Popcorn, Plüsch und Petersburg

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Mit frischem Kulturprogramm präsentiert sich der frisch renovierte Thalhof in Reichenau an der Rax. Gezeigt wird unter anderem eine Dramatisierung von Fjodor Dostojewskis Roman "Der Idiot".

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Mit frischem Kulturprogramm präsentiert sich der frisch renovierte Thalhof in Reichenau an der Rax. Gezeigt wird unter anderem eine Dramatisierung von Fjodor Dostojewskis Roman "Der Idiot".

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In neuem Gewand präsentiert sich der Thalhof in Reichenau an der Rax. Das ehemalige Grand Hotel hat bis heute -auch durch seinen vermutlich berühmtesten Gast Arthur Schnitzler - eine besondere Anziehungskraft. Damit verbunden sind die zahlreichen Theaterproduktionen, die vor allem Helga David in den letzten knapp 20 Jahren (vgl. Interview in FURCHE 31/2013) initiierte und zumeist selbst inszenierte.

Nun wechselten die Besitzer, die das marode Haus behutsam renovieren ließen. Auch das Kulturprogramm wurde auf neue Beine gestellt: Regisseurin Anna Maria Krassnigg bespielt mit ihrem Team vom Salon5 den Thalhof. Flankiert werden die Aufführungen von "Salongesprächen": Über Themen der Stücke und Probleme unserer Zeit sprechen renommierte Autoren wie Paulus Hochgatterer, Konrad Paul Liessmann, die Literaturwissenschaftlerin und FURCHE-Autorin Evelyne Polt-Heinzl u. a. Das gewählte Motto "Jenseits von Gut und Böse"(nach Nietzsches gleichnamigem Werk) folgt hochmoralischen Fragen, dementsprechend feierte das Festival letzten Donnerstag die Premiere der Dramatisierung von Dostojewskis Roman "Der Idiot".

"Die Lektüre kommt einem wie heute Zeitunglesen vor: Bei Dostojewski ist halb Petersburg ins Chaos versetzt, es geht um das Gute und seinen Widerpart. Der Zerfall im Privaten und in Gesellschaften zeigt sich als Folie für die Gegenwart", so die Regisseurin, die bereits vor 13 Jahren den Roman dramatisierte und inszenierte.

Menschlich und ehrlich - ein Sonderling

2016 fokussiert die Bearbeitung die Auswirkungen des Kapitalismus auf die Gesellschaft. "Das Geld ist deshalb so hassenswert, weil es Talente macht", heißt es im Salon der Generalin Lisaweta, wo der aus der Schweiz zurückgekehrte Fürst Myschkin verkehrt. Nach mehrjähriger Behandlung seiner Epilepsie gilt er als gesundheitlich stabil, aufgrund seiner Isolation im Sanatorium ist er jedoch mit den Spielregeln einer nur am Geld orientierten Gesellschaft nicht vertraut. Er handelt auf irritierende Weise direkt, ehrlich und menschlich, sodass er als Sonderling, ja als "Idiot" gesehen wird.

Die Positionen des Guten und Bösen, die Dostojewski auf mehr als 1000 Seiten variiert, sind auf der Bühne und in zweieinhalb Stunden schwierig zu erzählen. Krassnigg löst einiges über die Symbolik der Farben: Der Salon der Generalin ist vollständig in weißes Fell gehüllt, Boden, Stühle, Kommoden, sogar die Kleiderbügel sind mit weißem Plüsch bezogen. In dieser vermeintlich guten, wohltätigen Gesellschaft herrscht ein gedämpfter Ton. Die Kräfte, die die Akteure antreiben, sind gleichsam in Watte gehüllt.

Die Damen, Lisaweta und Tochter Aglaia tragen Plüschpantoffel, knabbern an Popcornketten und servieren kunstvolle Marshmallow-Pyramiden. Nur mit viel Zuckerguss funktioniert ein derartiges Society-Leben.

Diesem stehen der düstere Rogoschin und die begehrte Nastassja Filippowna gegenüber. Die wunderschöne Femme fatale reizt hier durch vollständige Abwesenheit. Nastassja ist allein über Videoeinspielungen präsent. Eine Leinwand in schwarzem Rahmen bildet die Projektionsfläche für die Schlüsselszenen, Natassja, die Anständige, bleibt im Dunkel. Umso sichtbarer ist der Titelheld: Daniel F. Kamel überzeugt durch Zurückhaltung. Fein nuanciert klingt bei ihm die Empathie dieser Figur an. Dadurch verleiht er dem Fürsten eine Art natürliche Vornehmheit, ohne auch nur einen Moment naiv oder gar dümmlich zu wirken. Kamel zeigt einen wachsamen, vertrauenswürdigen Mann von geradezu kindlicher Offenheit, der einer anderen Logik als der seines Umfeldes folgt. Einer Logik, die sich nicht der Politik des Geldes unterwirft. Gerne folgt man ihm und dem starken Ensemble, das die Atmosphäre der Romanhandlung ins Heute holt.

Doch die Logik des Dramas folgt anderen Gesetzen als die der Prosa, und so fehlt manchen Entwicklungen der Zusammenhang. Isabella Wolf als Lisaweta tritt als Erzählerin immer wieder an die Rampe und aus der Handlung. Das Schlussbild -Myschkin und Rogoschin in enger Umarmung -liest sich als gelungenes Bild zu Nietzsches Diktum: "Was aus Liebe getan wird, geschieht immer jenseits von Gut und Böse".

Der Idiot

Salon5 am Thalhof

Reichenau/Rax

2., 3. und 4.9.

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