Piraten kapern Staaten

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Die klassischen Piraten hatten ihre Schatzinseln, ihre modernen Nachfolger brauchen sichere Rückzugsgebiete. Bevorzugt werden Horte der Unsicherheit für den Rest der Bevölkerung.

Wenn der Riesentanker "Sirius Star" vergangene Woche vor der somalischen Küste weitergefahren wäre, hätten die Piraten keine Chance gehabt, das Schiff zu kapern. Davon ist Nicholas Teo überzeugt. Ein Tanker verdränge soviel Wasser, dass es einem kleinen Boot nie gelingen würde, sich ihm zu nähern. Und die Tanker seien mehrfach gepanzert, Schüsse könnten ihnen nichts anhaben.

Teo war früher Marineoffizier; heute ist er stellvertretender Direktor von "Recaap" in Singapur, einer internationalen Regierungsorganisation, bei der 14 asiatische Staaten mitmachen. Recaap ist es seit 2004 gelungen, die Straße von Malakka, die wichtigste Schiffspassage im Welthandel, vom größten Piratennest der Welt in einen relativ ruhigen Schifffahrtsraum umzuwandeln.

Teo unterscheidet im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung zwischen Piraten und Räubern: "Der Pirat steht zum bewaffneten Räuber wie der Mörder zum Taschendieb", sagt er, und "die somalischen Piraten sind echte Piraten, die südostasiatischen dagegen vorwiegend Räuber". Neunzig Prozent der Vorfälle in der Straße von Malakka haben derzeit nichts mit Piraterie zu tun, sondern mit kleinen Räubereien, sagt Teo, wo mit Messern bewaffnete Räuber größere und kleinere Habseligkeiten von Motoren bis Keksdosen mitgehen lassen.

Das Geheimrezept für die neue Sicherheit in südostasiatischen Gewässern hört auf den Code "Himmelsauge". Unter diesem Begriff suchen Satelliten die Meere und Küsten nach den Aktivitäten gefährlicher Banden ab. Hinzu kommen moderne Abhör- und Überwachungstechnologien. Am wichtigsten ist aber laut Teo, das Bewusstsein für die Gefahr auf den Schiffen zu schärfen. Recaap informiert die Schifffahrtsgesellschaften über heikle Routen. Die "International Maritime Organization" der UNO möchte dieses asiatische Sicherheitsmodell jetzt auch an der Ostküste Afrikas etablieren. Gegen eine afrikanische Adaption und eine Schwesterorganisation von Recaap spricht aber, dass das asiatische Modell auf dem Willen vieler starker Staaten fußt - in Somalia jedoch fehlen sowohl Wille als auch Stärke.

USA und UNO haben sich davongeschlichen

Somalia ist noch weniger als ein schwacher Staat. Somalia ist der Archetypus eines "gescheiterten" oder "kollabierten" Staates. Laut Ulrich Schneckener von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (siehe Interview Seite 22) ist Somalia sogar der Anlassfall für die politische und wissenschaftliche Beschäftigung mit "failed states". Wobei ein gescheiterter Staat laut Schneckener nicht einfach mit Anarchie gleichzusetzen ist. In Somalia wie in anderen gescheiterten, fragilen oder schwachen Staaten haben sich verschiedene Formen lokaler Herrschaft gebildet, die in der Fachliteratur als "governance without government", also "Herrschaft ohne Regierung" beschrieben wird.

1991 wurde die sozialistische Militärdiktatur von Mohammed Siad Barre in Somalia gestürzt, nachdem diesem mit dem Ende des Kalten Kriegs die Unterstützung der Sowjetunion abhandengekommen war. Das Land schlitterte in eine Katastrophe mit hunderttausenden zivilen Opfern. 1992 kommt eine Blauhelmtruppe nach Somalia. Nachdem aber 18 US-Soldaten getötet werden, ziehen sich die Amerikaner zurück; die UNO verlässt daraufhin 1995 Somalia und überlässt das Land im Staatszerfall sich selbst.

Wobei es richtiger ist, das "Somalia-Schlamassel" auf die Region rund um die Hauptstadt Mogadischu zu begrenzen. In anderen Landesteilen konnte sich die Sicherheits- und Versorgungslage teilweise gut bis sehr gut stabilisieren, sodass im Fall der nördlichen Provinz Somaliland sogar immer wieder die Loslösung vom Gesamtstaat und die Eigenstaatlichkeit diskutiert wird.

