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Zum Pressegesetzentwurf 1954

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Seit längerer Zeit, man kann sogar sagen seit Jahren, bewegt weite Kreise unsere Pressegesetzgebung und selbstverständlich auch die wissenschaftliche Publizistik. Gesetzgebung im Bereiche der Presse ist mit der Vorstellung einer Freiheitsberaubung oder zumindest Freiheitseinschränkung verbunden, die in der Bezeichnung „Zensur“ zum Ausdruck kommt. Die Ordnung im Pressewesen hängt nicht nur unzertrennlich mit der Ordnung im Staate zusammen, ja sie ist die Voraussetzung für letztere. Daher hat der leider so früh verstorbene Justizminister Dr. Gero, der auch für die Wünsche der wissenschaftlichen Presse ein offenes Ohr hatte, sich um die Schaffung einer zeitgemäßen Pressegesetzgebung bemüht und einen Referentenentwurf seines Ministeriums vorgelegt, der Ende 1954 in der Wiener Juristischen Gesellschaft von den Vertretern der verschiedensten Interessengruppen diskutiert wurde.

Wenn sich zuletzt auch die wissenschaftliche Presse nur kurz zum Worte meldet, so darf daraus keineswegs der Schluß eines geringen Interesses gezogen werden, sondern waren äußere Umstände, so der weitgehende Unterschied in der redaktionellen Führung wie auch die relative Seltenheit von Presseprozessen wissenschaftlicher Druckschriften, dafür maßgebend.

Um die Bedeutung pressegesetzlicher Bestimmungen für die wissenschaftliche Publizistik zu illustrieren, sei auf die Gründungsgeschichte der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften um die Mitte des vergangenen Jahrhunderts, in der die Zensurfrage eine wichtige Rolle spielte, verwiesen.

Nachdem schon seit vielen Jahren wissenschaftliche Gesellschaften bestanden hatten, wie die Royal Society in London oder die Academie des Sciences in Paris, war Leibniz nach vielen Bemühungen die Gründung der Brandenburgischen Societät der Wissenschaften in Berlin geglückt (1700). Aber alle Bemühungen Leibniz', auch in Wien eine Akademie zu gründen, schlugen trotz einer Reise nach Wien und der Gewinnung zahlreicher Gönner, darunter auch des Prinzen Eugen, fehl. Von gleich negativem Erfolg waren nach dem Tode Leibniz' aufgenommene Bestrebungen unter der Regierung Maria Theresias und Josephs IL, wobei teils finanzielle, teils aber auch politische Gründe, wie die Zensur, eine Rolle spielten. Auch Andreas Freiherr von Stift, der Leibarzt und Berater Kaiser Franz', war, im Gegensatz zu anderen berühmten Aerzten, ein Gegner des Akademiegedankens. Wenn Metternich selbst eine gewisse Geneigtheit zeigte, fürchtete er doch auch die mit einer solchen Institution verbundene „Denk-und Schreibfreiheit“, somit eine Einschränkung der Zensur.

Nach dem Tode Kaiser Franz' kam der Gedanke der Akademie immer wieder zur Sprache, besonders bei Zusammenkünften im Hause Professor Josef Franz Jacquins und Hammer-Purgstalls, der die Grundzüge einer Akademie vortrug und 1837 eine Denkschrift an den Kaiser Ferdinand überreichte. Der Fortschritt ließ sich auch auf allen Gebieten des geistigen Lebens nicht mehr aufhalten, und damit war auch das Erstarken des Schrifttums verbunden, das zwangsläufig mit einem wachsenden Widerstand gegen die Zensur verbunden war. Die von den Vertretern der Wissenschaft und Literatur auf diesem Gebiet verlangten Aenderungen wurden in einer neuerlichen, dem Kaiser überreichten Denkschrift vom 11. März 1945, „Die gegenwärtigen Zustände der Zensur in Oesterreich“, zusammengefaßt. Fragt man sich, welche die Gründe der wiederholten Verzögerung bei der irrichtung der Akademie waren, welche Richard Meister in seinem Monumentalwerk kritisch erwog, so sind dafür wohl letzten Endes das Mißtrauen gegen das Vordringen freiheitlicher Strömungen und die Befürchtung der Notwendigkeit einer Lockerung anzuführen. Gerade wegen dieser Zensurvorschriften konnte — obwohl die kaiserliche Genehmigung zur Gründung der Akademie bereits im Februar 1846 gegeben worden war — erst im Mai 1847 durch die Veröffentlichung des Gründungspatentes und der vierzig vom Monarchen ernannten Mitglieder der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften die Gründung vollzogen werden.

Auch bei der Erstellung der Geschäftsordnung wurde neuerlich die Frage der Zensur erörtert und vom ersten Präsidenten, Hammer-Purgstall, darauf hingewiesen, daß auch die russischen Universitäten ihre eigene Zensur für ihre Publikationen hätten. Selbst Metternich „gestand das. Erfordernis, daß auch die Akademie nicht der Zensur unterstehe, zu“.

