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Wirren der Malerei

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Es ist eine allgemein geläufige Vorstellung geworden, daß die Kunst ein Spiegelbild der Seele des Menschen ist. Das ist ein schöner Vergleich; er ist voll der Wahrheit, aber wie allen treffenden Erkenntnissen geschah es auch ihr. Sie wurde zwar nicht zu leicht befunden, wohl aber zu leichtfertig gebraucht. Um ihres Klanges willen wiederholte man sie oft als angenehme Redewendung, vergaß aber immer mehr dabei, daß jede menschliche Weisheit nicht nur einer großen seelischen Kraft i'nd eines Ernstes bedurfte, um zu entstehen, sondern daß es auch immer wieder neu einer leidenschaftlichen Hingabe bedarf, soll ihre Erwähnung eine Lebendigkeit der Empfindung erwecken. Dies sei eine grundlegende Feststellung bei dem Vorhaben, über moderne Malerei zu schreiben. Zunächst, weil diese in der Eigenwilligkeit und der Unsicherheit ihrer Wege nie ein besseres Bild ihrer Zeit bot und dann, weil auch der Versuch unternommen werden soll, dem Wesen der vorhandenen Tatsachen nahezukommen und sie zu klären.

Da ist der Begriff „moderne Malerei“. Landläufig versteht man alles darunter, was in den letzten Jahrzehnten und heute in einer Malweise geschaffen wurde, die sich von der heute noch bestehenden Malweise früherer Generationen unterscheidet. Das ist aber nur eine Bezeichnung landläufiger Art. In einem ernsteren Sinne kann man als modern nur das ansehen, was den Ausdruck einer lebendigen Seele widerspiegelt. Dies allein ist und bleibt ständig modern, wie eben wahre Kunst zeitlos ist. Das Kleid, die äußere Form des Dargestellten, aber ist freilich einem ständigen Wechsel unterworfen, der dazu ver-•leitet, das Wort „unmodern“ für vergangene Kunstrichtungen zu gebrauchen.

Im Wesen jeder jungen und lebendigen Malerei liegt es, daß sie sich geistig und äußerlich weiterentwickelt, wie sich auch jeder Augenblick vom verflossenem unterscheidet. So setzt sich das künstlerische Leben in Form von ständig sich aus dem Alten neu entwickelnden Erscheinungen fort und es liegt darin das Natürliche.

Wenn hier nur von Wirren in der modernen Malerei gesprochen wird, geschieht es somit nicht, weil sich die heutige Kunst in selbstverständlicher Weise in geistiger Auffassung und äußerer Wiedergabe von ihren Vorläufern wegentwickelte, sondern weil in der Entwicklung der europäischen Geistigkeit in den letzten Jahrzehnten ein außergewöhnlich starker Bruch mit dem Überlieferten eintrat und die Malerei als getreuer Spiegel dieser Vorgänge dieselbe rasche Änderung aufweist und dadurch bedrohliche Wirren entstanden.

Es liegt eine tiefe Gesetzmäßigkeit darin, daß die ersten Versuche der Malerei, wesentlich neue Wege zu gehen, in eine Zeit fallen, da Europa nach den Erschütterungen der Französischen Revolution begann, sich ein neugeartetes Weltbild zu schaffen. Noch wirkte in Spanien einer der bedeutendsten Expressionisten der alten Malerei, Goya — der mit Greco und Grünewald zusammen vielleicht überhaupt den Gipfelpunkt des europäischen Expressionismus darstellt —, als in Frankreich eine Entwicklung anhub, die hundert Jahre später eine neue, ganz eigenartige expressionistische Malweise schuf. Dieser Weg führte anfangs nicht allzu rasch von der alten europäischen Tradition hinweg. Um die Jahrhundertwende aber, als sich die europäische Geistigkeit in ihren revolutionären Kräften schon längst vom Christentum weg zu einer sogenannten freisinnigen Weltanschauung mit christlichen Uberresten entwickelt hatte, um diese Zeit traten die ersten Erscheinungen einer sehr bemerkbaren Revolution auch auf dem Gebiete der Malerei ein. Der moderne Expressionismus entstand und in rascher Folge nach ihm alle jene verwandten Kunstrichtungen, die wir als „Ismen“ bezeichnen. Nun liegt der Grund für die Wirrnis in der Malerei weniger in der Tatsache des so raschen Auftretens neuer Kunstrichtungen ils vielmehr in deren Unbeständigkeit, die ihnen den Stempel des Suchens und Nichtfindens aufdrückt.

Hier drängt sich nun die Frage auf, warum wohl die Jugend Europas, die Gestalterin der Zukunft, in so zunehmendem Maße von den Resten der alten Malweise wegdrängt. Wohl deshalb, weil sie in den Trägern dieser Malform kaum mehr Gestalter neuer Ideen sieht, sondern hauptsächlich an das Festhalten alter Formen ohne lebendigen Inhalt stößt. So entgleitet diesem Naturalismus — um jene verschiedenen Malweisen konservativer Art unter einem Namen zu nennen — die Jugend, und er verliert immer mehr die Möglichkeit, ein Fundament für die Zukunft zu bilden. Auch verbietet eine eherne Gesetzmäßigkeit, daß die Beherrschung aus Mangel an schöpferischer Ge-. staltungskraft allein an deren Stelle gesetzt wird, und sie läßt dieses Können, weil es sinnlos wurde, versiegen. Es liegt darin dieselbe Unerbittlichkeit der Natur, die den Werken jener moderner Maler, die Tatenlosigkeit bewußt hinter Formlosigkeit verbergen, den Stempel der Willkür und des Unvermögens viel mehr aufdrückt, als den eines ernsten Suchens nach neuen Wegen. Nicht dit Schwäche einer dieser Richtungen allein, sondern die beider Bewegungen verstärkt und verdichtet jenen chaotischen Zustand in der Malerei, den wir als das getreue Spiegelbild unserer Zeit ansehen können.

Einen Weg, der aus diesem Chaos herausführt, haben wir ohne Zweifel noch nicht gefunden, denn dazu bedurfte es auch einer gefestigten Weltanschauung. Sicher ist nur, daß jene Kräfte, die heute in bewußter Ablehnung alter Wege neue suchen, erst wieder zur Natur zurückfinden müssen, um sich neue Gesetze zu schafen, die jene heutige Unsicherheit und Willkür überwinden werden. Es sind ja bloß die Genies, die sich selbst Gesetz genug sind. Für die Menge der kleineren Geister aber müssen gültige Formen geschaffen werden, wie sich jedes Volk, jede Kultur der Erde solche gebildet hat. Mag die Malerei der Zukunft mit der vergangenen nur eine geringe Ähnlichkeit haben, das Wesen der Gesetzmäßigkeit wird sie mit ihr gemeinsam haben müssen.

So wie der Mangel an lebendiger Gestaltungskraft zu Erstarrung und Absterben führt, so die Auflösung der Materie aus Mangel an ihrer Beherrschung, das heißt aus Mangel an Können, zum Chaos und zum Ende einer Kultur. Nur das Überwinden beider Gefahren kann uns neue Wege eröffnen.

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