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Wunder ...

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Man kann nicht elektrisches Licht und Radioapparat benutzen, in Krankheitsfällen moderne medizinische und klinische Mittel in Anspruch nehmen und gleichzeitig an die Geister- und Wunderwelt des Neuen Testaments glauben.” Mit dieser Äußerung schockte der protestantische Theologe Rudolf Bultmann 1933 eine ganze Generation von Gläubigen. Heute wird diese Aussage kaum mehr als skandalös empfunden. Dafür gibt es Gründe.

Während die biblischen Wundergeschichten früher als pure Tatsachenberichte gelesen wurden, hat es sich mittlerweile auch unter dem Kirchenvolk herumgesprochen, was die Bibelkundigen an den kirchlichen Fakultäten längst lehren, nämlich daß diese Erzählungen nicht historische Fakten im Reinbestand wiedergeben, sondern theologisch eingefärbt sind. Daß viele den Heiligen zugeschriebe ne Wundertaten bloß auf dem Pergament oder Papier ihrer Riographen stattfanden, gehört inzwischen ebeft-falls zum Allgemeinwissen.

Daneben gibt es immer noch genügend Wunderberichte, die historisch so gut belegt sind, daß überhaupt kein Anlaß besteht zu zweifeln. Weniger bekannt ist freilich die Tatsache, daß solche Uberlieferungen nicht nur im Christentum, sondern auch in vielen anderen Religionen eine wichtige Rolle spielen und daß man in der Regel auch dort unterscheidet zwischen beschaulichen Legenden und historischen Ereignissen. Was die letzteren betrifft, muß freilich offenbleiben, ob dabei mittels eines göttlichen Eingriffs irgendwelche natürliche Gesetzmäßigkeiten zeitweilig außer Kraft gesetzt wurden. Um diesen

Nachweis zu erbringen, müßten wir ja sämtliche Naturgesetze kennen. Auf die diesbezügliche Problematik hat schon ein Augustinus verwiesen, welcher im Wunder ein Ereignis sieht, das „unter Übergehung der uns bekannten Ursachen von Gott her geschieht”. Seitdem hat die stets fortschreitende Welterkenntnis auch bei gläubigen Menschen längst zu der Einsicht geführt, daß Gott seine Schöpfungsgesetze mehr achtet, als man sich das zu Zeiten einer mythischen orientierten Weltsicht vorstellte. Für den Glauben ist diese naturwissenschaftliche Problematik ziemlich unwichtig, und zwar aus mindestens drei Gründen.

Zunächst ist daran zu erinnern, daß manche sehr bedeutende Heilige es überhaupt nicht für nötig fanden, sich durch Wunderzeichen zu legitimieren: Augustinus und Hieronymus, aber auch Basileios, Gregorios von Na-zianz, oder Gregorios von Nyssa ...

Zweitens beweisen Wunder gar nichts, weil außerordentliche Phänomene bekanntlich für viele - und sei es für parapsychologische - Deutungen offen sind. Nur die Glaubenden können in ihnen eine Tat Gottes erkennen. Dem ist hinzuzufügen, daß eine wissenschaftliche Deutung Gott keineswegs verdrängt. Der Glaube an den Schöpfergott beinhaltet die Gewißheit, daß er die ganze Welt in seinen Händen trägt und nicht erst da in Erscheinung tritt, wo (noch?) Unerklärliches sich ereignet. Diese Grundwahrheit des christlichen Schöpfungsglaubens läßt sich natürlich genau so wenig beweisen wie die Existenz Gottes selbst. Aber es gibt eine ganze Menge guter Gründe, welche für sie sprechen. Der wichtigste davon scheint mir, daß unzählige Menschen seit Abrahams Zeiten sich auf ihre Gotteserfahrungen berufen und erzählen, daß sie sich von diesem Gott gehalten und geführt wissen.

Implizit ist damit bereits der dritte Grund benannt, warum dem Wunder (verstanden als außerordentliches Ereignis), innerhalb des christlichen Glaubens keineswegs eine herausragende Stellung zukommt. Gottes Liebe manifestiert sich in der Regel nicht spektakulär, sondern in der banalen Gewöhnlichkeit des Alltags. Gottes Fingerabdrücke lassen sich überall erkennen; aber es braucht dazu das Vergrößerungsglas des Glaubens. Ein solcher Glaube kann durchaus Kräfte frei- oder einen Heilungsprozeß in Gang setzen. Wer von psychosomatischen Krankheiten redet, müßte auch mit der Möglichkeit von psychogenen Heilungen rechnen. Dabei kann man unbefangen auch dann von einem wirklichen Wunder sprechen, wenn sich das Ursache- Wirkungs-Prinzip völlig transparent darstellt.

