Postdramatische Zukunft

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Im Schauspielhaus Wien wurde "Sommer" von Sean Keller uraufgeführt. Das von Elsa-Sophie Jach inszenierte Siegerstück des Hans-Gratzer-Stipendiums 2018 kann Wien aber kein neues Theaterwunder bescheren.

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Im Schauspielhaus Wien wurde "Sommer" von Sean Keller uraufgeführt. Das von Elsa-Sophie Jach inszenierte Siegerstück des Hans-Gratzer-Stipendiums 2018 kann Wien aber kein neues Theaterwunder bescheren.

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Seit 2007 wird alljährlich das Hans-Gratzer-Stipendium vergeben, das nach dem österreichischen Schauspieler und Regisseur Hans Gratzer (1941-2005) benannt ist, der das Wiener Schauspielhaus 1978 als Ur-und Erstaufführungsbühne gegründet und von 1978 bis 1986 sowie von 1991 bis 2001 auch geleitet hatte. Aus einer offenen Ausschreibung wählt eine Jury, 2018 bestehend aus Thomas Schweigen, dem künstlerischen Leiter des Schauspielhauses, seinem Chefdramaturgen Tobias Schuster, Edith Draxl, der Leiterin des Drama Forum uniT Graz, und einem Mentor, diesmal der Dramatiker Wolfram Lotz, fünf Endrundenteilnehmer. Diese wurden zu einem Workshop eingeladen, um die Stückkonzepte zu diskutieren und weiterzuschreiben. Bei einer Lesung wurden die Skizzen dann der Öffentlichkeit vorgestellt und anschließend darüber abgestimmt, welcher Entwurf den von der Literar-Mechana finanzierten Werkauftrag in Höhe von 5000 Euro gewinnen und mit "intensiver Begleitung durch die Dramaturgie des Schauspielhauses" fertiggeschrieben bzw. zur Inszenierungsreife gebracht werden soll.

Textfläche mit Defiziten

Nun wurde das Gewinnerstück "Sommer" von Sean Keller (Jg. 1992) durch die Regisseurin Elsa-Sophie Jach (Jg. 1991) uraufgeführt. Während der Autor ein weitgehend unbeschriebenes Blatt ist, hat Jach zusammen mit Thomas Köck 2017 am Schauspielhaus dessen Stück "Die Zukunft reicht uns nicht (Klagt, Kinder, klagt!) Eine postheroische Schuldenkantate" inszeniert und Wien damit "ein kleines Theaterwunder" beschert, wie die NZZ schrieb. Dafür gab es auch eine "Nestroy"-Nominierung. Nun, diesmal ist das Wunder ausgeblieben. Das hat nicht so sehr mit Jachs manchmal etwas bemühter Inszenierung zu tun, als vielmehr mit dem Stück, oder besser gesagt, der Vorlage, denn ein Theatertext ist Kellers "Sommer" kaum. Seit Elfriede Jelineks "Textflächen" und dem Gerede um das "postdramatische Theater" tun sich viele Autoren etwas zu leicht mit dem Schreiben für die Bühne.

Es ist nicht einfach zu sagen, worum es in "Sommer" geht und schon gar nicht, warum es so heißt. Im Grunde hat der Autor eine diskursverliebte dystopische Zukunftsfantasie entworfen (wobei der Begriff Diskurs für das wenig stringente Gewabere etwas gar hoch gegriffen scheint). Die recht schemenhaften Figuren, die kümmerlichen Dialoge und das Wenige an Handlung, das immerhin die Inszenierung kenntlich zu machen befleißigt ist, lässt sich besser oder erst eigentlich verstehen durch die Lektüre des Programmhefts.

Gefangen in der Zeitschleife

Da steht also, dass wir das Jahr 3000 schreiben. Ein Teil der Menschheit hat sich vor 500 Jahren wegen irdischer Ressourcenknappheit dazu aufgemacht, neuen Lebensraum im Universum zu erobern. Die, die geblieben sind, "haben sich in einem neokommunistischen Gesellschaftssystem organisiert". Sie versuchen, den letzten Rest der vorhandenen Bioressourcen zu verwalten und haben aus diesem Grund "eine Zeitschleife eingerichtet, in der die historisch verklärten Jahre 2000 bis 2020 zyklisch immer wiederkehren". Alles klar? Der dramatische Konflikt (immerhin!) wird nun durch eine Rückkehrerin etabliert. Sophia Löffler spielt das kahlköpfige androgyne Geschöpf aus dem All, das getrieben ist von der Sehnsucht nach einem Ort, wo "man jede*r sein kann". Zurück auf der Erde wird sie allerdings von geballter Frauenpower (Nehle Breer, Vera von Gunten, Anna Rot) empfangen. Die drei, die sich mal als Eumeniden, mal eher als Megären gebärden, nehmen sich der Rückkehrerin an und fügen sie mit sanfter Gewalt in das hier herrschende neokommunistische Kollektiv ein. Hin-und hergerissen zwischen Unverständnis (warum wachsen euch hier aus dem Körper Haare?), Faszination (über den unfassbar spannenden Gegenstand des Rasierers) und Resignation ("das Geheimnis der Anpassung ist, sich nicht zu wundern"), nimmt das Geschehen seinen undurchsichtigen und letztlich unwichtigen Lauf. Irgendwie wirkt das Ganze wie eine völlig ironiefreie und gar nicht komische Star-Wars-Parodie, zu der auch die Bühne von Stephan Weber das Ihrige beiträgt. Ironie schleicht sich gewissermaßen unfreiwillig ein. Weil nämlich die Figur, die am verständlichsten ist, kein Wort spricht. Links auf der Bühne steht eine Glasvitrine, darin die Tänzerin Esther Balfe. Wie ein gefangenes Tier windet sie sich und zuckt und ihre widerständige Körperlichkeit wirkt wie ein präziser Kommentar (comment-taire!) gegenüber der bedenklichen, arbiträren und entbehrlichen Textsuada.

Sommer Schauspielhaus Wien, 14., 15., 20., 21. Feb.

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