeit oder eines mehr oder minder unverbindlichen „höheren Gesichtspunktes“ hinaus? Nein, keineswegs. Cha rakterliche Echtheit verlangt in ge wissem Sinne immer auch den Mut zur Einseitigkeit, jedenfalls zur Entscheidung. (Freilich auf welchem Niveau!) So muß uns die Absage an jede abstinente oder unentschlossene Fehlhaltung ebenso angelegen sein wie die Uberwindung des allzu billigen sozialen Engagements mit dem Verlust des Wagnisses zur Selbstverantwortung. Aber statt absperrender Exklusivität brauchen wir heute auch in unseren beruflichen Gemeinschaftsbildungen die Offenheit eines reifen Charakters.

Ein permanentes Gespräch

Wir brauchen eine dauernde gemeinsame Plattform. Es gilt, ein permanentes Gespräch in Gang zu halten, wo immer zuerst das Wesentliche zur Debatte stehen muß, wodurch sich die kleinliche Freude, anderen am Zeug flicken zu können, von selbst erledigt. Dies Gespräch soll immerhin hart im Ausspruch und auch im Vorhalten geführt werden, je härter um so klarer, aber es muß stets auf dem Boden gegenseitiger Achtung bleiben und immerdar die ehrliche Bereitschaft zu selbstkriti-cher Wahrhaftigkeit erweisen. Ein guter Anfang dazu wäre mit der Kultur der pädagogischen Fachpublizistik zu setzen.

Wo unsere Lehrervereine heute um Einflußchancen, um Posten u. dgl. im Gegensatz stehen, bringt das mitunter die bedenklichsten Folgen mit sich. Es wäre viel gewonnen, wenn es gelänge, die Konkurrenz um die Berufschancen überhaupt auf andere Grundlagen zu stellen.

Auf alle Fälle wäre zu beherzigen: Kaum jemand bedarf so sehr der Gemeinschaft, einer vollauf intakten Gemeinschaft, wie der Pädagoge. Dies, obwohl er letztlich immer in seinem selbstverantwortlichen Wagnis zurückbleibt; und niemals war die Bedeutung der rechten Gemeinschaftsverbundenheit im Lehrberuf so wichtig, wie sie es in der heutigen Zeit ist.

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