Postkarten als Traummaschinen

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Amerika -oder auf Hindi eben "Umrika" - ist Mitte der 1980er-Jahre für die Bewohner eines indischen Dorfes das Traumland. So bricht der junge Udai unter reger Anteilnahme der Bevölkerung zu seiner großen Reise auf und bald folgen auch Briefe und Postkarten, die die fremde Welt in das abgeschiedene Dorf bringen. Vor allem Ramakant ("Life of Pi"-Hauptdarsteller Suraj Sharma), der jüngere Bruder des Emigranten, ist von den Berichten begeistert und macht sich nach dem Tod des Vaters auf die Suche nach Udai.

Nicht von Migration aufgrund von politischer Verfolgung oder wirtschaftlicher Not erzählt Prashant Nair, der selbst ein Weltenbürger ist, in Indien geboren wurde, aber in der Schweiz, im Sudan, in Syrien, Sambia und Österreich aufwuchs und heute zwischen New York, Paris und Prag pendelt. Vielmehr geht es ihm um die Schilderung der Kraft von Träumen, um Sehnsucht nach dem Fremden, dem Exotischen, und darum, wie diese Träume durch mediale Bilder generiert und intensiviert werden.

Prägnant zeigt Nair so, wie die amerikanische Kultur von Thanksgiving bis Halloween bis ins hinterste Dorf vordringt und dort nachgeahmt wird. Nebenbei lässt er aber auch witzig die Zeitgeschichte von Reagan und Gorbatschow über die indische Politik der 1980er-Jahre bis zur Challenger-Katastrophe im Jahr 1986, die auch für den Regisseur selbst ein prägendes Kindheitserlebnis war, einfließen.

Immer bildet diese zeitgeschichtliche Ebene aber nur den Hintergrund für die Geschichte Ramakants, verdrängt diese nie. Rund und stimmig erzählt Nair vom Coming-of-Age dieses jungen Mannes, in einem fließenden Rhythmus, mit feinem Sinn für Humor, in prächtig ausgeleuchteten und farblich genau abgestimmten Bildern. Atmosphärisch dicht erweckt der auf dem heute kaum noch erhältlichen Super-16-mm-Format gedrehte Film so diese fremde Welt zum Leben, verlangt mit seiner ruhigen und betulichen Erzählweise und im Verzicht auf Dramatisierung vom Zuschauer vor allem gegen Ende hin aber auch Geduld.

Umrika Indien 2015. Regie: Prashant Nair. Mit Suraj Sharma, Tony Revolori, Smita Tambe. Polyfilm. 100 Min.

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