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Zur Situation im deutschen Katholizismus

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Di .österreichische Furche gibt im folgenden einer bemerkenswerten deutschen Stimme zur inneren Lag des deutschen Katholizismus Gehör, ohne sich mit dieser zu identifizieren. Der hier angeschnittene Problemkreis ist so groß, komplex und umfassend, daß ihn ein Gesichtspunkt allein gewiß nicht ersdiöpfend darstellen kann. Als Anregung zu eigener Urteilsbildung und neuer Fragestellung soll die scharfakzentuierte Stellungnahme eines Mannes dienen, der als Publizist und politischer Beobachter die Wege des deutschen Katholizismus in den schicksalsschweren letzten Jahrzehnten begleitet hat,

Das katholische Geistesleben der Weimarer Republik fand vornehmlich in folgenden drei .Richtungen“ seinen Ausdruck: Görresgesellschaft, Akademikerverband und Quickborn. Die Görresgesellschaft umfaßte mehr die schon arrivierten Fachwissenschaftler, war doch ihr Hauptgebiet die einzelwissenschaftliche Forschung. Der Akademikerverband dagegen vereinigte den philosophischen und publizistischen Nachwuchs, dem es weniger um die spezialisierte Forschung als um einen „ganzheitlichen“ katholischen Wissenschaftsbegriff ging. Dem Quickborn endlich (und anderen „jugendbewegten“ Kreisen) ging es vor allem um die Überwindung des .bürgerlichen Christentums“ durch ein typisch deutsches Gemisch aus liturgischer Bewegung, Romantik und Moderne. Nicht zu Unrecht nannte Theodor Haecker den jugendbewegten katholischen Physiker und — damals noch dem Fortschrittsoptimismus huldigenden — Kulturphilosophen Friedrich Dessauer einen „Romantiker der Technik“, wie man auch die jugendbewegten Soziologen Ernst Michel und Walter Dirks nicht treffender denn als „Romantiker des Sozialismus“ bezeichnen konnte. Neben diesen „Richtungen“ des geistigen deutschen Katholizismus gab es allerdings noch bedeutende freie geistige Kräfte: Theodor Haecker beispielsweise und Joseph Bernhart.

über Wert und Unwert dieser „Richtungen“ läßt sich streiten. Die Görresgesellschaft war gewiß nicht so liberal und so sehr der absoluten Eigengesetzlichkeit der einzelnen Disziplinen verfallen, wie es der Akademikerverband ihr zuzeiten glaubte vorwerfen zu müssen; gerade ihr gehörten die namhaftesten Thomisten an. Und die „ganzheitliche“ Wissenschaftsauffassung des Akademikerverbandes war gewiß nicht frei von Elementen der antipersonalisti-schen sogenannten Ganzheitslehre Othmar Spanns. Der Akademikerverband beging zudem den Fehler, sich später vor den autoritären Wagen Papens spannen zu lassen. Es sei hier nur an gewisse Tagungen mit Spann und Papen in Maria-Laach erinnert. Der „Quickborn“ wiederum fand zwar in den Märztagen 1933 manchenorts überraschend schnell den Weg vom religiösen zum „nationalen“ Sozialismus — es sei hier nur an gewisse Artikel der „Rhein-Mainischen Volkszeitung“ erinnert —, verstand es aber, als liturgische Erneuerungsbewegung selbst im „Dritten Reich“ in die Breite zu wirken.

Görresgesellschaft und Akademikerverband sind wiedergegriindet worden, doch stellen sie heute nicht mehr zwei verschiedene geistige „Richtungen“ dar. Der Streit um den katholischen Wissenschaftsbegriff ist verebbt, Akademikerverband und Görresgesellschaft stehen heute auf dem realistischen Boden gegenstandsgerechter Pflege der Wissenschaft, also einer Pflege der einzelnen Disziplinen sowohl im Sinne ihrer relativen Eigengesetzlichkeit wie auch im Sinne ihrer Finalität. Traditionsgemäß ist die Görresgesellschaft mehr der Forschung gewidmet, indes der Akademikerverband sich mehr die weltanschauliche Formung der Akademiker angelegen sein läßt.

