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Von Musik und Musikern

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Musik. Geschichte ihrer Deutung. Von Dr. Hermann Pfrogner. Verlag Karl Alber, Freiburg. XIV und 420 Seiten. Preis 26 DM.

Das in der Reihe „Orbis Academicus, Problemgeschichte der Wissenschaft in Dokumenten und Darstellungen“ erschienene Werk beinhaltet eine Auslese der wesentlichen Aussagen über die Musik von den Anfängen (China) bis in die jüngste Vergangenheit (Arnold Schering), verbunden durch knappe, inhaltsreiche Einleitungen und kurze Zwischentexte. Da in der Frage nach dem innersten Wesen der Musik immer auch die nach dem Wesen des Menschen mitschwingt, spiegelt sich in diesen Dokumenten auch die Geistesgeschichte der dargestellten Epoche: von der Musik als Magie über die Musik als Weltenbauprinzip (China, Piaton), über den Empirismus (Aristoteles), Skeptizismus, Mystizismus, die patristische Musikanschauung (Hieronymus, Ambrosius, Augustinus), die Neupythagoräer, Humanismus und Renaissance, die ältere Affektenlehre (Descartes, Mattheson), die Nachahmungslehre (Diderot, Kant), die Musikauffassung der Romantiker, die inhalts- und subjektbezogene Musikauffässung bis zu Kurth, Steiner, Harburger und Schering. Da es dem immens belesenen und gelehrten Autor um eine allgemeingültige Aesthetik bzw. Philosophie der Musik geht, wurden die poetischen Herzensergießungen der Dichter über Musik und die subjektiven Meinungen der Komponisten über ihr Metier und ihre Kunst ausgespart. (Diese findet man etwa in dem von H. Barth herausgegebenen Buch „Allgewalt der Musik“, im Verlag Langewiesche-Brandt, Ebenhausen bei München.) Das mit 16 Abbildungen und einem umfangreichen Quellennachweis ausgestattete Buch kann als das Standardwerk auf diesem Gebiet bezeichnet werden.

Die Zwölfordnung der Töne. Von Dr. Hermann Pfrogner. Amalthea-Verlag, Zürich-Leipzig-Wien. 2S0 Seiten.

Ausgangspunkt der Untersuchung ist das Tpn-material: unsere siebenstufige diatonische Leiter und die sie umgreifende zwölftonige chromatische Skala, deren Anfänge sich bis ins 16. Jahrhundert zurückverfolgen lassen. Der grundlegende Unterschied zwischen tonaler und atonaler Musik besteht nach Pfrogner darin, daß bei der letztereil Tonort gleich Tonwert gesetzt wird: die demokratische Gleichheit der Töne, deren Voraussetzung durch die von Andreas Werckmeister (1645—1706) gefundene temperierte Stimmung geschaffen wurde. Von besonderem geistesgeschichtlichem Interesse sind die von Pfrogner herausgearbeiteten Bezüge der atonalen Musik Schönbergs zur modernen Physik und zu theo-sophischen Gedankengängen. Einzelne Thesen Pfrog-ners werden von den Theoretikern der Dodekaphonik angefochten. Für die Erkenntnis der Situation der zeitgenössischen Musik sind seine Ausführungen von fundamentaler Bedeutung.

Neue Musik in der Entscheidung. Von Karl H. W o e r n e r. Verlag B. Schotts Söhne, Mainz. 347 Seiten, Preis 12.60 DM.

