Prophet in zwölf Tönen

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Eine Ausstellung und ein Symposium beleuchten die Religion in Leben und Werk von Arnold Schönberg.

Kunst ist der Notschrei jener, die an sich das Schicksal der Menschheit erleben", schrieb Arnold Schönberg 1910. Der Satz sollte durch den Holocaust eine zusätzliche, tragische Dimension erhalten. Schönberg wurde am 13. September 1874 als Sohn liberaler jüdischer Eltern in Wien geboren. Auf den damals bereits spürbaren Antisemitismus reagierte er wie viele Intellektuelle durch Assimilation. Um 1890 sollen 10-20.000 Juden zum Christentum übergetreten sein. Schönberg konvertierte 1898 zum Protestantismus, der als "Religion der Moderne" galt und dem Wunsch, Glauben mit nüchternem Skeptizismus zu vereinen, entgegen kam. Die jüdische Herkunft war für den jungen Schönberg kein Thema.

Ausdruck von Schönbergs seelischer Befindlichkeit sind auch seine Bilder. So stellte er sich selbst mit "rotem Blick" oder als Prophet mit brennendem Herzen dar. "Es ist wichtig, dass unsere Schöpferkraft sich den Rätseln nachbildet, von denen wir umgeben sind", schrieb Schönberg 1912 an Kandinsky. "Denn die Rätsel sind ein Abbild des Unfassbaren. Ein unvollkommenes, d.i. menschliches Abbild. Wenn wir durch sie nur lernen, das Unfassbare für möglich zu halten, nähern wir uns Gott, da wir dann nicht mehr verlangen, ihn verstehen zu wollen. Da wir dann nicht mehr ihn mit unserem Verstand messen, kritisieren, ableugnen, weil wir ihn nicht auflösen können in jene menschliche Unzulänglichkeit, die unsere Klarheit ist." Die "Christus-Vision" von 1919 zeigt ein geschlechtsloses, zartes Geschöpf mit ausgebreiteten Armen und einer großen roten Aura um den Kopf. "Jesus ist zweifellos das reinste, unschuldigste, idealistischste Wesen, das je auf dieser Erde wandelte", so Schönberg.

Antisemitismus in Salzburg

Zum einschneidenden Erlebnis wurde ein Urlaub in Mattsee. Schwägerin Berta, Tochter des deutschnationalen Salzburger Bürgermeisters Max Ott, hatte Schönberg und seinen Schülern dort Unterkünfte verschafft. Etwa 70 profilierungssüchtige Ferienorte äußerten damals öffentlich, keine jüdischen Gäste aufnehmen zu wollen. Mattsee zählte dazu. Ein Gemeinderatsbeschluss vom 20. Juni 1921 forderte Vermieter auf, Feriendomizile nicht an Juden zu vergeben, "... damit unserem schönen Orte die Folgen einer etwaigen Verjudung, den Mietern und Vermietern Schikanen jeder Art durch die deutsch-arische Bevölkerung erspart bleibe." Schönberg war geschockt, wollte aber keinen Skandal. "Meine Privatangelegenheiten gehen die Öffentlichkeit nichts an", schrieb er an seinen Verleger Emil Hertzka.

Es blieb nicht dabei: Am 30. Juni erschien ein Artikel in der "Neuen Freien Presse". Unter dem Titel "Die Judenkolonie von Mattsee" widmete sich tags darauf das Salzburger Wochenblatt "Volksruf" Schönbergs Schwägerin Berta: "Diese Frau läuft sich die Füße wund, um für ihre jüdische Verwandtschaft Sommerfrischen aufzutreiben und überbietet die Preise derart, dass arische Sommergäste keine Unterkunft finden können und oft Juden Platz machen müssen." Als ein "arischer" Sommerfrischler Schönberg eine hämische Postkarte schickte, reiste er ab. Schönberg erkannte die Bedeutungslosigkeit seiner Taufe und die schicksalshafte Verwobenheit mit seinem Volk, was zu ernsthafter Auseinandersetzung mit dem Judentum, erhöhter Sensibilität für Antisemitismus und 1933 in Paris zur Rekonversion führte.

