Praktisches Gotteswissen entscheidend

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Zwei Buchreligionen im Gespräch über ihre Heiligen Schriften: Herausforderungen für christliche Bibelauslegung im Dialog mit dem Islam.

Wer im interreligiösen Dialog bei Problemen der Ausschließlichkeit einhakt, verbaut sich den Weg einer Annäherung. Die große Herausforderung für einen christlichen Bibliker im Gespräch mit dem Islam sehe ich nicht im Anspruch beider Religionen, dass ihnen endgültige Offenbarung zuteil geworden ist. Die Herausforderung sehe ich in dem beiden Religionen gemeinsamen Anliegen, aus ihrer jeweils Heiligen Schrift den Willen Gottes zu erforschen. Eine Annäherung gelingt am ehesten, wenn man sich vom Dialogpartner sagen lässt, wie er sein religiöses Grunddokument versteht und mit welchen Methoden er es liest. Dann kommt man sehr schnell auf gemeinsame Probleme der Auslegung. Denn sowohl der Koran als auch die Bibel sind nicht ohne erhebliche Spannungen.

Krieg und Frieden

Greifen wir das aktuelle Thema "Krieg und Frieden" heraus. In Koran und Bibel lassen sich Texte finden, die einen Krieg im Namen Gottes zu fordern scheinen. Beide Dokumente enthalten jedoch eine ganze Reihe wunderbarer Friedenstexte. Die Wirkungsgeschichte beider Dokumente zeigt leider, dass diese nie richtig zum Tragen kamen. Im Blick auf die Bibel ließe sich zeigen: Dem Menschen von Gott übertragene Macht birgt zwar immer die Möglichkeit des Missbrauchs. Bereits innerbiblisch wird solchem Missbrauch ständig entgegengesteuert. Dies kann jedoch nur erkannt werden, wenn die biblischen Erzähltexte als permanente Lerngeschichte verstanden werden.

Nicht alles, was erzählt wird, darf als von Gott gewollt gedeutet werden. Die Bibel sieht die Beendigung des Königreichs Juda durch das babylonische Exil als Folge einer falschen königlichen Machtpolitik und schlägt als möglichen Ausweg die Gewaltenteilung vor.

Hier wäre auch die missverständliche Vorstellung von "Gott als Krieger" zu nennen. Wer den Zusammenhang zu lesen versteht, für den verbietet er von Anfang an den politischen Krieg im Namen Gottes. Denn er lässt ja Gott allein kämpfen; Israel soll sich heraushalten (Exodus 14,13-14). Spätere Texte schließen jedes Missverständnis aus, indem sie die Vorstellung in Richtung des Waffen zerbrechenden Gottes' verdeutlichen, auch gegen die eigene königliche Kriegsrüstung (Hosea 1,5).

Im Blick auf den Koran scheint das Übergewicht der Friedenstexte nicht so eindeutig zu sein. Wenn Muslime sich jedoch auf ihre Auslegungsgeschichte besinnen, entdecken sie schon im zweiten Jahrhundert ihrer Zeitrechnung Versuche, die Schwert-Verse von ihrem historischen Kontext her zu interpretieren und sie nicht als Sanktionierung von "Gotteskriegen" zu verstehen. Aufhorchen ließ mich auch die Argumentation von islamischen Gelehrten im Zusammenhang mit schweren körperlichen Strafen bis hin zur Todesstrafe. Ihr ursprüngliches Ziel sei gewiss die Abschreckung gewesen. In Erwägung zu ziehen sei jedoch auch das Ansehen der Religion. Wenn solche Strafen den Islam in Verruf brächten, sei nach Sanktionen zu suchen, die die dadurch geschützten Werte besser verteidigten.

Denken nicht aufgeben!

Mit den hier angedeuteten Auslegungsproblemen ist das Phänomen des Literalismus (besser als das belastete Wort "Fundamentalismus") angesprochen. Es findet sich nicht nur im Islam, sondern auch im Christentum. Solches "buchstäbliches" (lateinisch "littera" meint Buchstabe!) Verstehen ist zwar der leichtere Weg. Er liest jedoch am "Geist" der Texte vorbei. Er lädt zu einer Selbstaufgabe des Denkens ein und verwechselt das begrenzte menschliche Verstehen mit dem göttlichen Inhalt der Texte. Im Blick auf den Koran ist gegen christliche Vorurteile zu betonen, dass der Islam nicht eine Buchreligion in dem Sinn ist, dass der heilige Text unmittelbar Wort Gottes ist. Auch im Islam ist das heilige Buch Niederschlag des im Himmel aufbewahrten göttlichen Willens.