Trotz der über viele Jahre sich erstreckenden Verhandlungen und trotz der Genehmigung der Akademie durch den Kaiser kam es bei der ersten feierlichen Sitzung am 2. Februar 1848 wieder wegen der Zensur zu Differenzen. Anlaß gab der Satz in der Rede des Präsidenten Hammer-Purgstalls, „die Akademie setzt der Freiheit ihrer Erörterung in Rede und Schrift keine andere Schranke als die ihrer Selbstzensur“.

Da der Polizeipräsident, Graf Sedlnitzky, erst am Sitzungstag von diesem Satz Kenntnis bekam, erhielt er die Zustimmung Metternichs zu seinem Verbot so spät, daß der Ueberbringer der Zensurierung erst nach Beendigung der Rede bei der Feierlichkeit eintraf. Daraufhin gab Graf Sedlnitzky den Auftrag, diese Stelle der Rede in die „Wiener Zeitung“ nicht aufzunehmen. Die energische Vorstellung Hammer-Purgstalls gegenüber Erzherzog Johann als Kurator der Akademie des Inhaltes, daß er sowohl als Präsident als auch als Akademiker unter diesen Umständen ausscheiden müsse, brachte die noch immer nicht erledigte Zusage der Selbstzensur durch die Akademie wieder ins Rollen. Um mit der Herausgabe der Sitzungsberichte bis zur erzherzoglichen Erledigung nicht zuwarten zu müssen, wurde von dem erzherzoglichen Protektor vorläufig dahin entschieden, die Rede ohne Streichung der beanstandeten Stelle abzudrucken.

Wenn doch nach so manchem Hin und Her am 13. März 1848 durch kaiserliche Entschließung die Frage zugunsten der Akademie entschieden wurde, so ist dies gewiß ein Verdienst des erzherzoglichen Kurators. Die Selbstzensur für alle von der Akademie selbst zu bezeichnenden Veröffentlichungen unter den bestehenden Zensurnormen wurde allerdings zu einem Zeitpunkt genehmigt, in dem sie wenige Stunden später durch die Ereignisse überholt war. Der von der Akademie vor und auch nach ihrer Gründung geführte Kampf war gewonnen, der ja nur ein Ziel verfolgte — wie Meister schreibt —, „die Freiheit der Forschung“.

Aus dieser Reminiszenz aus der Geschichte der Zensur ist ersichtlich, welche Bedeutung der Gesetzgebung gerade auf dem Gebiet der wissenschaftlichen Presse zukommt und mit welchen Schäden sie für- die Allgemeinheit verbunden sein kann. Die Bemühungen wissenschaftlicher Kreise, gezeigt an den unentwegten Bestrebungen der Akademie, verdienen aber auch heute noch, da wieder die Pressegesetzgebung durch den Pressegesetzentwurf 1954 zur Diskussion steht, gewürdigt und in der Frage der wissenschaftlichen Zensur respektiert zu werden.

So werden im 3, „Geltungsbereich“ de Referentenentwurfes (Pressegesetz 1954), die von der Pressegesetzgebung ausgenommenen Druckschriften aufgezählt. In der Reihe dieser sogenannten „exemten“. d. h. nicht „impressumpflichtigen Druckwerke“ finden sich auch die von der Akademie der Wissenschaften edierten Publikationen. Damit sind alte, berechtigte Wünsche und die führende Stellung der Akademie wieder anerkannt. Bei der Beratung eines neuen, zeitgemäßen Pressegesetzes taucht im Zusammenhang mit den jahrelangen Bemühungen der Akademie die Frage auf, ob nicht durch die Beseitigung der Zensurvorschriften der Kreis der exemten Druckschriften eine Erweiterung erfahren könnte. Da in der Einschränkung einer solchen Ausnahmestellung im Referentenentwurf nur auf amtliche Druckwerke der genannten Körperschaften ein Hindernis für eine Erweiterung gelegen sein könnte, wäre zu entscheiden, inwiefern den Publikationen der Akademie die Bezeichnung „amtlich“ zukommt. Allerdings trägt für die periodischen Druckschriften die Akademie, da die Redaktion in der Hand der Sekretäre der Klassen bzw. des Generalsekretärs gelegen ist, die Verantwortung. Auf Grund dieser Umstände und dem der Akademie zukommenden höchsten wissenschaftlichen Rang, weniger auf Grund eines amtlichen Charakters, ist wohl die Aufnahme in die exemten Druckschriften erfolgt.

Aehnliche, wenn auch nicht die gleichen Verhältnisse, finden sich aber auch bei anderen wissenschaftlichen periodischen Druckschriften, die zum Teil sogar als Organ einer amtlichen Stelle oder eines führenden wissenschaftlichen Vereines erscheinen. Außerdem darf nicht übersehen werden, daß große und bedeutsame Fortschritte, gerade in den letzten Dezennien, auch außerhalb des Kreises der Akademie, gerade auf medizinischem Gebiet erzielt wurden. Die Anerkennung dieser Tatsachen ist vor wenigen Jahren auch von Seiten der Akademie durch einen Antrag des Präsidenten Meister im 3 des Akademiegesetzes zum Ausdruck gekommen. Durch ihn wurde die seinerzeitige Einschränkung der Mitgliedschaft nur für theoretische Mediziner aufgehoben und damit auch Vertretern praktischer Fächer der Heilkunde ein breiterer Zutritt zur Akademie eröffnet.

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