Denn nach biblischem Verständnis ereignet sich ein Wunder nicht nur da, wo Außerordentliches geschieht, sondern jedesmal, wenn ein Mensch Gottes Wirken als solches erkennt. Wiederum ist es Augustinus, der diesen Gedanken entfaltet: „Denn ein größeres Wunder ist die Leitung der ganzen Welt als die Sättigung von fünftausend Menschen mit fünf Rro-ten, und doch staunt darüber niemand; dagegen staunen die Menschen über das letztere, nicht weil es größer, sondern weil es selten ist.” Dagegen erinnern uns zahlreiche Stellen aus der Heiligen Schrift daran, daß Menschen in allen nur denkbaren Situationen Gottes Größe rühmen und seine Macht preisen, weil sie sein ganzes Wirken als wunderbar erfahren. Der Psalmist drückt sich kurz und bündig aus: „Groß sind die Werke des Herrn” (Ps 111,2).

Daß auch der heutige Mensch zu solchen Erfahrungen von religiöser Sinndichte fähig ist, soll ein einfaches Beispiel verdeutlichen. Da sind zwei Menschen, die einander lieben und nun restlos glücklich sind. Möglicherweise haben sie sich durch einen geradezu unwahrscheinlichen Zufall kennengelernt. Das Mädchen mußte vielleicht an einem bestimmten Tag an einen bestimmten Ort reisen, hat aber den Zug verpaßt, weil es verschlafen hat, und dann den nächsten genommen. Und ist dabei zufällig in jenes Abteil geraten, in welchem dieser nette junge Mann saß. Der mußte zufällig die gleiche Strecke fahren und ist - welch ein Zufall schon wieder! -aufgrund bestimmter Umstände einen Tag früher gereist als vorgesehen. Und während dieser Rahnfahrt also haben die beiden einander kennengelernt und sind jetzt glücklich.

Sich zufällig kennengelernt? Genaugenommen nicht, denn jeder sogenannte Zufall hat eine Ursache. Wenn jemand morgens verschläft, gibt es dafür Gründe, Übermüdung vielleicht, oder man hat - wiederum aufgrund gewisser Umstände - vergessen, den Wecker zu stellen. Und wenn ein Mann eine Reise einen Tag früher antritt als ursprünglich vorgesehen, so hat auch das präzise Ursachen. Daß sich die beiden Menschen in jenem Zugabteil kennengelernt haben, ist, nüchtern betrachtet, das

Ergebnis einer komplizierten Kette von Ursachen und Wirkungen. Das bezeichnen wir in unserer Umgangssprache als Zufall. Oder als Schicksal. Aber wem sollen die beiden nun danken für ihr Glück?

Der englische Schriftsteller Gilbert Keith Chesterton hat einmal gesagt, der schlimmste Augenblick im lieben eines Atheisten sei wohl, wenn dieser das Gefühl habe, jemandem danken zu müssen - und er wisse nicht wem.

Die Gläubigen wissen, wem sie in einem solchen Fall danken dürfen. Sie sind davon überzeugt, daß Gott alles in seinen Händen hat und demzufolge auch da wirkt, wo eine innerlich unbeteiligte Person lediglich natürliche Gesetzmäßigkeiten wahrnimmt. Eben deshalb dürfen die beiden Menschen sagen: Gott, wie froh und wie dankbar sind wir, daß du damals so gefügt hast. Unser Glaube hängt nicht ab von spektakulären Wundern. Gottes Handschrift ist oft nicht leicht zu lesen, aber sie läßt sich überall entziffern, auch im ganz gewöhnlichen Alltag. Und immer steht da der gleiche Satz geschrieben: Gott liebt uns.

Gott liebt uns. Das ist doch das eigentliche und einzige Wunder. Und alles, was wir erleben, sei das nun leicht erklärbar oder überhaupt nicht durchschaubar, ist doch nur die Folge dieses einen Wunders von Gottes liebe. Die Rose im Garten und der Wein auf dem Tisch, die Freundschaft, die wir erfahren und das Vertrauen, das man uns schenkt, die Farben der Schmetterling und das Lachen der Kinder ... ist das nicht alles wunderbar?

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