Die Jugendbewegten scharen sich heute zum Teil um die „Frankfurter Hefte“, eine von Eugen Kogon und Walter Dirks herausgegebene Zeitschrift, die — wie früher das „Hochland“ — zwischen Christentum und moderner Kultur zu vermitteln sucht und der es vor allem um eine Begegnung von Christentum und Sozialismus geht. Solch „zeitnahes Christentum“ birgt natürlich die Gefahr in sich, manche Zeitströmung wichtiger zu nehmen als sie ist. Schon Carl Muth ist es unterlaufen, in seiner Anpassung des Christentums an die „Höhe der Zeit“ den Verherrlicher preußischer Geschichtsauffassung, Martin Spahn, zum richtungweisenden Historiker seiner Zeitschrift zu machen, um — nach dem Zusammenbruch des Hohenzollernreich.es — wieder den früher etwas abschätzig behandelten föderalistischen Auffassungen von Julius Ficker und Constantin Frantz zuzuneigen.

Die „Frankfurter Hefte“ allein vertreten heute jenen „christlichen Sozialismus“, der im immer konservativer werdenden katholischen Raum somit wenig Anklang findet.

Inzwischen formt ein „realistischer Konservativismus“ (Erzbischof Rauch) weitgehend das Profil des von F. A. Kramer neubegründeten „Rheinischen Merkur“, einer der bedeutendsten katholisch-publizistischen Neuschöpfungen der Nachkriegszeit. Freilich wird das im allgemeinen konstruktiv-konservative Bild dieses Blattes noch sehr gestört durch seinen vorwiegend neoliberalen Wirtschaftskurs. Es gehört zur besonderen Tragik des deutschen Sozialkatholizismus, heute teils im Sozialismus („Frankfurter Hefte“), teils im Neoliberalismus („Rheinischer Merkur“) die soziale Lösung zu sehen, dagegen aber den „dritten Weg“ berufsständischer Wirtschaftsordnung (der hauptsächlich von Paul Jostock gefordert wird) nicht beschreiten zu wollen.

Im übrigen: die deutschen Katholiken sind heute politisch bei weitem nicht mehr so interessiert wie noch in der Weimarer Republik. Die Kirchen sind zwar überfüllt, aber das Interesse am Katholizismus als einer auch das geistige und p o 1 i tische LebenformendenMacht hat bedeutend nachgelassen. Schuld daran Ist vor allem die auf der liberalen Lehre von der absoluten Eigengesetzlichkeit der einzelnen Kultursachgebiete ruhende Losung vom „rein religiösen Katholizismus“.

Schon 1946 schrieb mir ein katholischer Verleger: „Ich habe kürzlich für meine Zeitung einen Redakteur gesucht. Wenn ich auch nicht einen politischen Redakteur suchte, sondern einen literarischen, so habe ich dennoch die Bewerber nach ihren politischen Auffassungen gefragt und ihre historisch-politischen Kenntnisse geprüft. Das Ergebnis war deprimierend. Von mehr als zwanzig katholischen Akademikern, die sich um die Stelle bewarben, wäre auch nicht einer für den Posten eines politischen Hilfsredakteurs in Betracht gekommen.. So gering waren bei hoher theologischer und literarischer Bildung ihre politischen Kenntnisse. Fünf dieser Bewerber kannten den Namen Mallinckrodt nicht einmal, hielten ihn für einen Ordensstifter. Nur zwei wußten, was Föderalismus ist. Die meisten spradien das Wort Fö derälismüs als F ö r de-ralfcmus aus. 18 Bewerber machten mir den Vorschlag, eine Literaturbeilage einzuführen, aber nicht einer hatte auch nur die geringste Anregung für den politischen Teil, obwohl dieser bei uns nicht nur die Tagespolitik, sondern auch die Staatsphilosophie umfaßt.“

Auf der gleichen Linie liegt auch die Tatsache, daß ein großer katholischer Verband, ah dessen Bildungskursen über Liturgie, Literatur, Laienspiel usw. stets viele junge Katholiken teilnehmen, einen politischen Bildungskurs mit namhaftesten Referenten veranstaltete, zu dem sich aus ganz Deutschland nur Teilnehmer meldeten. Es gilt heute auch nicht mehr als Bildungslücke, wenn ein junger katholischer Akademiker nicht weiß (was früher jeder katholische Volksschüler wußte), wer Windthorst gewesen ist. In den Schulen des Dritten Reichs hat er es nicht gelernt, und die CDU muß es — ihres interkonfessionellen Charakters wegen — vermeiden, sich in ihren Versammlungen und Kursen auf die Tradition des politischen Katholizismus zu berufen. Lediglich in den Versammlungen der Bayernpartei ist viel von Mallinckrodt, Windthorst, Jörg und Ketteier die Rede —: allerdings, nicht weil sie Katholiken, sondern weil sie Föderalisten waren.

