Politischer Denker, Künstler der Empörung

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In Salzburg wird noch bis Februar eine umfassende Schau gezeigt, die durch die Fokussierung auf zeithistorische Bezüge die Wandlung im druckgrafischen Werk Oskar Kokoschkas nachvollziehbar macht.

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In Salzburg wird noch bis Februar eine umfassende Schau gezeigt, die durch die Fokussierung auf zeithistorische Bezüge die Wandlung im druckgrafischen Werk Oskar Kokoschkas nachvollziehbar macht.

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In seinen jungen Jahren hat Oskar Kokoschka (1886-1980) noch keinen rechten Begriff davon, in welche Richtung er künstlerisch geh n soll. Der Zweiundzwanzigjährige veröffen tlicht für die Wiener Werkstätte die Mappe "Die träumenden Knaben", die einen zwiespältigen Eindruck hinterlässt. Die acht Farblithografien stehen dem Jugendstil nahe, der Text aber weist schon voraus auf den Expressionismus, für den das Werk Kokoschkas bald stehen sollte. Noch ist er kein Neuerer, sondern einer, der sehr gekonnt Erwartungen erfüllt. Gefällig wirken die bunt leuchtenden Szenen, in denen die Seelenverwirrungen eines jungen Mannes abgebildet sind, der sich in Liebeskalamitäten befindet. Text und Bild sind unabhängig voneinander zu sehen, als Illustrationen gehen die Bilder nur schwer durch, verselbstständigen sie sich doch zu sehr.

Wenige Jahre später greift er auf den Text "Die chinesische Mauer" von Karl Kraus zurück, und der Bann ist gebrochen. Jetzt hat er sich das Handwerk des Expressionisten angeeignet, der sich mit dem Dulden nicht abfinden will, sondern den Schmerz in die Welt hinausschreit. In den acht Kreidelithografien ist von Gefälligkeit keine Spur mehr vorhanden. Etwas brachial Hartes steckt in ihnen, nichts Gerundetes, Abgedämpftes findet sich, dafür scharfe Kanten, harte Schnitte, Gesichter schmerztrunken, abweisend, von herrischer Entschlossenheit. Immerhin geht es im neuen Zyklus um etwas, um den Mord an einer jungen Frau in Chinatown, New York, der mehr ist als eine Eifersuchtshandlung. Kraus leuchtet den gesellschaftlichen Hintergrund aus, in dem Rassismus und verkorkste Sexualvorstellungen eine Rolle spielen. Jetzt ist Kokoschka zu sich gekommen. Er ist der Künstler der Empörung, der politisch denkt und dafür eine Form findet, die mit der Harmonie aufräumt.

Verschobene neue Weltsicht

Das Museum der Moderne widmet dem druckgrafischen Werk Oskar Kokoschkas eine beachtliche Ausstellung, die deshalb als Schule des Sehens verstanden werden darf, weil in der chronologischen Aufarbeitung einerseits Zeitbezüge hergestellt werden und gleichzeitig die persönliche Wandlung des Künstlers nachvollziehbar ist. Der Erste Weltkrieg, den er wie so viele Künstler und Intellektuelle seiner Zeit mit großen Erwartungen begrüßt, wandelt ihn zum Pazifisten. Er zieht nach Dresden, pflegt Kontakte zur Avantgarde, arbeitet intensiv an einer individuellen Bildsprache, die die Verwerfungen seiner Zeit zur Anschauung bringt. Das Selbstbildnis von 1923 wirkt seltsam verschoben. Der Blick himmelwärts, der Ausdruck besorgt, das Gesicht beschädigt - die Wahrnehmungen von zwei Seiten sind ineinandergeschoben. Das ist kein ästhetisches Glasperlenspiel, die Zeit der Leichtigkeit und Zukunftsgewissheit ist vorbei. Das lässt sich auch an der Farblithografie "Das Prinzip" von 1919 ablesen, welches Marianne zeigt, die Symbolfigur der Französischen Republik, die in dunklem Blau dargestellt ist, auf dessen Hintergrund das Rot des aus ihrem Mund tropfenden Blutes umso deutlicher zu erkennen ist. Kokoschka reagiert so auf die Phase der Gewalt während der Novemberrevolution in Deutschland von 1918/19.

Nicht, dass Kokoschka Pathos vollkommen fern läge, oft genug nutzt er drastische Mittel, um seinem Anliegen nach einem gedeihlichen Umgang der Menschen untereinander Nachdruck zu verleihen. Ein Beispiel? Christus am Kreuz ist eines der wirkmächtigsten Motive der Kunstgeschichte. Wenn diese gepeinigte Figur von der Höhe des Marterinstruments eine Hand hungernden Kindern reicht, ist das im Jahr 1945 eine unmissverständliche Botschaft, dem Elend Unschuldiger ein Ende zu bereiten. Dass Kokoschka im Dritten Reich als entarteter Künstler gebrandmarkt wird und emigriert, lässt sich unschwer verstehen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg war Kokoschka zu einer unangreifbaren Größe und zu einem unnachgiebigen Verteidiger der gegenständlichen Kunst geworden. Jetzt, da die Abstrakten kommen, steht er selbst für Tradition und beschäftigt sich mit der Tradition der klassischen griechischen Kunst. Sie erhebt er zu seinem Ideal, weil er in ihr Werte der Humanität gebunden sieht. Er eignet sich das Alte an, um daraus etwas Eigenes zu machen. Eine unerwartete Veredelungskultur zieht in seine spätere Schaffensphase ein. Berechenbar ist einer wie Kokoschka nicht!

Oskar Kokoschka -Das druckgrafische Werk im Kontext seiner Zeit Museum der Moderne Salzburg (Mönchsberg) Di-So 10-18 Uhr, Mi 10-20 Uhr Bis 17. Feb. 2019, www.museumdermoderne.at

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