Die Frage, mit welchen Methoden dem Geist der Texte nachgespürt werden kann, wird in beiden Religionen gestellt. Dabei geben islamische Gelehrte unumwunden zu, dass eine der Moderne angemessene Hermeneutik erst noch gefunden werden muss. Bei der letzten Dialogkonferenz, an der ich teilnahm, war das Stichwort Hermeneutik bereits in aller Mund. Wir Christen müssten jedoch genauso unumwunden eingestehen, dass es die christliche Hermeneutik, die den Zugang zum Geist der Bibel aufschließt, auch nicht gibt. Ein ständiges Ringen nach den jeweiligen Kulturen entsprechenden Zugängen ist nötig.

Sorge vor Moralverlust

Auf eine Seite der Herausforderung, aus der Heiligen Schrift den Willen Gottes zu erforschen, bin ich noch zu wenig eingegangen. Aus den Anfragen der islamischen Gesprächspartner höre ich immer wieder die Sorge heraus, der neuzeitliche Verlust der Religion könnte zum Verlust der Moral führen. Auch wenn dabei noch zu differenzieren wäre: Diese Art zu fragen macht deutlich, dass es bei der Erforschung des göttlichen Willens nicht nur und nicht zuerst um theoretisches Gotteswissen geht, sondern vor allem um praktisches Gotteswissen.

Und da ist durchaus für uns Christen etwas wiederzugewinnen, was in der Bibel (und in der jüdischen Auslegung bis heute) im Vordergrund steht. Ein prophetischer Spruch kann verdeutlichen, was ich meine: "Es gibt keine Gotteserkenntnis im Land. Nein, Fluch und Betrug, Mord, Diebstahl und Ehebruch machen sich breit, Bluttat reiht sich an Bluttat" (Hosea 4,1-2). Jesus von Nazaret hat ähnliche Hosea-Worte wiederholt zitiert (vgl. Matthäus 9,13).

Vertrauen in Lernfähigkeit

Im Gespräch mit islamischen Gelehrten kann eine gewisse Einigung in dem Punkt erzielt werden, dass der zweiten Tafel der 10 Gebote (soziales Handeln) insofern größeres Gewicht zukommt, als die Erfüllung der ersten Tafel (Pflege der Gottesbeziehung) nur dann vor Gott zählt, wenn die zweite Tafel gelebt wird. Dazu im Koran: "Der steile Weg ist die Befreiung eines Sklaven, oder, am Tag der Hungersnot, die Speisung einer verwandten Waise oder eines Bedürftigen, der im Staub liegt. Und dass man außerdem zu denen gehört, die glauben, einander die Geduld nahelegen und einander die Barmherzigkeit nahelegen" (Sure 90,12-17).

Hier scheint mir die Erkenntnis wichtig, dass weder die Bibel noch der Koran direkte Antworten auf jedes anstehende moderne Problem bereithalten. Wie ist damit umzugehen? Mindestens die christliche Theologie wird gut daran tun, sich wieder mehr von der jüdischen Halacha-Tradition inspirieren zu lassen. Innerhalb des Judentums war das Gesetz immer ein Gegenstand ununterbrochener Diskussion und Fortentwicklung, die sich bis in die heutige Zeit hinziehen. Im Rückgriff auf biblische Grundsätze wie Solidarität, Freigebigkeit, Vergebungsbereitschaft ist danach zu fragen, wie in veränderter Zeit das in Buchstaben gefasste Gesetz Weisung zum Leben werden kann. Die Muslime werden auf ihre Weise lernen, den Koran mit den Problemen des modernen Lebens zu konfrontieren. In den Grunddokumenten beider Religionen finde ich ein großes Vertrauen in die menschliche Lernfähigkeit. Jesus zitiert seinen Lieblingspropheten: "Möchten doch alle bei Gott in die Schule gehen!" (Jesaja 54,13; Johannes 6,45).

Der Autor ist Prof. für Altes Testament u. Dekan der Theologischen Hochschule St. Gabriel in Mödling.

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