Politisch ein Leichtgewicht

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Seit 1992 besteht in der EU der Ausschuss der Regionen - hat aber kaum Einfluss. Das Europa der Regionen bleibt mehr Wunsch als Wirklichkeit.

Europas Reichtum ist seine Vielfalt", hört man in Sonntagsreden von Politikern aller Couleur hin und wieder. Dann wird die Vielfalt in Einheit, die Vielzahl der Sprachen, Mentalitäten, Bräuche, Kulturen und so weiter beschworen. Mancherorts - in Bayern mit Vorliebe - ist von einem "Europa der Regionen" die Rede. Die europapolitische Lebenswirklichkeit sieht jedoch etwas anders aus: Die Regionen mögen ihre je unterschiedliche historische Bedeutung haben, doch ihr aktuelles politisches Gewicht hängt ganz und gar von den jeweiligen Nationalstaaten - nicht vom vereinten Europa - ab.

Ausschuss ohne Einfluss

Das bedeutet keineswegs, dass die Europäische Union die Regionen nicht zur Kenntnis nehmen möchte. Immerhin ist ihre jüngste, 1992 mit dem Vertrag von Maastricht gegründete Institution der "Ausschuss der Regionen". Doch alles an diesem Gremium zeigt das Dilemma der Regionen in Europa: Die Bestellung der 222 Mitglieder erfolgt durch die EU-Mitgliedstaaten statt durch die Regionen direkt; manche Mitglieder vertreten echte Regionen, andere Städte und Gemeinden; die Liste der Themen ist breit, doch der politische Einfluss ist denkbar gering.

Die in Fraktionen eingeteilten, oft vom Heimatland mit allerlei Aufträgen befrachteten Mitglieder des Ausschusses der Regionen dürfen sich mit Fragen der Wirtschaft, der Sozialpolitik, der Infrastruktur, der Energie, der Umwelt oder des Verkehrs befassen und Stellungnahmen beschließen - folgen jedoch müssen die Gesetzgeber der Union, also das EU-Parlament und der Ministerrat, diesen Empfehlungen nicht. Allenfalls kann man darauf hoffen, dass die Abgeordneten des Parlaments sich ihrer regionalen Herkunft erinnern und deren Interessen berücksichtigen. Doch in wenig föderalistischen Staaten, in denen die Kandidatenlisten durch die Parteichefs oder -vorstände zentralistisch erstellt werden, ist auch dies eher unwahrscheinlich.

Die Europäische Union hat auch eine "Regionalpolitik", doch geht es hier nicht darum, die Regionen politisch aufzuwerten, sondern sie finanziell zu fördern. Ziel der EU-Regionalpolitik ist es, die gravierenden regionalen Gefälle bei Wohlstand, Einkommen und Chancen auszugleichen. Mit Fonds für regionale Entwicklung oder Soziales, mit Sonderabteilungen in den Bereichen Landwirtschaft und Fischerei, mit Initiativen wie "Leader+" (zur Entwicklung des ländlichen Raums) oder "Interreg III" (für die grenzübergreifende interregionale Zusammenarbeit) fördert die EU die geografisch und strukturell benachteiligten Regionen wirtschaftlich, und indirekt auch in ihrem Selbstbewusstsein.

Kooperation gefördert

Insbesondere die Förderung der regionalen und zugleich grenzüberschreitenden Zusammenarbeit trägt dazu bei, dass die geografische Wirklichkeit sich über die künstlich gezogenen nationalstaatlichen Grenzen hinwegzusetzen beginnt: Wo könnte dies deutlicher werden als an der Europaregion "Tirol-Südtirol-Trentino", wo man auf eine gemeinsame Geschichte, Kultur und Lebensart zurückgreifen kann? Ohne gegen Rom beziehungsweise Wien gerichtet zu sein, haben Innsbruck, Bozen, Trient längst eine vielschichtige und enge Zusammenarbeit entwickelt, die anderen Großregionen Vorbild sein kann.

Die EU-Kommission genehmigte in diesem Kontext ein "Interreg III-A"-Programm, das die Grenzgebiete der Provinzen Friaul, Venetien, Südtirol, Nord- und Osttirol, Kärnten und Salzburg umfasst, und von dem 2,4 Millionen Menschen direkt betroffen sind.

