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Warum so viel Aufregung?

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Daa neue päpstliche Weltrundschreiben zur Entwicklungshilfe vom Ostersonntag ist im Ganzen mit viel freudiger Zustimmung aufgenommen worden; einige einer Ausführungen haben jedoch in liberalen Kreisen erregten, um nicht zu sagen, wütenden Widerspruch hervorgerufen, im Ausland weit mehr als in unserem Land. Das gilt insbesondere von den Ausführungen der Enzyklika zur Eigentumsfrage (Tz. 22 ff.) und über den „liberalen Kapitalismus“ (Tz. 26).

Zu der angeblichen Verurteilung des Kapitalismus durch die Enzyklika genügt der Hinweis, daß sie ausdrücklich von einer bestimmten Art Kapitalismus oder noch genauer von den Übelständen spricht, die am einer bestimmten Art von Kapitaiismus (e quadam capitalismt ut aiunt form) entstanden seien. Der Randtitel „Der liberale Kapitalismus“ in der deutschen Übersetzung bringt um nicht deutlich genug zum Bewußtsein, daß hier das im 19. Jahrhundert mir Kochblüte gelangte Regime des laisser-faire-Llberaiis-mus (die Enzyklika „Quadragesimo anno“ nannte ei ausdrücklich „Manchester-Liberalismus“) gemeint ist, das bei uns in der Praxis mehr und mehr durch einen „sozial temperier ten Kapitalismus“ abgelöst und in der Theorie durch den heute auch schon nicht mehr ganz modernen Neoliberalismus überholt ist. Die Enzyklika prangert den grobschlächtigen Pälaoliberalismus an; der aUS so vielen, namentlich romanischen Ländern ertönende wütende Aufschrei beweist, daß er dort noch fortbesteht und sieh getroffen fühlt.

Daß die Verstellung der Enzyklika von den das Wirtschaftsleben beherrschenden Gesetzlichkeiten den in Frankreich und wohl auch bei der EWG=KommiSsion in Brüssel herr sehenden Vorstellungen näher steht als den in der BRD umgehenden neoliberalen Vorstellungen, ist unverkennbar. Ihre Aussage über den Wettbewerb stimmt jedoch vollkommen überein, nicht nur mit dem, was bereits 1831 in „Quadragesimo anno“ über seinen Nutzeh, aber aueh seihe Grenzen gesagt ist, sondern insbesondere auch mit den Erkenntnissen, dte den entscheidenden Fortschritt des Neoliberalismus über den Pälaoliberalismus ausmachen. Wer dagegen aufschreit, beweist damit wirk-lich nur seine Rückständigkeit. Vergessen Wir nicht; die Enzyklika rieh tet awar ihren Appell an die fortgeschrittenen Länder, hält dabei aber Ihren Blick ständig gerichtet auf die unterentwickelten, also zurückgebliebenen Länder. Dort herrseht weitgehend noch der ungezügelte Liberalkäpitalismus, der bei uns nur noch in einigen wenigen Presseorganen sein Unwesen treibt, in der Praxis aber überwunden ist.

Mehr Sinn hat es schon, auf die liberalen Reklamationen zu den Ausführungen der Enzyklika üher die Sigentumsfmge einzugehen! Um zu prüfen, ob Paul Vi. speziell zu dieser Erste etwas Neues der gar Unerhörtes sagt, empfiehlt es sieh, die Aussagen der bisherigen Sozialenzykliken von „Rerum novarum“ (1891) über „Quadragesimo anno“ (1931) bis „Mater et magistra“ (1981) sowie des Zweiten Vatikanischen Konzils zusammenzustellen und mit dem au vergleichen, was die neue Enzyklika sagt.

Die aus der individualistischen Denkwelte des 19. Jahrhunderts entsprungene Überbetonung der Individuellen Seite der Institution des Eigentums, bei der ihre soziale Seite zu kurz kam, hat, darüber kann heute kein Zweifel mehr bestehen, auch auf die Lehre der katholischen Moraltheologen und selbst auf ein päpstliches Dokument wie „Rerum novarum“ abgefärbt. Wenn allerdings behauptet wird, Leo Xiu. habe In seiner Enzyklika von der Helligkeit des Eigentums gesprochen oder gar „das Eigentum heilig gesprochen“, so ist das ein fundamentaler Irrtum; diese Formel hat Leo XIII. den französischen Jakobinern nicht nachgebetet I In Wirklichkeit sagt er, das Recht sei heilig zu halten, das helßti aus Gewissenhaftigkeit zu beobachten, und scheut sieh nicht, das ausdrücklich auch auf das Eigentumsrecht anzuwenden. Hat jemand zu Recht etwas als Eigentum erworben, so ist das zu respektieren; damit ist nichts darüber ausgesagt, ob die heute bestehende Eigentums-vertellung ab auf rechtmäßige Welse entstanden und daher als au Recht bestehend anzuerkennen sei. -■ Noch mehr: nach Leos XIII. ausdrücklicher Lehre hat Gott „der menschlichen Geschicklichkeit uhd den staatlichen Einrichtungen die Umsehreibung des sandereigentüms anheimgegeben“ (Tz. 7). Leider spielt auch hier wieder eine falsche Übersetzung, die trotz ungezählter Richtigstellungen such heute noch im Brustton der Überzeugung angeführt wird, eine Rolle; der Staat dürfe das Eigentum nicht abschaffen (so weit richtig), sondern nur seinen Gebrauch regeln (zum Beispiel ein Kraftfahrzeug führen nur mit Führerschein, Waffen tragen nur mit Waffenschein usw.). Nach Leo XIII. und nochmals Pius XL hat der Staat vielmehr die rechtliche Ordnung des Eigentum so auszugestalten, daß sie unter den jeweiligen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bedingungen ihre Funktion erfüllt. Und Was ist das für eine Funktion? Zu gewährleisten, daß die vom Schöpfer zum Nutzen aller bestimmten Erdengüter wirklich diese Ihre Zweckbestimmung erfüllen.

Ein beklagenswertes Opfer an den Zeitgeist ist es allerdings, wenn „Rerum novarum“ meint, diese Zweckbestimmung werde im Grunde genommen aueh bei der (damals) bestehenden Eigentumsordnung und Eigentumsverteilung erreicht, aueh zugunsten dessen, der als von Produktionsmitteleigentum entblößter Proletarier an fremden Produktionsmitteln auf ehrliche Weise seinen Lebensunterhalt verdiene — so wünschenswert es aueh wäre und so sehr man sieh daher bemühen sollte, daß er Eigentümer eines Stückchens Boden werde.

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