Seit den Anschlägen am 11. September 2001 gilt Somalia zudem als Rückzugsgebiet für Dschihadisten und als sicherer Hafen für El-Kaida-Kämpfer. Somalia-Kenner Georg-Sebastian Holzer widerspricht in der Österreichischen Militärzeitung vom April dieses Jahres dieser Sichtweise. Auch für ihn ist die deutliche Zunahme islamischer Aktivitäten in Somalia seit dem Staatskollaps und dem Beginn des bis heute anhaltenden Bürgerkriegs in den frühen 1990er Jahren ein nicht zu leugnendes Faktum. Anders als andere Kommentatoren ist diese Islamisierung für ihn aber nicht gleichzusetzen mit Extremismus und Terrorismus. Sie ist, so Holzer, "vielmehr eine Reaktion auf die Herausforderungen, denen sich die somalische Gesellschaft in einem durch Gewalt, Unsicherheit und oftmals auch Chaos geprägten Umfeld ausgesetzt sieht".

Islamische Gruppen haben in diesem unsicheren Kontext eine stabilisierende Rolle. Die Beispiele der vergangenen Jahre zeigen laut Holzer, dass die Mehrheit der Somalis aber auch unter widrigsten Umständen radikale islamische Positionen ablehnt. Sogar Osama bin Laden kam zu dem Schluss, dass Somalia zu unsicher für ihn sei, als er 1996 im sudanesischen Khartum einen neuen Aufenthaltsort gesucht hat.

Wie aufgesplittert diese Front ist, beweist auch die Tatsache, dass somalische Kämpfer islamistischen Hintergrunds die Piraten zur Freigabe der "Sirius Star" aufgefordert und ihnen mit einem Angriff gedroht haben. Piraterie sei im Islam ein großes Verbrechen, lautet ihre Begründung. "Wenn die Piraten Frieden wollen, lassen sie den Tanker besser frei", sagte Scheich Ahmed, ein Sprecher der Schebab-Rebellen in der Region.

Doch die Piraten wollen keinen Frieden, wenn sie etwas wollen, dann Ruhe und so wenig Störungen bei ihren Raubzügen wie möglich. Im Unterschied zu den islamistischen Rebellen und den anderen Fraktionen in Somalia wollen sie auch nicht das ganze Land. Sie sind mit den von ihnen gekaperten Regionen zufrieden, ihnen genügen die politischen schwarzen Löcher, von denen aus sie operieren können, in denen sie Zuflucht und Schutz vor Verfolgung und vor allem auch sichere Orte für ihr High-Life finden.

Schwach weil arm, arm weil schwach …

"Der Staat ist schwach, weil er arm ist; er ist aber auch arm, weil er schwach ist", fasst der deutsche Experte für Entwicklungspolitik Franz Nuscheler den Teufelskreis fragiler Staaten zusammen. Schwache und arme Staaten werden aber auch schwach und arm gehalten, um die Macht und den Reichtum verschiedener nationaler und internationaler Nutznießer zu garantieren. Mit mehr Patrouillenfahrten der internationalen Staatengemeinschaft und besser bewaffneten Tankerbesatzungen wird deswegen dem Piratenproblem nicht beizukommen sein. Die Piraten gehören ihrer Rückzugsorte beraubt - das gilt in Somalia genauso wie bei afghanischen Opium-Warlords oder bei der kosovarischen Organhandel-Mafia.

Dazu gehört aber vor allem, dass kein Land von den anderen abgeschrieben und für tot erklärt werden darf. So wie der somalische Schriftsteller Nuruddin Farah einmal seinem Bruder geantwortet hat, als ihm dieser sagte, Somalia sei als "tot und begraben" anzusehen. Farah erwiderte: "Ich werde es weiterhin wiederbeleben. Offensichtlich können Länder wie auch Menschen in ein Koma fallen. Aber wenn ein Mensch, den man liebt, monate- oder jahrelang im Koma liegt, was dann? Vergisst man ihn? Wenn meine Liebste ins Koma fällt, sehe ich nicht weg. Ich sitze neben ihr, ich halte ihre Hand und spreche mit ihr. Das versuche ich auch mit Somalia. Ich erzähle der Welt Geschichten von Somalia und ich erzähle Somalia Geschichten von der Welt."

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