Primo Levi und sein Mithäftling Steinberg

19451960198020002020

Tragisch aufeinander bezogen: Gedichte von Primo Levi, Paul Steinbergs Lebensbericht.

19451960198020002020

Tragisch aufeinander bezogen: Gedichte von Primo Levi, Paul Steinbergs Lebensbericht.

Werbung
Werbung
Werbung

Eine vollkommen klare Schreibweise" forderte Primo Levi, als er gegen die Lyrik von Paul Celan polemisierte ("Wahr spricht, wer Schatten spricht"). Es wundere ihn nicht, daß Celan Selbstmord begangen habe. Primo Levi, Auschwitz-Überlebender, Chemiker und Schriftsteller, schrieb dies elf Jahre vor seinem eigenen Selbstmord, den niemand vorausgeahnt hatte. Galt er doch als einer, der trotz seiner furchtbaren Erfahrungen nicht schmähte, nicht schrie und nicht anklagte. Sein gesamtes Werk, vom berühmten Bericht über Auschwitz "Ist das ein Mensch?" bis zu den Texten mit naturwissenschaftlichen Sujets, ist von dieser Klarheit gekennzeichnet.

Die Gedichte zeigen die Schattenseite von Levis Milde, Sanftmut und Versöhnlichkeit. Wenn er mit Alex Zink ins Gericht geht, der den "besten Filz Europas" herstellte und sich niemals dafür interessierte, woher die "schwarze Wolle, kastanienbraune, fuchsrote und blonde; des öfteren graue oder auch weiße" hergekommen sei, wenn er seine Albträume beschreibt, werden die Schatten, die er seit Auschwitz mit sich herumtrug wie so viele Überlebende, in ihrer erdrückenden Macht deutlich.

Die Gedichte sind eine wichtige Ergänzung zu seinem Gesamtwerk. Verdichten sich doch in ihnen die schemenhaften Dämonen der KZ-Vergangenheit zu verzweifelten und mahnenden Bildern, die das "Stampfen von eisernen Schuhen" unauslöschlich ins Gedächtnis prägen. Sie geben Zeugnis von jener - letztendlich auch für Levi erdrückenden - Last, die Greuel der Konzentrationslager überlebt zu haben.

Für Adolf Eichmann hatte er nur einen Wunsch: "Du Sohn des Todes, wir wünschen dir nicht den Tod./ Mögest du so lange leben, wie keiner je lebte:/ Mögest du ohne Schlaf leben fünf Millionen Nächte,/ Möge jede Nacht der Schmerz dich heimsuchen eines jeden, der sah,/ Wie die Tür sich hinter ihm schloß, die den Weg der Rückkehr versperrte,/ Wie's dunkel wurde um ihn und die Luft sich füllte mit Tod."

Paul Steinberg, den Primo Levi als Mithäftling in Auschwitz "hart und unnahbar, verschlossen in seinem Panzer, ein Feind aller, unmenschlich schlau" beschrieb, trug die Last seiner Erinnerungen an das Vernichtungslager mehr als 50 Jahre mit sich herum und wagte nun im Ruhestand den quälenden Rückblick. Wohl wissend, daß ihn das Schreiben jener "Balancierstange berauben wird", die ihm die Gründung einer Familie, das Ergreifen eines kaufmännischen Berufs, kurz das "normale" Weiterleben in Frankreich ermöglicht hat.

Steinberg leistete als angeblicher Chemiker mit dem echten Chemiker Primo Levi in "Buna", dem auschwitznahen Kautschuk-Synthesewerk, das durch gezielte Bombenangriffe nie seinen Betrieb aufnehmen konnte, Zwangsarbeit. Viele Bilder, die er aus seinem Gedächtnis holt, sind bekannt und immer wieder schrecklich zu lesen. Selektionen bei der Ankunft, beim Appell, nach Lust und Laune der Bewacher. Die brennenden Öfen, die aus Wut Erschlagenen, Erschossenen, Zutodegetrampelten, die an Erschöpfung Sterbenden. Gelbsucht, Rotlauf und Typhus überlebt er im "Schonungsblock", den die Mediziner der SS abgerungen haben. Als "Gegenleistung" gibt es die monatliche Selektion unter den Kranken, bei der es nur ein Überleben gibt, wenn man noch über "Hinterbacken" verfügt, also nicht völlig entkräftet ist. Die Ruhr ist ständiger Begleiter, Hunger quält auch ihn, den Privilegierten, der mehrere Sprachen spricht und den anderen die gellenden deutschen Befehle übersetzt.

Er hat schnell begriffen, wie man eine Überlebenschance hatte: "Ich haushalte mit allem, indem ich die moralische Qual, die Gefühle, die Erinnerungen und auch das Bedauern ausschalte, ein lebenswichtiges Gebot." Warum "Unzerstörbare, Bärenstarke nur zwei Monate durchgehalten haben" und es "unter den wenigen Geretteten einige gibt, denen keiner von uns auch nur die geringste Chance eingeräumt hätte", diese Frage quält ihn bis heute.

