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VON NEUEN BÜCHERN

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„Der entzauberte Freud“ von Emil Ludwig, Karl-Posen-Verlag, Zürich, 1946. 210 Seiten.

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„Der entzauberte Freud“ von Emil Ludwig, Karl-Posen-Verlag, Zürich, 1946. 210 Seiten.

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Es war in der Nazizeit unmöglich, über irgendein geistiges Thema eine rein sachliche Diskussion zu führen. Besonders wenn e^ sich um die Geistesarbeit eines jüdischen Gelehrten handelte. Daher ist es eine vordringliche Aufgabe der wiedererstandenen geistigen Freiheit, daß das Versäumte nachgeholt wird. Dieses Nachholen muß aber nicht notwendig darin bestehen, daß nun die zu Unrecht totgeschwiegenen Ideen bedingungslos anerkannt werden. Es ist vielmehr Pflicht der freien Wissenschaft, unbekümmert um Tagesmeinungen und unbeeinflußt von unwissenschaftlichen Parteipositionen die Wahrheit zu fördern und den Irrtum zurückzuweisen.

Zu den wieder neugewonnenen wissenschaftlichen Diskussionsthemen gehört auch die Psychoanalyse, wie sie von Freud und seiner Schule gelehrt worden ist. Die wissenschaftliche Anerkennung der Freud-schen Theorien war auch schon zu einer Zeit, die vom Rassenwahn noch nicht infiziert war, sehr geteilt. Es war nicht nur die katholische Wissenschaft, die den auch auf religiöses Gebiet übergreifenden materialistischen Pansexualismus dieser Art von Psychoanalyse entschieden ablehnen mußte, sondern es gab auch genug andere Gelehrte„ die entschieden dagegen Einspruch erhoben, daß gewisse richtige Erkenntnisse von psychopathischen Zuständen nun unterschiedslos auch als die Erklärung des gesamten menschlichen Seelenlebens gelten sollten.

Zu einer richtigen Diskussion über dieses Thema ist es bisher in östeureich nodi nicht gekommen. Noch haben wir erst Neuauflagen von psychoanalytischen Büchern erlebt, darunter auch von Freuds Hauptwerk, seiner „Traumdeutung“. Dafür ist in einem^ Schweizer Verlag ein Werk aus der Feder Emil Ludwigs erschienen, das in der denkbar schärfsten Form gegen Freud Stellung nimmt.

Der Verfasser hat sein Werk in Amerika geschrieben. Er erklärt in seinem Vorwort, daß er zur Abfassung des Buches hauptsächlich durch die Erkenntnis veranlaßt worden sei, welch verheerenden Einfluß die Freudsche Lehre vor allem auf die Den-kungsweise der amerikanisdien Mittelschicht ausübe, welche die Psychoanalyse nicht als wissenschaftliche Theorie, sondern als festgegründete Weltanschauung aufnehme. Deshalb fühle er sich verpflichtet, trotz der sonstigen Schicksalsgemeinschaft, die ihn mit Freud verbinde, gegen seine Lehr- aufzutreten.

Dementsprechend ist audi die Schreibweise des Buches nicht nüchtern-wissenschaftlich, sondern eher feuilletonistisch — wie es schon der Titel ankündigt: die einzelnen Requisiten eines Zauberkünstlers (sie sind auf dem Buchumschlag abgebildet) werden der Reihe nach ihres Zaubers entkleidet und mit beinahe derselben Methode, mit welcher Freud seine Traumdeutungen durchführt, werden diese Deutungen und deren Folgerungen ad absurdum geführt. Dabei zitiert Emil Ludwig auch Karl Kraus mit seiner Definition der Psychoanalyse: „Psychoanalyse ist die Krankheit, die sie zu heilen vorgibt.“

Das Buch Ludwigs ist für eine Leser-sdiaft bestimmt, die nicht in der Lage ist, den wirklichen wissenschaftlichen Wert oder Unwert einer Hypothese zu untersuchen und die infolgedessen sehr leicht von einer billigen populären „Wissenschaft“ irregeführt wird. Bei uns ist vielleicht ein so radikales Gegenmittel gegen den Geist der Psychoanalyse nicht notwendig, da es hierzulande doch noch kaum 17jährige“ Automechaniker gibt, die bei der Behebung eines Motorschadens Selbstgespräche über ihre „Komplexe“ fuhren, wie dies Ludwig in Amerika erlebt hat. Dafür wird es wohl in absehbarer Zeit auch in Wien, der Geburtsstadt der Psychoanalyse, wieder zu einer sachlichen Auseinandersetzung kommen, bei der das Körnchen Wahrheit, das der psychoanalytischen Theorie zu eigen ist, der psychologischen und medizinischen Wissenschaft zugute kommt, soweit das bisher noch nicht der Fall war.

Dr. Franz Unterkirchner

Ludwig Batttsta: „Die Österreichische Volksschule.“ Bundesverlag, Wien 1946.

