Private Gefühle neurotischer Subjekte

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Am Wiener Akademietheater hatte das Pariser Erfolgsstück von Joël Pommerat "Die Wiedervereinigung der beiden Koreas" in einer Inszenierung von Peter Wittenberg Premiere: ein Stück über das Unglück in der Liebe oder die Unzulänglichkeit von Liebe.

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Am Wiener Akademietheater hatte das Pariser Erfolgsstück von Joël Pommerat "Die Wiedervereinigung der beiden Koreas" in einer Inszenierung von Peter Wittenberg Premiere: ein Stück über das Unglück in der Liebe oder die Unzulänglichkeit von Liebe.

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Der 1963 unweit von Lyon im Städtchen Roanne im Département Loire geborene Joël Pommerat gilt in Frankreich als einer der bedeutendsten Dramatiker seiner Generation. Dass seine Stücke, gemessen an Pommerats Bedeutung in Frankreich, im Ausland bislang wenig gespielt werden, ist dem Umstand geschuldet, dass er - darin René Pollesch nicht unähnlich -selber immer auch der Regisseur seiner Stücke ist.

Personalunion Autor und Regisseur

Um sich im französischen Theatersystem unabhängig zu machen, gründete der zum Schauspieler ausgebildete Pommerat 1990 seine eigene Truppe, mit der ganz unironisch gemeinten Ankündigung, für sie in den nächsten 40 Jahren auch jedes Jahr ein neues Stück schreiben zu wollen. Das war auch nötig, denn vorgesehen war, und das ist bis heute so geblieben, dass die "Compagnie Louis Brouillard" ausschließlich Stücke ihres Gründers spielen solle. Von den über zwei Dutzend Stücken, die er seither mit und für sein Tourneetheater tatsächlich verfasst hat, hat Pommerat auch alle selbst inszeniert. Zu dieser Personalunion von Autor und Regisseur meinte er einmal, dass er dadurch habe begreifen können, wie sehr auch Inszenieren Schreiben sei.

Tatsächlich sind die ungewöhnlichen Produktionsbedingungen in einem sehr vertrauten, fast familiären Umfeld seinen Arbeiten, für die er mit zahlreichen Preisen und Nominierungen im In- und Ausland ausgezeichnet wurde, deutlich anzumerken. Wie sehr das dramaturgische Konzept des Dramatikers Pommerat mit dem des Regisseurs Pommerat sowie mit einer überaus durchdachten räumlichen Idee zusammenhängt, konnte im Juni 2015 beobachtet werden, als die "Compagnie Louis Brouillard" mit "La Réunification des deux Corées" bei den Wiener Festwochen gastierte.

Nun hatte "Die Wiedervereinigung der beiden Koreas" in der Regie von Peter Wittenberg am Wiener Akademietheater seine Österreich-Premiere. Wem das "Original" in Erinnerung geblieben ist (und wer es gesehen hat, vergisst es so schnell nicht), der hat mit dieser Inszenierung so seine Mühen. Das Stück, das im Titel das große Politische aufruft, auf den ersten Blick aber sehr Privates verhandelt, das mit der einfachen Gleichung Liebe Glück beschrieben werden kann, scheint wie gemacht für ein Theater mit einem so ausgeglichenen und starken Ensemble. Denn das 2013 geschriebene Stück bietet fünf Schauspielerinnen und vier Schauspielern Gelegenheit in 19 Miniaturen/Szenen 52 Figuren in ihrem Begehren nach Wahrhaftigkeit, ihrer verzehrenden Suche nach Liebe, Beständigkeit, Hoffnung etc. darzustellen.

Abgeschwächte Figuren ohne Ambivalenz

Den Anfang des Reigens macht Petra Morzé als Frau, die sich scheiden lassen will. Allein steht sie auf der großen leeren Bühne des Akademietheaters im Dialog mit einer Stimme aus dem Off. Nach außen habe sie gut ausgesehen, ihre Ehe. Drei Kinder habe sie mit ihrem Mann, der ein guter Ehemann gewesen sei, großgezogen. Nun sei es aber genug. Denn Liebe gab es nicht, sei nie da gewesen. Einige Geschichten und harte Schnitte später wird eine junge Frau (Sabine Haupt) gerade aus dem zerwühlten Bett aufgestanden sein und ihrem verdutzten Mann (Daniel Jesch) mitteilen, dass sie ihn verlassen werde, obwohl sie ihn liebe. "Aber Liebe ist nicht genug." Sie verlässt ihren Mann, weil es im Leben mehr braucht als Liebe. Was dieses Mehr aber sein könnte, weiß freilich auch sie nicht zu sagen.

In einer anderen Szene kommt ein Paar (Dörte Lyssewski, Markus Hering) nach Hause, wo die Babysitterin (Frida-Lovisa Hamann) wartet, aber keine Kinder sind. Ob je welche da waren oder ob das Paar die Aufregung um die verschwundenen Kinder bloß inszeniert, um mit seiner Kinderlosigkeit zurecht zu kommen, bleibt offen. In einer weiteren Miniatur muss ein Paar (Dorothee Hartinger, Martin Reinke) seine Liebe täglich neu erfinden, weil die Frau dement ist.

Obwohl Berührendes erzählt wird, gehen diese Szenen in Wittmanns Inszenierung einem selten nahe. Zu ausgestellt wirken sie auf der Guckkastenbühne.

Pommerat ließ bei seiner eigenen Inszenierung alle Szenen auf einer langen, dunklen Gasse spielen, die quer durch das Publikum, das sich so gegenübersaß, führte. Durch die punktgenaue und spärliche Beleuchtung wirkten die (Liebe) suchenden Subjekte einsamer, isolierter, verletzlicher, aber auch, bei aller unerhörter Begebenheit, wie aus dem "wirklichen" Leben. So ergab sich aus den einzelnen kleine Skizzen ein größeres Gesamtbild der romantischen Liebe zu Zeiten einer permissiven, durch und durch säkularisierten, neoliberalen Gesellschaft.

Auf der leeren Bühne des Akademietheaters dagegen verbinden sich die Miniaturen zu keinem gesellschaftlichen Befund. Pommerats virtuos komponierten Kippfiguren fehlt oft die Ambivalenz, zu oft werden sie durch Komik abgeschwächt. Die Szenen schildern hier bloß private Gefühle neurotischer Subjekte. So seiner existentiellen Dimension beraubt, erscheint das Stück auf einmal verkleinert zum gehobenen Boulevard.

Die Wiedervereinigung der beiden Koreas

Akademietheater, 5., 6., 21., 29. Mai

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