Polens verborgen blühende Hoffnungen

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20 Milliarden Euro hat Polen in die Vorbereitungen für die Fußball-Europameisterschaft investiert. Nicht alles davon wurde für den Bau von Stadien verwendet. Die Infrastruktur wurde kräftig ausgebaut. Im Hintergrund steht der Wunsch der polnischen Regierung, das Land nicht nur EURO-fit sondern auch Euro-währungstauglich zu machen. Ein Porträt.

Warschau. In Polen kursiert vor der Europameisterschaft ein alter Witz. "Für unsere Mannschaft gibt es bei großen Turnieren genau drei Spiele: das Auftaktmatch, ein Spiel um alles oder nichts und ein Spiel um die Ehre.“ Die Pointe kündet vom notorisch frühen Aus der Weiß-Roten in der Gruppenphase. Seit mehr als einem Vierteljahrhundert geht das nun schon so, seit Grzegorz Lato und Zbigniew Boniek Polen 1974 und 1982 zu dritten WM-Plätzen führten.

Die Nationalelf als Kanonenfutter: Das zehrt nicht nur am sportlichen Selbstbewusstsein. Doch ausgerechnet vor der Heim-EM wächst eine leise Hoffnung. Mit den drei deutschen Meistern Robert Lewandowski, Jakub Blaszczykowski und Lukasz Piszczek von Borussia Dortmund sowie Top-Torhüter Wojciech Szczesny von Arsenal London hat Polen endlich wieder Spieler von europäischer Spitzenklasse. "Unsere Legionäre helfen uns sehr“, sagt Lato. Mit seinen 62 Jahren ist der einst weltbeste Rechtsaußen heute Präsident des polnischen Fußball-Verbandes und prophezeit: "Als Gastgeber haben wir gute Chancen, das Viertelfinale zu erreichen. Danach ist alles möglich.“

Griechische Zustände

Fußball ist in Polen mit Abstand Nationalsport Nummer eins. Für Lato ist die Entwicklung der Mannschaft deshalb eng mit der Welt außerhalb der Stadien verbunden. "Im Kommunismus hatten wir Fußball-Internate für die Jugend und Schulungszentren für die Trainer. Das ist mit dem Niedergang der Volksrepublik zerstört worden“, sagt er. Erst kurz vor dem Beitritt zur EU 2004 habe eine Gegenbewegung eingesetzt, aber: "Es ist noch ein langer Weg, bis Polen wieder das Niveau der 70er-Jahre erreichen kann.“

Lato spricht vom Fußball. Doch auch wirtschaftlich ging es in Polen nach der politischen Wende von 1989 weiter bergab. Die marode Industrie war nicht konkurrenzfähig. Viele Werke mussten schließen. "Polen war damals in einer viel schlimmeren Verfassung als Griechenland heute“, sagt Leszek Balcerowicz, jener Mann, der dem Land im Herzen Europas zu Beginn der 90er-Jahre als Finanzminister eine Rosskur verordnete. Für die Menschen brachen harte Zeiten an. Die Zahl der Arbeitslosen stieg unaufhörlich - auf mehr als 20 Prozent zur Jahrtausendwende. Wer einen Job hatte, verdiente auf deutschem Sozialhilfeniveau.

"Wir mussten da durch“, sagt Balcerowicz und verweist auf die Erfolge, die danach kamen. Seit dem EU-Beitritt hat sich die Arbeitslosigkeit halbiert. Umgerechnet 1000 Euro haben die Menschen heute durchschnittlich in der Lohntüte.

Am Rande des Zusammenbruchs

Als die Weltwirtschaft 2009 am Rande des Zusammenbruchs taumelte, stellte sich Polens Regierungschef Donald Tusk vor einer Europakarte auf. Sein Land war als grüne Insel inmitten eines alarmrot leuchtenden Krisenkontinents eingezeichnet. Polens Wirtschaft wuchs. "Wir sind nicht zu erschüttern“, lautete Tusks Botschaft. Die Nachricht vom Wunder an der Weichsel machte die Runde.

Zu diesem Zeitpunkt war längst klar, dass Polen 2012 die EM ausrichten würde. Der Staat schob Investitionen von 20 Milliarden Euro an. Dafür sollten nicht nur neue Stadien entstehen. Das Geld floss vor allem in den Ausbau des Straßen- und Schienennetzes. Die Modernisierung von Flughäfen und Bahnhöfen begann. Nicht alles gelang. Dennoch ist Polens großer Sprung nach vorn nicht zu übersehen.

Mit diesen Erfolgen im Rücken liebäugelt die Regierung in Warschau nach Jahren des Zögerns nun auch mit einem schnellen Beitritt zur Euro-Zone - möglichst schon 2015, spätestens aber 2016. "Wenn wir wirtschaftlich und vor allem politisch in Europa in der ersten Liga mitspielen wollen, dann müssen wir der Währungsunion beitreten“, sagt Ministerpräsident Tusk. Um dies zu erreichen, hat er dem Land weitere Strukturreformen verordnet, die manchen an einen zweiten Balcerwoicz-Plan erinnern. Soeben hat das Parlament die Rente mit 67 Jahren beschlossen. Steuererleichterungen sollen drastisch zusammengestrichen werden.

Dennoch: "Polen hat sich in den vergangenen Jahren unglaublich zum Positiven hin verändert“, schwärmt Fußball-Präsident Lato. Das gilt auch für den Sport. Die Ekstraklasa, Polens erste Liga, erlebt einen Boom. Seit 2011 sponsert der deutsche Mobilfunkanbieter T-Mobile die Liga. Innerhalb von zwei Jahren verdoppelte sich die Zahl der Zuschauer auf 9000 Fans pro Spiel. In der Bundesliga sind es zwar fünfmal so viele. Doch das ist vorerst nicht Polens Maßstab. Die neuen Stadien in den EM-Städten Breslau, Danzig, Posen und Warschau, aber auch in Krakau und bei Rekordmeister Ruch Chorzow in Schlesien sollen ihre Anziehungskraft mittelfristig entfalten.

Die Modernisierung der Arenen beschleunigt auch den Wandel der Fankultur.

Vor allem Familien strömen in die Stadien. "Unsere Frauen können die Euro nicht erwarten“, titelte kürzlich die Zeitung "Gazeta Wyborcza“. Der Hooligankrieg des vergangenen Jahres könnte demnach der Schlusspunkt einer Entwicklung gewesen sein.

Martialische Schlachten

Im Mai 2011 hatten sich Ultras von Lech Posen und Legia Warschau beim Pokalfinale in Bydgoszcz eine martialische Schlacht geliefert. Die Regierung verschärfte daraufhin die Gesetze radikal. Stadionverbote werden mittlerweile durch Fußfesseln überwacht.

Verbandspräsident Lato ist sich sicher: "Wer im Juni als Gast zu uns kommt, der braucht sich keine Sorgen um die Sicherheit zu machen. Die Euro wird ein Fußballfest.“ Wenn alles optimal läuft, könnten Lewandowski, Piczczek und Co. sogar für ein Sommermärchen nach dem Vorbild der WM 2006 in Deutschland sorgen. Oder für ein Wunder, wie es die Deutschen 1954 bei der Weltmeisterschaft in der Schweiz vollbrachten, als sie keine zehn Jahre nach Kriegsende zum Titel stürmten. In der Bundesrepublik begann damals fast zeitgleich das Wirtschaftswunder. Polen ist schon weiter.

Der Autor ist Ukraine- und Polen-Korrespondent beim Nachrichtennetzwerk n-ost

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