1914 hatte Schönberg den Entwurf einer großen Symphonie für Soli, Chor und Orchester begonnen, in der sich Psalmtexte und Bibelzitate fanden. 1915 begann er mit dem Oratorium "Die Jakobsleiter", das ihn lebenslang beschäftigte. Wie "Moses und Aron" blieb das Werk unvollendet. "Der Auserwählte" der Jakobslei-ter singt eine Zwölftonreihe. "In den Stadien mystischer Erhöhung zu Gott steht der Auserwählte auf der Stufe zwischen Erde und Himmel, zwischen der schuldigen Menschheit und dem göttlichen Richter", sieht Tito M. Tonietti hier die Zwölftonmethode als Ausdruck des Göttlichen. "Gott ist zu abstrakt, um persönlich in Erscheinung zu treten, er braucht einen Propheten." Wie später Moses ist der "Auserwählte" Mittler zwischen Geist und Materie, Gott und Mensch. Eine Rolle, in der Schönberg sich auch selbst sah. "Er war ein Freigeist, der weder Christentum noch Judentum praktizierte. Doch seine allgemeine Haltung zu Kunst und Moral war von tiefem religiösen Gefühl geprägt. Er war sich seiner speziellen Mission immer bewusst: der Verpflichtung, ewige Wahrheiten seiner Kunst zu suchen", so Leonard Stein, der Schönberg persönlich gekannt hat. Im Chorwerk "Du sollst nicht, du musst", op. 27. Nr.2, textete Schönberg 1925: "Du sollst dir kein Bild machen! Denn ein Bild schränkt ein, begrenzt, fasst, was unbegrenzt und unvorstellbar sein soll." Der Schluss reflektiert sowohl das Judentum als auch die künstlerische Sendung. "Du musst an den Geist glauben! Unmittelbar, gefühllos und selbstlos. Du musst, Auserwählter, musst, willst du's bleiben." Hier klingt an, was in der Oper "Moses und Aron" (1926-32) weiter ausgeführt wird. "Religion und Kunst waren für Schönberg bedingende Elemente seiner Existenz, er konnte die zwei Bereiche nicht trennen," meint Anna Maria Morazzoni. "Genauso vielfältig ist sein Verhältnis zur Religion. Jüdische Geburt, protestantische Taufe, Offenheit für die Theosophie und die offizielle Rückkehr zum Judentum zwingen uns, seine religiöse Identität nicht rein konfessionell zu sehen. Er war ein durch und durch anti-dogmatischer Mensch, was zu einer sehr persönlichen Religiosität führte, die weit über das Konfessionelle hinausweist."

Wie sehr sich Schönberg abmühte, wird an seinen vielfach überarbeiteten, bekritzelten, mit unzähligen Anmerkungen und Korrekturen versehenen Manuskripten deutlich. Ein Leben kämpfte er darum, eine Ahnung des unvorstellbaren Wesens Gottes in Musik, Wort und Skizzen zu vermitteln. An der Größe dieser Aufgabe scheiterte er vordergründig: spirituelle Hauptwerke sind Fragmente geblieben. In der Unmöglichkeit, sie fertig zu stellen, drang Schönberg zu einer tieferen Wahrheit vor. Mit dem "Shema Yisroel" endet "A Survivor from Warsaw" op. 46 (1947). "Das Shema Yisroel hat eine bestimmte Bedeutung für mich. Es ist das Glaubensbekenntnis' der Juden. Es entspricht unserem Glauben an den einen, ewigen Gott, der nicht sichtbar ist, der Nachahmung ebenso verbietet wie sich ein Bild von ihm zu machen ...Das Wunder für mich ist, dass all diese Menschen, die für lange Zeit vergessen hatten, Juden zu sein, sich im Angesicht des Todes plötzlich darauf besinnen, wer sie sind."

Moderne Psalmen

"In den Vokalkompositionen wird die Wahrheits-Suche besonders deutlich. Der zugrunde liegende Text stellt eine zusätzliche Ebene an Inhaltlichkeit dar, die musikalisch vertieft, ausgedeutet, oder hinterfragt und konterkariert wird," so Hartmut Krones. Das "Göttliche" und "Himmlische" ist in den Vokalkompositionen oft zu finden. Das "c" galt von alters her als "reinster" Ton, viele Komponisten nutzten es speziell für "göttliche" Inhalte. Schönberg griff darauf zurück wie er auch sein eigenes symbolisches musikalisches Repertoire der Gottesdarstellung entwickelte.

Schönbergs letztes Werk, der "Moderne Psalm", op. 50 c, ist ein inniges Gebet: "O, Du mein Gott: alle Völker preisen Dich und versichern Dich ihrer Ergebenheit. Was aber kann es Dir bedeuten, ob ich das auch tue oder nicht? Wer bin ich, dass ich glauben soll, mein Gebet sei eine Notwendigkeit? Wenn ich Gott sage, weiß ich, dass ich von dem Einzigen, Ewigen, Allmächtigen, Allwissenden und Unvorstellbaren spreche, von dem ich mir ein Bild weder machen kann noch soll. An den ich keinen Anspruch erheben darf oder kann, der mein heißestes Gebet erfüllen oder nicht beachten wird. Und trotzdem bete ich, wie alles Lebende betet; trotzdem erbitte ich Gnaden und Wunder: Erfüllungen ... Und trotzdem bete ich." Auch der "Moderne Psalm", op.50c, blieb Fragment. Er klingt mit einem "reinen" c aus.

Die Ausstellung "Arnold Schönberg und sein Gott" im Wiener Arnold Schönberg Center ist bis

13. September Montag - Freitag

10 - 17 Uhr zu sehen (15. - 26. Juli und an Feiertagen geschlossen).

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