Vor mehr als einem Jahrzehnt hatte Österreich! führender Schulmann, Ludwig Battista, als die Krönung seiner pädagogischen Lebens--arbeit das Buch über die österreichische Volksschule herausgegeben und damit e ne Zustimmung und dankbare Aufnahme gefunden, wie sie nicht leicht einem zweiten Buche, dieser Art je zuteil geworden ist. Die nationalsozialistischen Machthaber haben dieses Werk, von dem man sagen konnte, es sei aus dem Herzen der österreichischen Lehrerschaft geschrieben, vernichtet und es überall aus den Büchereien entfernt, wo sie seiner habhaft wcrdi-n konnten. Nun liegt es in neuer Auflage wieder vor und wird seinen Weg in die Lehrerschaft nehmen, die seiner sehr bedarf, besonders in ihren jüngeren Gruppen, deren Ausbildung so mangelhaft und häufig auch so heimatentfremdet erfolgt ist. Battista bringt in seiner glücklichen und so überaus ansprechenden Art eine Geschichte der österreichischen Volksschule, die mit der Schulkunde, wie mit der speziellen Didaktik und der

Paarung*- und Erfciebungskunde der Volksschule zu einem Gesamtwerke verwoben ist, das in seiner einprägsamen Geschlossenheit wohl in Zukunft wieder den Grundstock jeder österreichischen Schul- oder Lehrerbücherei bilden wird; gibt es doch nidu nüi rollen Aufschluß über die Voraussetzung für unser ganzes Bildungswesen, sondern auch zugleich die Wege zur Gesundung und um Wiederaufstiege für den Stand der Volkssohullehrer, von dem der Verfasser in seiner Vorrede sagt, er trage „heute wie ehedem eine große Liebe für den herrlichen Beruf im Herzen, dem die Durchbildung des ganzen Volkes zur Aufgabe gestellt ist“. Er hat diese Liebe durch die Tat seines Werkes unter Beweis gestellt! Dr. Heinrich Peter

„Theologisches Denken als Deutung der Zeit.“ Von Univ.-Prof. Dr. P. Albert Auer, Igontar-Verlag, Salzburg, 1946.

Es besteht kein Zweifel darüber, daß wir heute wieder um die Grundeinstellung des Menschen ringen müssen. Die Erschütterungen haben so große Risse und Verschüttungen hervorgerufen, daß wieder die großen Probleme aufzugreifen sind. Vorliegendes Buch hat seine haupt-sächlidiste Bedeutung darin, die alten und doch so wichtigen Themen wieder anzuschlagen. Der Verfasser kennt die Zeit und die Problematik. Er gliedert und sichtet sie auch. Jedoch manchmal würden wir der positiven Ausführung einen breiteren Raum wünschen, wie etwa in der Darstellung der Bergpredigt.

Prof. Dr. Leopold L e n t n e r

„Unser Kind “ Von Dr. Hans K r e n e k. Verlag Mayer, Wien.

Den bisherigen Neuerscheinungen auf dem Gebiet der Erziehung reiht sich ein neues Werk an. Es ist mit liebevollem Verständnis für die Psyche des Kindes geschrieben. Die schlichte, natürliche Sprache macht das Buch auch für einfachere Eltern leicht verständlich. Besondere Beachtung verdienen die Kapitel über die Erziehung des Säuglings und des Kleinkindes, da die Eltern gerade in diesen ersten Jahren aus Unwissenheit oft sehr viel vernachlässigen, was später nur schwer oder überhaupt nicht mehr gutzumachen ist.

Für den Zweck des Buches ganz überflüssig sind die historischen Reminiszenzen über die Prügelstrafe, die mehrere Seiten Killen, wobei der Verfasser übrigens nicht sehr objektiv in der Darstellung ist. Die Bemerkung, Staat und Kirche müßten noch mehr als bisher bewußt darauf hinarbeiten, an Stelle von Haß und Roheit, die unseren Kindern leider vom vergangenen Regime eingehämmert wurden, das Gebot der Liebe zu setzen, ist sicher am Platz. Die Formulierung aber i nicht ganz glücklich — nicht orientierte Leser könnten nr Meinung kommen, in dieser Hinsicht sei von keiner der beiden Autoritäten bis jetzt eVwas geschehen. Dem freien Erziehungsideale, möglichst ohne Gebote und Verbote in der Erziehung auszukommen, kann man nicht absolut beipflichten. Das Kind muß an Geboten und Verboten lernen, von seiner Willensfreiheit den rechten Gebrauch zu machen. Der Mensch ist kein autonomes Wesen, das sidi seine Gesetze selber ^ibt und nimmt, sondern von Natur aus auf eine höhere, über ihm stehende Autorität hingeordnet. Daß die Erzieher von der Notwendigkeit, zu gebieten und zu verbieten, weisen Gebrauch machen sollen, ist dagegen alterprobte Erziehungsweisheit, die wir mit dem Verfasser ganz bejahen.

