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VON NEUEN BÜCHERN

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,,Der unbewußte Gott“. Von Viktor E. Frankl. Amandus-Edition, Wien. 119 Seiten.

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,,Der unbewußte Gott“. Von Viktor E. Frankl. Amandus-Edition, Wien. 119 Seiten.

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Nach den epochalen Publikationen Sigmund Freuds schien alles, was uns an seelisch-geistiger Phänomenologie bekannt wurde, insbesondere jede krankhafte Erscheinung auf diesem Gebiet, als Funktion, beziehungsweise Funktionsstörung der Triebnatur des Menschen seine Aufklärung gefunden zu haben. Die Freude blieb nicht ungetrübt. Bald stellte sich heraus, daß die Universalanwendung der psychoanalytischen Lehre auf den Gesamtbereich der menschlichen Kultur zu völlig unhaltbaren Ergebnissen führte, ja daß die, Psychoanalyse auch auf ihrem engeren Heimatgebiet, der Neurosenlehre, nicht unwidersprochen blieb, da sich durchaus nicht alle Neurosen psychoanalytisch aufschließbar erwiesen. Es ist das Verdienst -Frankls — nicht Frankls allein, aber er hat der Erkenntnis weithin Bahn geschaffen —, die psychoanalytische Theorie und Praxis auf den ihr zukommenden Raum der „psychophysischen Faktizität“ Frankl des Triebbereiches der menschlichen Natur eingegrenzt zu haben, um dann selbst in Analogie zur psychoanalytischen Methodik das Gesamtproblem der Neurosen vom Blickfeld des Bewußten und Unbewußten der Geistnatur des Menschen her noch einmal aufzurollen. Das Wesenselement des Menschseins erblickt er im Verantwortlichsein, zu dem der Mensch kraft der selbstentscheidenden Autonomie seiner Geistnatur bestimmt ist. Auf dieser Grundlage baut Frankl sein eigenes psychotherapeutisches System, die Existehzanalyse, auf.

Wie bei der Beurteilung der Psychoanalyse drängt sich auch im Falle der Existenzanalyse die Frage nach der Zuordnung des Systems auf. Freud selbst hat sich in seinen Schriften zur materialistischen Grundtendenz seiner Lehre offen bekannt, falls jemand hiezu noch eine besondere Erklärung benötigt hätte. So konnte auch Frankl dieser Gretchenfrage nicht aus dem Wege gehen, selbst wenn sich ihre Beantwortung aus dem Studium seiner Schriften von selbst ergäbe. Aber wo es umj Ganze geht, haben Halbheiten keinen Sinn. So wagt Frankl auch diesen letzten und trotz seiner anscheinenden Selbstverständlichkeit, sehr großen Schritt. Er gelangt in dem Werk „Der unbewußte Gott“ über die Feststellung der notwendigen Annahme eines transzendentalen Ursprungs des Gewissens zur logischen Folgerungeinespersönlichentrans- zendentalen Gesetzgebers. Die Frage, die sich aus der Definition des menschlichen Seins als eines Verantwortlichseins ergibt, nämlich die Frage des Verantwortlichseins wovor, beantwortet Frankl mit: vor Gott.

Eine Ergänzung der logischen Beweisführung erblickt Frankl in einer typischen Verhaltungsweise des Menschen, in der sich eine primäre — Gegensatz zu C. G. Jung —, unbewußte Religiosität kund tue. Bezüglich der psychotherapeutischen Auswertung dieser Entdeckung bleibt Frankl auf der bereits bisher hinsichtlich des Verantwortlichseins bezogenen Linie, indem er jede ärztliche Intention in Richtung einer Bekehrung des Patienten im religiösen Sinne kategorisch ablehnt. Aufgabe der Logotherapie sei es nur, die Tatsachenverhältnisse innerhalb der Leib-Seele-Geist-Natur des Menschen vor dem Auge des Patienten ins rechte Licht zu setzen. Die Entscheidung über den einzuschlagenden Weg könne entsprechend seiner Natur nur Sache des Menschen selbst sein. Den letzten Schritt aber, die Versöhnung mit Gott, könne mit dem Patienten nicht der Arzt, sondern — sofern sich der Mensch selbst dafür entscheidet — nur der Priester gehen.

„Viele Wege führen nach Rom,“ Wenn man sozusagen aus allen Windrichtungen der kreatürlichen Welt zu Gott gelangen kann, warum nicht auch über den Weg der Einsicht in die Tiefenstruktur der Seele. Man sollte glauben, daß er sogar der nächstliegende wäre. Über die philosophische Dignität dieses Weges, wie ihn Frankl aufzeigt, mögen die Philosophen urteilen. Uns scheint, daß man im Falle einer philosophischen Beweisführung bezüglich einzelner

Glieder der Fränkischen Logik Ansicht gegen Ansicht setzen könnte und daß etwa auch hier das Wort aus dem Film über Bernadette Soubirous Geltung habe: „Wer glaubt, braucht keine Erklärung, und wer nicht glaubt, dem kann man es nicht erklären.“ Entscheidender und bedeutungsvoller als die philosophische Beweiskette mag hier die Tatsache sein, daß es sich im vorliegenden Buch nicht um wirklichkeitsfremde Spekulationen handelt, sondern vielmehr um das Ergebnis einer Empirie großen Stils, die einerseits aus dem verständnisvollen Einfühlen in die Vorgänge zahlreicher Menschenherzen und andererseits aus der Feststellung des Versagens materialistischer Deutungs- und Thenapieversuche hervorgegangen ist. In diesem Sinne handelt es sich im vorliegenden Buch nicht allein um die mutige Konsequenz eines ärztlichen Forschers, der bewußt auf dem Boden der Unabhängigkeit der wissenschaftlichen Forschung steht: est ist zugleich ein Bekenntnisbuch der fortschrittlichen Richtung in der modernen Medizin schlechthin. „Ecce labia mea non cohibui" Frankl.

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