Das mit zahlreichen Notenbeispielen und den Porträts oller wichtigen Komponisten der Gegenwart versehene Buch verbindet historische Darstellung, Zusammenfassung nach Sachgebieten bzw. Gattungen (Tonalitätsprinzip, zeitgenössisches Musiktheater, Kirchenmusik) mit knappen, bei den Hauptrepräsentanten der neuen Musik ausführlicheren Einzeldarstellungen. Die im einzelnen sachliche, im ganzen positive Einstellung des Autors zu seinem Thema und eine souveräne Materialbeherrschung machen dieses Buch zu einem der instruktivsten (und lesbarsten) -auf diesem Gebiet. Wohlinformiert und vorbildlich objektiv ist der Verfasser auch in bezug auf die neueste russische Musik oder die noch in den Kinderschuhen steckende elektronische Musik. Auf den drei Seiten über das zeitgenössische Musikschaffen in Oesterreich sind nicht nur alle wichtigen Komponisten genannt, sondern auch richtig charakterisiert. Ein umfangreiches Literaturverzeichnis verweist vor allem auf die in musikalischen Fachzeitschriften erschienenen Einzeldarstellungen zeitgenössischer Komponisten.

Musica Nova. Die Tonwelt unseres Jahrhunderts. Von Friedrich H e r z f e 1 d. Ullstein-Verlag. 334 Seiten. Preis 14.80 DM.

Das mit 4 mehrfarbigen, 24 einfarbigen Tafeln, 14S Abbildungen im Text und 104 Notenbeispielen versehene Buch von dem bekannten Furtwängler-Biographen ist eine unterhaltsame und attraktive Plauderei über die Musik unserer Zeit, der man — trptz kleiner Schönheitsfehler und Irrtümer — ein großes Publikum wünscht. Den feuilletonistischen Stil kennzeichnen die Titel: „Mir erkoren — mir verloren“ (Farbe, Ton und Duft), „Angst, Angst, Angst“ (Musik und Seele. Von Schönberg bis Berg), „Danse russe“ (Musik und Rhythmus. Von Diaghilew bis Blacher), „Musik und Vergangenheit“, „Musik und Volk“ und „Die Generationen“ (Homunkulus: Die jüngsten Komponisten, nach Ländern geordnet). Die Mängel sind stilistischer und sachlicher Art. An Max, Reger „zerren“ — trotzdem er „von gläubiger Religiosität erfüllt ist“ —, „Unrast und Zerfaserung“ (S. 43). Ueber Hugo Wolf heißt es: „Das Schöne seines Geistes war Frucht von dem Gräßlichen seines Leibes.“ Schönbergs Klavierstücke op. 19 mag man als „Klangfetzen“ bezeichnen, aber es wäre leicht zu widerlegen, daß sie sich motivisch nicht analysieren lassen. Ernst Krenek hat nicht erst in Amerika zur Zwölftontechnik gefunden, sondern bereits während der Arbeit an seiner Oper „Karl V.“. Das „Kammerkonzert“ von Alban Berg scheint der Verfasser weder gehört noch gesehen zu haben, denn was er auf S. 102 darüber sagt, ist vollkommen falsch. *

Ton und Wort. Aufsätze und Vorträge von 1918 bis 1954. Von Wilhelm Furtwängler. Verlag F. A. Brockhaus, Wiesbaden. 275 Seiten, Preis 10 DM.

Kurz vor dem Tod des großen Dirigenten erschien, noch von ihm redigiert, dieser inhaltsreiche Band, von dessen 32 Betrachtungen bisher nur vier in Buchform erschienen waren. „Alles Große ist einfach“, heißt der letzte Aufsatz, und dieser Titel könnte als Motto über der ganzen Sammlung stehen. Für das Organische — gegen das Konstruierte, für das Lebendige, den Künstler — gegen Intellekt, Abstraktion und „historische“ Wissenschaft tritt Furtwängler immer wieder beredt und temperamentvoll ein. Wer ihn nicht schon aus den „Gesprächen über Musik“ kannte, wird in diesen Reden und Essays einen Denker und Stilisten von hohem Rang entdecken. Die Themen heißen: Bach und Beethoven, Wagner und Nietzsche, Brahms, Bruckner und Weber. Die neue Musik liegt am Rande seines Gesichtsfeldes und ist meist nur Kampfobjekt: so, wenn er sich in einem Brief an den damaligen Kulturminister Joseph Goebbels für Paul Hindemith einsetzt, oder, wenn er seine massiven Vorbehalte gegen die Atona-lität vorbringt. Da, was Furtwängler sagt, aus der musikalischen Praxis abgeleitet oder durch ihre Erfahrungen erhärtet ist, finden wir alles, was er sagt, bemerkenswert, auch wenn man ihm in manchem Detail — und vielleicht sogar in manchen seiner

Thesen — nicht zustimmen kann.