Regionen - älter als Staaten

Warum sollte Vergleichbares nicht im Ostseeraum möglich sein, an den - abgesehen von Königsberg (Kaliningrad) und einem russischen Zipfel - ab 1. Mai nur mehr EU-Mitglieder angrenzen, oder im mitteleuropäischen Großraum, der Wien, Bratislava, Brno und Györ umfasst? Dies alles ändert aber nichts daran, dass die Regionen in Europa ihre mehr oder weniger zufriedenstellende Lage der jeweiligen nationalen Verfassungsordnung verdanken.

In dem meisten EU-Mitgliedstaaten existieren geschichtlich gewachsene Regionen, die meist älter sind als die heutigen Nationalstaaten und mitunter den Menschen auch heute mehr an Heimat und Identität vermitteln als die Staaten: In Deutschland etwa Bayern und Sachsen, in Frankreich Lothringen oder Burgund, in Italien Sizilien oder Kalabrien, in Großbritannien Wales und Schottland, in Spanien León, Navarra und Aragonien. Dabei geht es nicht nur um ein territoriales oder strukturelles Phänomen, denn Bretone, Bayer, Baske, Korse, Katalane, Tiroler oder Waliser zu sein, ist eine Frage der Identität. Dieser jedoch wird in der nationalstaatlichen Verfassungswirklichkeit höchst unterschiedlich Rechnung getragen.

So bekennt sich etwa die italienische Verfassung ganz nach französischem Vorbild zur "einen und unteilbaren Republik", während sie andererseits erläutert, der Staat sei "in Regionen, Provinzen und Gemeinden unterteilt". Noch im Jahr 1995 ging die italienische Regierung unter Berufung auf ein faschistisches Gesetz strafrechtlich gegen die Handelskammern von Bozen und Trient vor, weil diese gemeinsam mit dem österreichischen Bundesland Tirol ein Vertretungsbüro in Brüssel errichten wollten. Der damalige Sicherheitsbericht des italienischen Innenministeriums sah darin den Versuch, eine "Europaregion Tirol" zu gründen und damit die Einheit Italiens zu verletzen.

Kurskorrektur in Rom

Tatsächlich hatte die Kooperation keine separatistischen Hintergedanken: Sie lag lediglich nahe, weil man bei den Themen des ökologischen Gleichgewichts im alpinen Raum, der Berglandwirtschaft, der alpenquerenden Verkehrsverbindungen ähnliche Interessen hatte. Letztlich drehten auch die nationalen Kräfte in Rom bei, und im Dezember 2000 unterzeichnete Italien sogar das Zusatzprotokoll der "Madrider Konvention" des Europarates über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit von Regionen, Provinzen und Gemeinden.

In Spanien mit seinen uralten Königreichen vollzog sich nach der zentralstaatlichen Ära, die von der Verfassung von Cádiz 1812 bis zu Francos Tod währte, eine stufenweise Regionalisierung des Landes. Die Verfassung von 1978 bekennt sich zum "Recht auf Selbstverwaltung der Nationalitäten und Regionen". In Frankreich dagegen scheiterte selbst General Charles de Gaulle 1969 an Plänen zur Aufwertung der Regionen. Auch die 1982 von Präsident Francois Mitterrand eingeleitete Dezentralisierung brachte keinen Abschied von der "république une et indivisible". Mehrfach entzündete sich der politische und juristische Streit an der Frage, ob die Rechte des korsischen Regionalrates die Unteilbarkeit der Republik verletzten.

Aufgeweichte Grenzen

Die Beispiele geschichtlich bedingter europäischer Verschiedenheit in der Behandlung der Regionen ließen sich beliebig fortsetzen. Länder föderalistischer Tradition - wie Belgien, Österreich und Deutschland - stehen nicht nur traditionell zentralstaatlichen Modellen gegenüber, sondern auch wechselnden oder gebrochenen Traditionen. Die Europäische Union, die andere Politikbereiche "harmonisierte", hat zu keiner Angleichung der Stellung der Regionen geführt. Der im europäischen Verfassungsrecht (mit dem Vertrag von Maastricht) verankerte Begriff der Subsidiarität schützt die Mitgliedstaaten sogar vor derartigen Eingriffen Brüssels.

Lichtblicke gibt es zweifellos trotzdem, denn der hochgeschwindige Souveränitäts-Transfer von der nationalen auf die europäische Ebene hat auch die nationalstaatliche Ideologie geschwächt. Die Einführung des Euro, das Schengen-System und die EU-Förderungen für grenzüberschreitende Zusammenarbeit haben den Grenzen innerhalb der EU weitgehend den trennenden Charakter genommen. Keine ausreichende, aber doch eine reale Basis für die Regionen, auf ihre Identität zu verweisen und neue Rechte zu erobern.

Der Autor ist freier Journalist.

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