Politische Sprengkraft

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Mit "Die Eroberung von Mexico" sorgten die Salzburger Festspiele für einen umjubelten Auftakt. Sven-Eric Bechtolf versetzt "Figaro" in das England der 1920er Jahre.

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Mit "Die Eroberung von Mexico" sorgten die Salzburger Festspiele für einen umjubelten Auftakt. Sven-Eric Bechtolf versetzt "Figaro" in das England der 1920er Jahre.

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Weil Luc Bondy die Regie für Wolfgang Rihms "Die Eroberung von Mexico" zurücklegte, kam Peter Konwitschny zu seinem späten Salzburg-Debüt. Dass er dafür rundum gefeiert wurde, war nicht unbedingt zu erwarten. Denn der für seine überlegten wie unkonventionellen Provokationen bekannte Regisseur geht auch bei seiner ersten Arbeit für Salzburg keine Kompromisse ein.

Parabel über Geschlechterkampf

Vom Titel dieses seinerzeit im Auftrag der Hamburgischen Staatsoper entstandenen vierteiligen Musiktheaters darf man sich nicht täuschen lassen. Der Kampf des Aztekenkönigs Montezuma und des spanischen Eroberers Cortez dient nur als Folie für zwei Lebensphilosophien, hinter der sich das unterschiedliche Herangehen an Situationen durch verschiedene Geschlechter verbirgt. Entsprechend hat Rihm die Rolle des Montezuma einer Frau anvertraut - so wird dieses Sujet auch zu einer Parabel über den Geschlechterkampf. Von diesem Ansatz geht Konwitschny bei seiner von Kapitalismuskritik geprägten Deutung aus, wenn er dieses auf surrealen Texten von Antonin Artaud und einem Gedicht von Octavio Paz basierende Stück als Kammerspiel realisiert. In einem weiß ausgelegten, im IKEA-Stil eingerichteten Zimmer, das insofern den Stücktitel reflektiert, als es mit einem mexikanischen Teppich, einer Flasche Tequila im Regal und Frida Kahlos Bild "Der verwundete Hirsch" ausgestattet ist. Dass dieses Ambiente auf einem Autofriedhof platziert ist, gewissermaßen einer Schutthalde der Zivilisation, betont die gesellschaftspolitische Sprengkraft dieses Sujets.

Anstelle friedlicher Kommunikation, wie es Montezuma mit der gemeinsamen Lektüre eines Buches anregt, fällt Cortez in eroberischer Absicht über sie her. In der Folge geißelt Konwitschny den Voyeurismus, lässt die Gesellschaft zu einer oberflächlichen, von Statussymbolen geblendeten Party verkommen. Sie zeigt sich von den Möglichkeiten des virtuellen Zeitalters so geblendet, dass bald Technik alles Menschliche dominiert. Montezuma gebärt nicht Kinder, sondern Laptops, Tablets, Smartphones. Alle ergötzen sich an War-Games. Montezuma wird zu einer Puppe. Cortez weiß mit ihr nichts anderes anzufangen, als ihr die Glieder auszureißen, begeht schließlich Selbstmord. Dicht das Schlussbild, in dem sich der sterbende Cortez mit der wieder als Mensch auftretenden Montezuma auf jener weißen Bank findet, von der dieses rätselhafte Spiel um Macht und Ohnmacht, Brutalität, Sinnlichkeit und Verstand seinen Ausgang genommen hat.

Glänzend die musikalische Realisierung mit dem Uraufführungsdirigenten Ingo Metzmacher als virtuosem Koordinator am Pult des bravourös aufspielenden, effektvoll im Raum verteilten RSO Wien, das die gesamte Palette von Rihms Musik mit nie erlahmender Spannung darstellte. Dazu mit Angela Denoke (Montezuma) und Bo Skovhus (Cortez) die Vielfalt ihrer Situationen packend und unmittelbar suggerierende, exzellente Singschauspieler an der Spitze der übrigen brillanten Darsteller einschließlich des von der Regie prägnant geführten Bewegungschors.

Komödiantische Facetten

"Das Private ist das Politische", resümierte Rihm seine Mexiko-Oper. Eine Perspektive auch für Mozarts "Figaro", nicht aber für Sven-Eric Bechtolf, der mit dieser Produktion seine vor zwei Jahren begonnene Mozart-Da Ponte-Trilogie im Haus für Mozart beschloss. "Cosí" ließ er in einem Wintergarten spielen, "Don Giovanni" in einem Hotelambiente. "Le nozze di Figaro" deutet er aus der Umbruchzeit der 1920er Jahre.

Anstelle Rihms Idee aufzugreifen und die Perspektive auf die gesellschaftspolitische Sprengkraft des Stoffes zu legen, setzt er zu vordergründig auf die komödiantischen Facetten, deren ironischen Unterton er ausblendet. Darüber kann auch die von britischem Understatement geprägte Ausstattung nicht hinwegtäuschen. Basilio (Paul Schweinester) als homosexueller Musikmeister ist bestenfalls ein modischer Gag. Ansonsten schrammt die gefälligplatte Szenerie gefährlich an den Grenzen einer Seifenoper.

Eine glanzlose Gräfin (Anett Fritsch), eine fehlbesetzte Susanna (Martina Janková), ein um Kontur ringender Graf (Luca Pisaroni), ein nur wenig profilierter Figaro (Adam Plachetka), ein charmeloser Cherubino (Margarita Gritskova), eine altersweise Marcellina (Ann Murray) und ein um Spannung und feine Detailarbeit unterschiedlich überzeugend bemühter Dan Ettinger am Pult der ihm entsprechend folgenden Wiener Philharmoniker ließen auch musikalisch nur bedingt Freude aufkommen.

Die Eroberung von Mexico

Felsenreitschule, 1., 4., 10. August

Le nozze di Figaro

Haus für Mozart, 2., 5., 9. August

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