Aber nicht nur die alten Führer des politischen Katholizismus, sondern auch die alten katholischen Historiker sind der katholischen akademischen Jugend nicht mehr geläufig. Wer nennt heute noch einen Hurter, Gfrörer, Klopp oder Weiß, einen Hergenröther, Janssen, Michael oder Denifle? Passen sie doch in die sogenannten „Una-Sancta“-Bestre-bungen nicht hineinl Die akademische Jugend kennt auch nicht mehr die alten katholischen Soziologen Vogelsang, Ratzinger, Schindler, Hitze, Brauer oder Schmittmann. Denn es lassen sich deren solidaristisch-berufsständische Auffassungen weder mit dem Neosozialismus der Linkskatholiken noch mit dem Neoliberalismus der Rechtskalholiken vereinbaren.

So wächst heute hier der junge katholische Intellektuelle ohne Verhältnis zur Tradition der katholischen Bewegung heran. Diese Diskontinuität mag natürlich gewisse Vorteile haben, ihre Nachteile indes sind größer. Man denke hier nur an das Absterben der katholischen Presse in Deutschland, die gewiß nicht nur das Ergebnis freimaurerischer und alliierter Pressepoiitik,' sondern wohl auch dieser „Diskontinuität“ gewisser katholischer Publizisten und Verleger ist, die nicht mehr ins „Ghetto“ rein katholischer Zeitungen zurückkehren, sondern sich an „Generalanzeigern“ beteiligen wollen. Indes: die Gefahren einseitiger Diskontinuität könnten auch in Deutschland gebannt werden, wenn eine genügend starke Richtung den von .Erzbischof Dr. Rauch gewiesenen Weg des „Realistischen Konservativismus“ beschritte.

„Das augustinische und scholastische conservare ordinem naturalem“, schreibt Erzbischof Rauch, „bedeutet nicht einfach, alles Bestehende und jede konkrete Lebensform konservieren, sondern nur soweit sie den aus der Wesensordnung der Dinge sich ergebenden Idealen und Forderungen entsprechen. Gerade die Bindung an die Wesensordnung der Dinge,, die den Menschen konservativen Sinn im Tiefsten gibt, macht seinen Geist auch stark für das Streben, geschichtlich gewordene Ver-. hältnisse umzugestalten und zu reformieren, wo sie zum Wesen der Dinge In Widerspruch stehen. Das Auge des Metaphysikers, das tief in das Wesen der Dinge geschaut, müßte gerade das empfindlichste Organ werden für alle vom Ideal abweichenden tatsächlichen Entwicklungen, und die Liebe zur Harmonie des menschlichen Handelns mit dem Wesen der Dinge muß Kräfte freimachen, der tatsächlichen Entwicklung entgegenzutreten, wo sie Lebensformen gebiert, die nicht mehr der Ausdruck des inneren Seins der Dinge sind. Versäumnisse dieser Art rächen sich oft langsam, aber tief und sicher. Gerade der Meta-physiker darf nicht vom augenblicklichen und sichtbaren Erfolg her sein Urteil

über Tun und Lassen fällen. Er muß mit tieferer Erkenntnis als unbestechlicher Prophet in seinem Volke stehen, muß mit feinerer Methode, als der Blick auf den äußeren Erfolg oder der Anschluß an die allgemeine öffentliche Meinung sie bieten können, den Wert des individuellen Tuns und der geschichtlichen Entwicklung prüfen. Was er als das Wesen der Dinge erschaut, muß er als Weg seinem Volke zeigen, muß es lehren, die Wahrheit zu tun, in der Überzeugung, daß nur so auch dauernder Erfolg winken kann, nur im Anschluß an den gottgeschaffenen ordo naturalis.

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