Claude Debussy. Dokumente seines Lebens und Schaffens. Auswahl und verbindende Texte von Hans R u t z7 Verlag C. H. Beck, München. 264 Seiten. Preis 10.80 DM.

Nach Haydn, Mozart, Beethoven und Schubert hat der bekannte Musikschriftsteller Hans Rutz, Leiter der Musikabteilung von Radio Salzburg, nun auch Claude de France unter die Klassiker gereiht. Denn wie nur einer von ihnen hat Debussy in seinen Hauptwerken jenes echte Verhältnis, jenes Gleichgewicht zwischen Inhalt und Ausdrucksmitteln hergestellt, so daßer dem Ideal des „goldenen Schnittes“ nahekommt. Debussys persönliche Größe aber ruht auf der Wahrheit seiner Kunst, die keine Effekte kennt, auf der Reinheit seines Wollens und der Klarheit seines Kunstverstandes. Debussys Leben und Schaffen spiegelt sich fast vollständig in den hier gesammelten Zeugnissen und Dokumenten, vor allem in den Briefen von und an Jacques Durand (den Freund und Verleger), die Dichter Pierre Louys und Gabriele d'Annunzio, den Komponisten Ernest Chausson und den Dirigenten Andre Messager. Einige Titel und Hauptmotive dieses Sammelwerkes: „Klingende Natur“, „Auf dem Weg zum Klassizismus“, „Debussys religiöses Bekenntnis“ und „Claude de France“. Von besonderem Interesse ist der Hinweis auf Debussys Wertschätzung der Gregorianik und die Darstellung seines Kontakts mit Wien, der im wesentlichen aus ärgerlichen und lächerlichen Zwischenfällen bestand. — Diese Auswahl von De-bussy-Dokumenten bringt zwar keine wesentlich neuen Erkenntnisse, aber sie belegt gewissenhaft das Bekannte. Die allzu wörtliche Uebertragung der französischen Texte geht zuweilen auf Kosten der deutschen Sprache. Eine Reihe von Akzenten fehlt oder ist nicht an ihrem richtigen Ort.

Große Virtuosen. Von Kurt Blau köpf. Verlag Arthur Niggli und Willy Verkauf. 193 Seiten. Preis 49.50 S.

Das neue Buch Blaukopfs hat zwei Teile: einen allgemeinen, in Einzelheiten anfechtbaren, mit dem Cantus firmus: „Der Virtuose ist ein Produkt der kapitalistischen Gesellschaft“, und einen „sachlichen“, der zwar gleichfalls die Meinungen des Autors spiegelt, aber jenseits sozialpolitischer Thesen. Folgende Künstler werden in gutem, klarem Deutsch trefflich charakterisiert: Backhaus, Besrodny, Cam-poli, Casals, Cortot, Demus, Edwin Fischer, Gieseking, Grumiaux, Gulda. Heifetz, Horowitz, Kempff, Kreisler, Mainardi, Menuhin, Neveu, Oistrach, Roioff, Schneiderhan, Szigeti und Thibaud.' Man sieht: die Auswahl ist ziemlich subjektiv. Um so fundierter sind die einzelnen Darstellungen und Wertungen. Sehr erfreulich ist das den Band beschließende Schallplattenverzeichnis, weniger erfreulich die Aufmachung dieses Nachschlagewerkes als Broschüre.

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