Seine unstete Kindheit beurteilt Paul Steinberg als eine Art Supertraining für das Leben im Lager. Bis zu seiner Inhaftierung als Siebzehnjähriger hatte er "vier Länder bewohnt, vier Sprachen erlernt, fünf Schulen besucht, gescheiterte Freundschaften, feindlich gesinnte Umgebungen" erlebt und es scheint ihm, als "hätte mir nichts Schlimmeres passieren können, als eine glückliche Kindheit". Außerdem hatte er Glück: Die guten Sprachkenntnisse, ein Chemiebuch, das er im Sammellager Drancy auswendig lernt (mit dem angelesenen Wissen blufft er im Auschwitz die "Chemiker-Kommission"), seine Meisterschaft im "Organisieren", ein halber Laib Schwarzbrot, den tschechische Arbeiter den Hungernden in den offenen Zug von Auschwitz nach Buchenwald werfen, eine belebende Ohrfeige und Sonderrationen von Fritz Pollack, als er sich als "Muselmann", als Todeskandidat bezeichnet: Mosaiksteine des Überlebens, die zu keinem Gesamtbild gefügt werden können.

Steinberg wollte ein "Museum der Greuel, die Litanei der Abscheulichkeiten" vermeiden und lediglich "Bericht geben von der Angst. Den Weg verfolgen, die Erniedrigung von Menschen vor ihrer Vernichtung." Die "Kurve bis zum Nullpunkt" beginnt im Übergangslager Drancy, mit einer innigen Freundschaft zu seinem "Bruder" Philippe, mit dem er Pläne schmiedet und alles auf die leichte Schulter nimmt und der bald in Auschwitz stirbt, und sie endet in Buchenwald, nach einer Flucht in offenen Waggons unter Toten, die ihn vor Kälte und Schnee schützen. Das Vorhaben ist mit großer literarischer Qualität gelungen, die Bilder sind deutlich, die Gefühle nachvollziehbar, die Täter werden benannt.

Einmal mehr denke ich als Nachgeborene, daß man wohl sehr leicht Vergessen und Verzeihen fordern kann, wenn weder Vater noch Mutter, Bruder, Schwester, Sohn, Tochter, Geliebter, unter den Opfern sind. Und wenn man nicht, wie der Autor, "das Leben bleibeschwert durchschritten" hat: Ohne Erinnerung an die Stimme und das Gesicht des besten Freundes Philippe, dafür das Bild des Hauptscharführers Rakasch beim Ertränken eines alten Zigeuners in einer Wasserlache ins Gedächtnis gebrannt. Und mit der bohrenden Frage aller Überlebenden: "Warum ich?"

ZU UNGEWISSER STUNDE Gedichte von Primo Levi Aus dem Italienischen von Moshe Kahn Nachwort: Jorge Semprun Carl Hanser Verlag, München 1998 116 Seiten, geb., öS 190, CHRONIK AUS EINER DUNKLEN WELT Ein Bericht von Paul Steinberg Aus dem Französischen von Moshe Kahn Carl Hanser Verlag, München 1998 164 Seiten, geb., öS 248,-,- Gebt uns Gebt uns, was wir zerstören können, Eine Blumenkrone, einen Winkel der Stille, Einen Glaubensgenossen, einen Richter, Eine Telefonzelle, Einen Journalisten, einen Abtrünnigen, Einen Fan der anderen Mannschaft, Eine Laterne, einen Kanaldeckel, eine Bank.

Gebt uns, was wir beschmieren können, Einen Verputz, die Gioconda, einen Kotflügel, einen Grabstein.

Gebt uns, was wir vergewaltigen können, Ein schüchternes Mädchen, Ein Beet, uns selbst.

Verachtet uns nicht: wir sind Herolde und Propheten.

Gebt uns, was brennt, beleidigt, schneidet, durchstößt und beschmutzt, Was uns fühlen läßt, daß es uns gibt.

Gebt uns einen Knüppel oder einen Nagant, Gebt uns eine Spritze oder eine Suzuki Erbarmet euch unser.

Schwebende Verfahren Ich will das Universum nicht stören.

Ich möchte nur, wenn möglich, Die Grenze still überschreiten, Mit leichtem Schmugglerschritt Oder wie wenn man eine Party verläßt.

Den hartnäckigen Kolben der Lungen Anhalten ohne Gekreisch Und dem lieben Herzen sagen, Diesem mittelmäßigen Musiker ohne Rhythmus: "Nach 2,6 Milliarden Schlägen Mußt du doch müde sein. Also, danke und Schluß."

Wenn möglich, wie ich schon sagte.

Sofern es nicht um die ginge, die bleiben, Um das verstümmelt hinterlassene Werk (Jedes Leben ist verstümmelt), Um die Schrunden und Wunden der Welt.

Sofern es nicht um schwebende Verfahren ginge, Um eingegangene Schulden, Um frühere unaufschiebbare Verpflichtungen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung