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Von Paulus zur heutigen Kirche

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Anhand großer christlicher Denker entfaltet Hans Küng'in seinem neuen Buch die christliche Boschaft als befreiende Anrede Gottes.

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Anhand großer christlicher Denker entfaltet Hans Küng'in seinem neuen Buch die christliche Boschaft als befreiende Anrede Gottes.

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Die Größe zumindest eines christlichen Theologen bemißt sich allein danach, ob durch sein Werk hindurch die christliche Botschaft, die Heilige Schrift, zum Leuchten kommt, Gottes Wort selbst." Aus diesem Blickwinkel spannt Hans Küng, der kluge, kämpferische, aber auch angefochtene Tübinger Theologe, den weiten Bogen der Entwicklung christlicher Glaubenslehre von der Urkirche bis in unsere Zeit.

In dichter, freilich auch für interessierte Laien nicht immer leicht lesbarer Darstellimg erstehen da vor unseren Augen: der Apostel Paulus, der das Christentum zur universalen Menschheitsreligion machte; Ofige-nes, der (später von der Ostkirche verurteilte) Kirchenlehrer aus Alexandrien, „das einzige wirkliche Genie unter den griechischen Kirchenvätern", dem die Christianisierung des Hellenismus (damit freilich auch eine Hellenisierung des Christentums) zu danken ist; Augustin, der den Übergang vom altkirchlich-hellenistischen zum lateinisch-mittelalterlichen Paradigma bewirkte; Thomas von Aquin, der auf der Grundlage von Aristoteles die menschliche Vernunft in der Glaubenslehre aufwertete.

Sodann Martin Luther, der große Reformator; eher überraschend der evangelische Theologe Friedrich Schleiermacher, den man sogar als den „Kirchenvater des 19. Jahrhunderts" bezeichnet hat; und schließ-hch Karl Barth, in dem Küng den Initiator eines „postmodernen' Paradigmas der Theologie sieht, mit dem Ziel der Ökumene.

Welche Fülle christUcher Themen und Probleme ist in diesem eher dünnen Buch angeschnitten! Die Gottessohnschaft Christi und die unterschiedlichen Zugänge zur Dreifaltigkeit, die allegorische Auslegung der Heiligen Schrift (vor allem Ori-genes) oder die buchstabengetreue (die Thomas von Aquin betont und die der hier nicht behandelte Calvin bis ins letzte gefordert hat), das Problem der Erbsünde und der Gnade, die Gewissensfreiheit und viele andere Fragen des Glaubens.

KRITIK AM „THOMISMUS"

Bei aller wissenschaftlicher Behand-limg dieser Themen (mit ausführlichen Literatur- und Quellenangaben) sind doch die Auffassungen des Theologen Küng immer wieder klar herauszulesen, vor allem zur Stellung des Papsttums. Ob Paulus, käme er wieder und würde er die Struktur der katholischen Kirche, „diese riesig aufgetürmte Hierarchie ... und den mit einem Unfehlbar-keits- und Primatsanspruch ausgestatteten Petrusdienst', sehen, auf die Barrikaden ginge, weil er in jedem kirchlichen Dienst das Wirken des Heiligen Geistes sah - das ist eine hypothetische Darstellung.

In Thomas von Aquin sieht Küng den „bis heute wirksamen Apologeten des zentralistischen Papsttums". Jedoch verkörpere Thomas die Zeitgenossenschaft der Theologie, die in lebendigem Austausch mit den gi»)ßen geistigen Strömungen ihrer Zeit stehe. Im Gegensatz dazu zeige sich, so ganz die Linie Küngs, „ein steril Thesen repetierender Thomismus, (er) gibt Ziegelsteine weiter, wo der Geist überspringen solltö*.

Bei Luther, den er durchaus auch kritisch sieht, betont er, die römische Kirche trage die Hauptverantwortung dafür, daß aus dem Streit um das rechte Seelenheil ein grundsätz-hcher Streit um die Autorität in der Kirche und die Unfehlbarkeit von Papst und Konzilien wurde.

m Streben nach der christlichen Einheit ist Küng einig mit Karl Barth, auch werm er diesem nicht ganz unkritisch gegenübersteht. Barth protestierte scharf, aber über zeugt gegen jenen römischen Katholizismus, der im Gefolge von Scholastik und Erstem Vatikanischem Konzil eine „Gleichordnung von Gott und Mensch" (Unfehlbarkeit des Papstes) etabUerte.

Cüng spricht, auf der Grundlage des Zweiten Vatikanischen Konzils, von einer immer zu reformierenden Kirche. Und es geht ihm darum, die ursprüngliche christliche Botschaft derart in die angebrochene Zukunft hinein zu übersetzen, daß sie wieder neu als befreiende Anrede Gottes verstanden wird. „Mit Origenes, Augustin imd Thomas, mit Luther und Schleiermacher - in Barthscher Un-erschrockenheit und Entschlossenheit, Konzentration und Konsequenz nach vom!"

Bei aller denkbaren Kritik: ein von theologischem Wissen und von christlichem Feuergeist getragenes Buch.

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