Chrostowski - © XLM Księgarnia

Waldemar Chrostowski: "Popstar" des katholischen Antisemitismus

19451960198020002020

Das Gespenst ist längst wieder da: Dass ausgerechnet in Polen ein Theologieprofessor den wertschätzenden Umgang des heiligen Papstes Johannes Paul II. mit den Juden leugnet, ist äußerst befremdlich. 2014 wurde Waldemar Chrostowski sogar mit dem Ratzinger-Preis geehrt.

19451960198020002020

Das Gespenst ist längst wieder da: Dass ausgerechnet in Polen ein Theologieprofessor den wertschätzenden Umgang des heiligen Papstes Johannes Paul II. mit den Juden leugnet, ist äußerst befremdlich. 2014 wurde Waldemar Chrostowski sogar mit dem Ratzinger-Preis geehrt.

Werbung
Werbung
Werbung

Wird der Antisemitismus auch im Kernbereich der katholischen Kirche wieder salonfähig? Zumindest Entwicklungen in der polnischen Kirche legen diese Frage nahe: Es ist unmöglich, über dieses Thema zu sprechen, ohne auf den polnischen Theologen Professor Pater Waldemar Chrostowski einzugehen.

Chrostowski, Jahrgang 1951, ist ein polnischer katholischer Priester, Bibelwissenschaftler, Berater des Rates des polnischen Episkopats für den Religiösen Dialog, und u. a. Professor an der Kardinal-Stefan-Wyszyński-Universität in Warschau. Er ist heute einer der wichtigsten kirchlichen Publizisten und Intellektuellen Polens mit einem riesigen Publikum. Neben seinen wissenschaftlichen Aktivitäten ist er regelmäßiger Kolumnist der rechtsgerichteten Plattform fronda.pl, der Zeitung Nasz Dziennik, und er nimmt oft an Sendungen von Radio Maryja und der TV-Station Trwam teil. Papst Benedikt XVI. berief ihn zur Bischofssynode zum Thema Bibel 2008 als Experten.

1979-1980 studierte Chrostowski an der Hebräischen Universität in Jerusalem. Er beeilt sich aber heute zu sagen, dass andere vielleicht von der jüdischen Kultur, von der israelischen Küche etc. begeistert sein mögen, er aber keine derartigen Vorlieben hege.

Nicht "unsere älteren Brüder"?

Als Krönung seiner bisherigen Laufbahn gewann Chrostowski 2014 den oft als "Nobelpreis für katholische Theologie" bezeichneten Joseph-Ratzinger-Preis; die Laudatio hielt der damalige Präfekt der Glaubenskongregation, Kardinal Gerhard Müller. Offizielle Begründung für die Preisverleihung waren Chrostowskis "Verdienste um den christlich-jüdischen Dialog".

Aber schon in den 1990er-Jahren war abzusehen, dass Chrostowski wesentliche, heute geltende Prämissen des christlich-jüdischen Dialogs nicht teilen wollte. Im Jahr 1991 war er noch einer der Gründer des "Polnischen Rates der Christen und Juden". Er trat von seiner Funktion 1998 zurück, vor allem im Hinblick auf die Kontroverse über die von katholisch-nationalistischen Polen errichteten Kreuze in Auschwitz. Seit damals brach Chrostowski Kontroversen mit Autoren, die an dem Klima der Geschwisterlichkeit festhielten, wie es durch die Konzilserklärung "Nostra Aetate" festgeschrieben wurde, vom Zaun. Zu seinen damaligen Polemiken gehörte seine ambivalent-positive Abhandlung zu den Aktionen von Henryk Jankowski, Pfarrer von St. Brigitta in Danzig und einstiger "Kaplan der Solidarność", von dem 1995 die New York Times aus einer Predigt vor installiertem Davidstern und Hakenkreuz zitierte: "Der Davidstern ist ebenso ins Hakenkreuz eingeschlossen wie Hammer und Sichel [...] Muckt auf, Polen! Wir können Regierungen nicht mehr tolerieren, die aus Leuten bestehen, die sich nicht deklarieren, ob sie aus Moskau oder aus Israel kommen." Statt Jankowski zu kritisieren, warf Chrostowski seinem schärfsten katholischen Kritiker, dem 2004 früh verstorbenen Jesuiten Stanisław Musiał vor, demagogisch und extremistisch zu sein.

Bekanntlich hat Papst Johannes Paul II. 1986 in der Großen Synagoge von Rom die Juden als "die älteren Brüder im Glauben" bezeichnet. Heute erklärt Chrostowski dazu, dass Johannes Paul II. damit ja gar nicht die heutigen Juden meinte, sondern nur das Judentum der Zeit Jesu. Die heutigen Juden seien nicht "unsere", der Christen Brüder! Wiederholt behauptete Chrostowski, Johannes Paul II. hätte in seinen polnischsprachigen Notizen zu seiner weltberühmten Rede nur von Geschwistern in einem bestimmten Sinne gesprochen.

Diese abstrusen Behauptungen Chrostowskis über den verstorbenen polnischen Papst sind falsch. Der Wojtyła-Papst nahm immer wieder auf seine Formulierung Bezug, u. a. in seinem 1994 auch ins Deutsche übersetzten Buch, wo er sehr einfühlsam und respektvoll seine Kindheitserinnerungen an die Synagoge von Wadowice darlegt. Dieser Text ist einer der schönsten und persönlichsten Texte über die Begegnungen eines Katholiken mit dem Judentum.

Juden lt. Chrostowski zur Wahrheit unfähig

Chrostowski, eine Art "Popstar" des neuen katholischen Antisemitismus, beeilt sich zu sagen, die Juden hätten ohnehin in der Geschichte immer nur gegen die Kirche opponiert, und er beklagt besonders das sich auch in der Kirche verbreitende Klima des Philosemitismus. Es sei auch absolut falsch, im Dialog das einzige Thema, das für die Kirche relevant sei, nämlich Jesus Christus, auszuklammern. Der durch das katholische Lehramt bestätigte Konsens des Dialogs sagt hingegen, jede Form von Judenmission sei obsolet und jede Form von Antijudaismus Sünde. Chrostowski versucht dem entgegen, die Uhren der Kirche zurückzudrehen.

Die vatikanische Kommission, die 2014 den Ratzinger-Preis an Chrostowski verlieh, hat dies alles nicht im Blick gehabt. Um ein breiteres Publikum zu erreichen, wurden vom rechtsradikalen polnischen Fronda-Verlag Chrostowskis Vortragsserien sogar via YouTube verbreitet. Auf dem Portal fronda.pl wird etwa auch behauptet, das Pogrom von Jedwabne von 1941 sei eine "jüdische Lüge".

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung