Prominenter liberaler Jude

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Zehn Jahre lang hat Walter Homolka Kolumnen für die FURCHE geschrieben. Daraus - und aus einigem mehr hat der liberale Rabbiner nun ein lesenswertes Buch gestaltet.

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Zehn Jahre lang hat Walter Homolka Kolumnen für die FURCHE geschrieben. Daraus - und aus einigem mehr hat der liberale Rabbiner nun ein lesenswertes Buch gestaltet.

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Zehn Jahre lang -bis zum Jahresende 2015/16 war Walter Homolka Kolumnist der FURCHE. Alle vier Wochen schrieb er -abwechselnd mit seinen katholischen, evangelischen und muslimischen Kolleg(inn)en - unter dem Titel "Glaubensfrage" kleine Texte übers Judentum. Er habe, schrieb Homolka in seiner Abschiedskolumne, "jeden Monat einen Platz in dieser Zeitung mit meinen Gedanken füllen dürfen, solange diese 1800 Zeichen nicht überschritten. Es war eine Erfahrung ungeahnter Freiheit. Es hat mich Disziplin gelehrt, hin und wieder auch Improvisation. Vor allem kann ich jetzt Dinge kurz und prägnant formulieren, die ich früher weitschweifig ausgedrückt hätte." Auch für die FURCHE waren die gut 130 theologischen und religionspraktischen Miniaturen aus Homolkas Feder bereichernd: Der Blick eines prominenten liberalen Juden auf die Welt von heute und ihre Fragen, das hatte etwas - und einiges für sich.

Für Homolka selber waren diese Bußübungen in Sachen Lakonie mehr als Pflichtübung für ein österreichisches Medium. Denn nun hat er sein neues Buch "Übergänge. Beobachtungen eines Rabbiners" veröffentlicht, und diese Beobachtungen bestehen zum größten Teil aus den (teilweise überarbeiteten) FURCHE-Kolumnen des Autors. Geübte Leser dieser Zeitung können sich erinnernd erfreuen - etwa am Bogen, den Homolka zwischen den drei Gestalten mit Namen Moses -der biblischen, dem mittelalterlichen Philosophen mit dem Beinamen Maimonides und dem jüdischen Aufklärer Moses Mendelsohn -spannt. Oder seine Gedanken zu öffentlicher Religion, seine jüdische Sicht auf Stammzellenforschung oder sein -auch von orthodoxen Strömungen des Judentums abgelehnter -Zugang zur Homosexualität. Dann der Dialog der Religionen (eine Zeitlang war die Kolumne ja als eine Art Religionsgespräch konzipiert) - all das kann man mit Gewinn in dem nun neuen Buch von Homolka nachlesen.

Zusätzlich mit einigen anderen Texten aus seiner Feder ist das Buch weit mehr als die bloße Kompilation vergangener Tätigkeit als Verfasser von Textminiaturen. Denn Homolka schenkt sich dieses Buch zum 20-Jahr-Jubiläum seiner Ordination zum Rabbiner. Deswegen der Titel, und auch das Vorwort der prominenten deutschen Protestantin Margot Käßmann beleuchtet dies. Und anstatt einer Einleitung beantwortet Homolka "Zehn Fragen an den Autor".

Investmentbanker, Greenpeacechef

Das ist einiges an Biografie: Walter Homolka kann -je nach Gusto - als "bunter Hund" oder als "begnadeter Netzwerker" bezeichnet werden. Er gehört zu den bekanntesten Gesichtern des liberalen Judentums im deutschen Sprachraum. Sein Werdegang offenbart sich auch im Buch: Der gebürtige bayerische Katholik (Jahrgang 1964) konvertierte mit 17 zum Judentum und studierte danach Theologie, Philosophie und Judaistik. Danach wurde Homolka Investmentbanker, Vorstandsassistent bei Bertelsmann und Chef von Greenpeace Deutschland. Daneben studierte er am Leo-Baeck-College in Großbritannien, dort promovierte er auch über die jüdische Lebens-Jesu-Forschung, 1997 wurde er zum Rabbiner ordiniert.

Homolka war u. a. Landesrabbiner in Niedersachsen und begann ab 2002, in Berlin und an der Universität Potsdam das Abraham-Geiger-Kolleg, das erste Rabbiner-Seminar in Deutschland nach der Schoa aufzubauen. In den letzten 15 Jahren engagierte er sich für eine jüdisch-theologische Ausbildung an einer staatlichen Universität in Deutschland -ohne Homolkas Beharrlichkeit wäre die Jewish School of Theology 2013 an der Uni Potsdam kaum gegründet worden. Er ist deren Direktor und hat auch die Professur für Religionsphilosophie der Neuzeit inne.

Im interreligiösen Gespräch ist Walter Homolka gleichfalls aktiv - auch als kritischer Geist, der etwa scharf gegen die Neuformulierung der Karfreitagsfürbitte für den vorkonziliaren Messritus, die Papst Benedikt XVI. 2007 formulierte, auftrat. Bis heute gehört Homolka dem Gesprächskreis für Christen und Juden beim Zentralkomitee der deutschen Katholiken an.

Dieser Gesprächskreis hat ebenfalls ein Buch herausgegeben, das als Ergänzung zu den Reflexionen Homolkas dienen kann. In "Von Abba bis Zorn Gottes. Irrtümer aufklären -das Judentum verstehen" bereiten 33 jüdische und christliche Wissenschafter (aus Österreich Mitglieder des Koordinierungsausschusses für christlich-jüdische Verständigung) kurz und gut lesbar wichtige Essentials dessen auf, was vor allem Christ übers Judentum wissen sollte. Nicht zuletzt wird das antijüdische Stereotyp vom "zornigen Gott des Alten Testaments", das immer noch weit verbreitet ist, dabei aufs Korn genommen. Ein unentbehrliches Buch. Selbstverständlich gehört Walter Homolka zu den Autoren.

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