Im ganzen gesehen ist das Buch erfreulich und empfehlenswert. Wir vermissen aber an aller jüngst erschienenen Erziehungsliteratur zweierlei: erstens werden die Eltern kaum einmal aufmerksam gemacht auf die verderblichen Einflüsse, denen unsere Kinder und unsere heranwachsende Jugend durch schlechte Lektüre, seichte Filme, manch sittlich tiefstehende Reklame der Großstadt des 20. Jahrhunderts ausgesetzt sind.

Zweitens führen die in neuerer Zeit erschienenen Bücher über Erziehung nur zum natürlich guten Menschen. Österreich ist aber ein vorwiegend katholisches Land. Verantwortungsvolle Eltern warten auf das Erziehungsbuch, das ihnen hilft, ihre Kinder zum Vollmenschentum zu führen, das die harmonische Ausbildung der natürlichen und übernatürlichen Kräfte des Menschen fördert. Dr. H. M. B o u c e k

Ottokar Janetschek: „Der Titan.“ Beethovens Lebensroman. Amalthea-Verlag, Wien. 39. bis 50. Tausend.

Auf Grund seiner Auflagenziffer gehört dieses Buch zu den erfolgreichen, und da es volksbildnerischen Wert besitzt, ist dies im weiteren Sinne begrüßenswert. Aus Beethovens Leben und Schaffen, Begegnungen und Einsamkeiten gestaltet sich eine spannende Kapitelfolge und bietet ein bewegtes Bild des alten Wien und seiner Bewohner, adeliger Familien und bürgerlicher Leurc über die der Schatten Napoleons seine Unruhe wirft. Tief-menschliche Züge fehlen nicht, dennoch bleibt ein Ungelöstes, Ärgerliche-, weil es nie gelingen kann, das Leben großer Geister in den Maßstab der Alltäglichkeit zu spannen, ohne ihre Persönlichkeit zu verkleinern, zu verzerren. Am Großen gemessen, wird der Alltag zur Karikatur, am Schwunglosen wird es zwangsläufig die Größe. Was Beethoven nicht gelang: sich in die realen Gesdiehniss des täglichen Ablaufs einzufügen, kann dem Autor seines Lebensromans noch weniger gelingen, er sei denn größer als der „Titan“. So stehen wir vor einer allzu „vermenschlichten“ Gestalt, die auf die Wechselfälle des prosaischen Daseins nur unbeherrschter reagiert als andere Menschen und sich zuweilen wie ein aus dem Häuschen geratener Schulmeister benimmt, so daß er stets im Unrecht ist — was er, die Folgen spürend, schnell einsieht, worauf er in der Einsamkeit des Wienerwaldes pünktlich eine heroischen Entschlüsse faßt. Möglidi, daß manche seiner Zeitgenossen Beethoven so gesehen haben; für uns aber ist es ein entstelltes Bild, dem das spezifisch Beethovensche fehlt. Allerdings ist dadurch der Vorteil der Leichtverständlichkeit des Buches gegeben, und da es sich um keine Verniedlichung handelt, wie sie Schubert immer noch widerfährt, sondern um ethisch ernstes Wollen, gehört der „Titan“ trotz seiner Mängel zu den guten Leistungen des an sich nicht sehi begehrenswerten biographischen Romans

Franz Krieg

„Novellen I, II“ und „Damenspiel“. Von Bruno E r 11 e r. Wiener Verlag (Kleinbuoh-reihe Kaleidoskop).

Es ist eine verdienstvolle Tat des Wiener Verlages, Prosadiditungen des allzufrüh verstorbenen Grazer Dichters Bruno Ertler herauszugeben, da er nicht so bekannt ist, wie er es eigentlich verdient. In der vorliegenden Auswahl zeigt sich Ertler ab ein feinfühliger Erzähler, der aus einer reichen Innerlichkeit schöpft und den vielfältigen Erscheinungen des Lebens mit offenen Sinnen gegenübersteht. Bei aller ihm eigenen Gefühlsglut und Begeisterung für die Schönheit der sichtbaren Welt, wird er doch stets von dem sicheren Blick für das richtige Maß geleitet, bleibt beherrschter Künstler und gleitet niemals in das Sentimentale ab. Seine tiefe Naturverbundenheit befähigt ihn dazu, das Wesen einer Landschaft, ihre Atmosphäre und ihren zartesten Duft mit wunderbarer Eindringlichkeit in das Wort zu bannen und so allen Schilderungen beseelte Innigkeit zu verleihen. Seine oft lyrisch gehobene Sprache gibt dem schwebenden Reiz vorübergleitender Stimmungen bezwingenden Ausdruck. Die Menschen in seinen Erzählungen wachsen gleichsam aus ihrer Umwelt heraus und werden manchmal mit nur wenigen Strichen lebensecht charakterisiert. Bei dem derzeitigen Mangel an wirklich gehaltvoller neuer Literatur sind diese Bändchen jedenfalls sehr zu begrüßen. Sie werden dem menschlich liebenswerten Dichter neue Freunde gewinnen und in vielen Lesern zweifellos den Wunsch wecken, noch mehr von seinem Schaffen kennenzulernen.

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