Potente Zellen, potenziell unsterblich

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Stammzellen sind der Jungbrunnen der Natur. Ihre medizinische Nutzung weckt heute große Hoffnungen - wirft aber auch viele Fragen auf. Einer Ausstellung im Naturhistorischen Museum Wien gelingt es, das Thema anschaulich zu vermitteln.

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Stammzellen sind der Jungbrunnen der Natur. Ihre medizinische Nutzung weckt heute große Hoffnungen - wirft aber auch viele Fragen auf. Einer Ausstellung im Naturhistorischen Museum Wien gelingt es, das Thema anschaulich zu vermitteln.

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Er ist ein wahrer Meister der Regeneration: Wenn der Axolotl ein Bein verliert, ist das kein großes Malheur, denn binnen Wochen ist dem mexikanischen Lurch ein neues nachgewachsen. Das gilt auch für den heimischen Feuersalamander, der von biologischen Fachgesellschaften zum "Lurch des Jahres 2016" gewählt wurde (eine Ehrung, die hier nicht verschwiegen werden soll). Der Axolotl aber kann sogar Teile des Gehirns nachbilden -unter den höheren Wirbeltieren ist das einzigartig. Forschungsgruppen aus aller Welt versuchen daher herauszufinden, wie der Lurch dies mittels seiner genetischen Ausstattung bewerkstelligen kann.

Gewebezüchtung im Labor

Das Geheimnis dieser erstaunlichen Regenerationskraft ist in Zellen zu finden, die sich teilen können, um Gewebe zu erneuern: den Stammzellen. Ihnen ist eine vom Schweizerischen Nationalfonds konzipierte Sonderausstellung gewidmet, die derzeit im Naturhistorischen Museum Wien zu besichtigen ist. Dort wird ein breites Themenspektrum auf engem Raum beleuchtet: Stammzellen in der Flora und Fauna ebenso wie in der Medizin, wo diese Forschung heute mit großen Hoffnungen verbunden ist.

Hinsichtlich Regeneration sind die Pflanzen anderen Lebewesen überlegen: So kann aus jeder Pflanzenzelle wieder eine neue Pflanze heranwachsen. Obwohl sich eine Blattzelle auf ihre Aufgabe spezialisiert, bewahrt sie das Potenzial, alle anderen Zellen der Pflanze zu bilden. Analog dazu überleben einfache Tiere wie Regenwürmer, selbst wenn sie mittig zertrennt werden. Auch höher entwickelte Tiere verkraften gewisse Verluste: Fische erneuern ihre Flossen, Vögel ihre Federn, Rehböcke ihr Geweih. Afrikanische Stachelmäuse können sich sogar von ihrem Fell trennen, wenn ihnen ein Raubtier auf die Pelle gerückt ist. Selbst der Mensch zeigt überraschende Fähigkeiten: Bei Kindern im Mutterleib können abgetrennte Fingerspitzen bis zu einem gewissen Grad nachwachsen. Auch die Leber kann sich nach schweren Verletzungen selbst regenerieren. Nicht zuletzt unterliegt der menschliche Körper einer unsichtbaren, aber ständigen Regeneration: Die Haut, der Darm oder die Blutzellen zum Beispiel werden periodisch erneuert. Dafür versorgen die Stammzellen den Organismus im Minutentakt mit 300 Millionen neuen Zellen. Ohne diesen Nachschub wäre ein Erwachsener binnen weniger Wochen tot.

Die medizinischen Anwendungen stehen im Fokus der multimedialen Ausstellung: Kurzfilme lassen die Besucher teilhaben an der Geschichte eines Leukämie-Patienten, der durch eine Blutstammzellen-Transplantation geheilt werden konnte, oder an der Arbeit von Schweizer Forschern, die durch Gewebezüchtung neue Herzklappen für Kinder mit angeborenem Herzfehler herzustellen versuchen. "Heute können Gewebe wie Herzklappen, Hornhaut der Augen, Luftröhren oder Haut im Labor gezüchtet werden", berichtet Experte Lukas Sommer, von dem ein Audio-Interview nachzuhören ist. "Vor allem bei relativ einfachen Geweben funktioniert das teils schon recht gut."

Mythen der Unverwundbarkeit

Induzierte pluripotente Stammzellen (iPS), deren Herstellung 2006 dem Japaner Shinya Yamanaka sechs Jahre später den Nobelpreis eingebracht hat, befeuern schon Zukunftsvisionen der Medizin: Sie stammen vom Patienten selbst, und anders als bei embryonalen Stammzellen ist ihre Gewinnung ethisch unbedenklich. Die ersten klinischen Versuche sind schon angelaufen.

Der Rundgang streift auch uralte Mythen, denn die Stammzellen wecken heute Fantasien der Unverwundbarkeit und Unsterblichkeit - wie sie früher etwa in der Idee des "Jungbrunnens" zum Ausdruck kam. Dies ungeachtet der Tatsache, dass sich therapeutisch schon so manche Hoffnung zerschlagen hat. Ob es je möglich sein wird, mit Stammzellen zum Beispiel Diabetes, Herzschwäche, Parkinson oder Querschnittlähmung zu heilen, steht noch in den Sternen.

Stammzellen - Ursprung des Lebens

Naturhistorisches Museum Wien Sonderausstellung, bis 10.7.

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